Kolumne von Rudolf Strahm , in TA-Online 20.12.2022
Wenn Albert Rösti in zwei Wochen als Bundesrat startet, steht er unter besonderer Beobachtung seiner eigenen Partei, der SVP.
Die Übernahme der Energie- und Umweltpolitik durch den bisherigen konstanten Neinsager Albert Rösti weckt Ängste oder Aggression bei den einen und Jubel bei den andern. Die NZZ prophezeit Rösti einen «Kaltstart» im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Jetzt brüsten sich die Maulhelden und Besserwisser aus dem Lager der ewigen Neinsager: Man erwarte von Rösti, dass er eine neue Energiestrategie aufgleise, sagt SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi: «Für viele ist klar, dass das ohne AKW nicht möglich sein wird.» Das zitierte die «SonntagsZeitung» kurz nach der Departementszuteilung.
Man fragt sich: Wo sind die Spielräume des neuen Departementschefs? Dazu lohnt sich ein Rückblick.
Nach einem fünfzehnjährigen Leisetreten und Massnahmenstillstand in der Energiepolitik holte 2011 der Schock von Fukushima die Menschen und Bundesbern aus der Reserviertheit. In der Folge wurde 2017 die von der damaligen Energieministerin Doris Leuthard gegen viele Widerstände vorbereitete Energiegesetzrevision mit einem Verbot neuer Atomkraftwerke vom Volk mit 58 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Diese Vorlage verbesserte die Massnahmen für Energieeffizienz und kleine erneuerbare Energieproduktion. Aber man setzte zur Deckung der Bedarfslücke auf Stromimporte. Doris Leuthard trieb das Stromabkommen mit der EU voran, ohne dass der Vertrag je fertig ausgehandelt werden konnte.
Dann kam 2019 der Greta-Effekt. Diese emotionale, aber fachtechnisch nicht abgestützte Mobilisierung jüngerer akademischer Bevölkerungsgruppen erforderte eine neue Klimapolitik. Das führte aber zunächst zu einem kontraproduktiven Stillstand. Denn im Sommer 2019 wurde das revidierte, aus dem Jahr 2000 stammende CO₂-Gesetz im Parlament durch ein kumuliertes Nein von links und rechts versenkt. Den Links-Grünen war es zu wenig, und die SVP verharrte, wie schon beim Energiegesetz, in Fundamentalopposition.
Mehr Investitionen im Inland und mehr eigene Stromproduktion aus erneuerbaren Energien.
Nach der Übernahme des Uvek durch Simonetta Sommaruga beantragte diese dem Bundesrat bereits im Herbst 2019 eine neue Vorlage mit einem Schrittwechsel: mehr Investitionen im Inland und mehr eigene Stromproduktion aus erneuerbaren Energien.
Diese Gesetzesvorlage wurde nach zwei Vernehmlassungen im Juni 2021 dem Parlament zugeleitet. Gleichzeitig wurde zielstrebig ein neues CO₂-Gesetz aufgegleist, diesmal beflügelt durch die Wahlerfolge der Grünen und Grünliberalen in den Nationalratswahlen vom Herbst 2019.
Doch dieser politische Erdrutsch in Richtung Grün zahlte sich zunächst auch nicht aus: Das vom Parlament viel zu breit angereicherte CO₂-Gesetz wurde im Juni 2021 vom Volk mit 51,6 Prozent abgelehnt. Es wurde Opfer einer Kumulation von Widerständen von vielen Seiten. Man hatte die Widerstände der Rappenspalter gegen die Preiszuschläge ignoriert und die (ausgerechnet von Albert Rösti mobilisierten) Kampagnenmillionen der Erdöllobby unterschätzt.
Nach der Ablehnung des CO₂-Gesetzes im Juni 2021 war Katerstimmung. Auch ich war ernüchtert. Doch bei der Energieministerin stellte ich kurz darauf kein Stimmungstief fest, sondern neue Anläufe mit trotzigem «Jetzt erst recht». Innert weniger Monate wurde der Runde Tisch Wasserkraft aufgegleist, der immerhin 15 Ausbauprojekte deblockierte. Nur wenige Tage nach dem CO₂-Nein präsentierte der Bundesrat den Gesetzesentwurf für den Ausbau der erneuerbaren Energien, den sogenannten Mantelerlass, der dann allerdings in der Ständeratskommission ein Jahr lang zerredet wurde.
Paradigmenwechsel eingeleitet
In aller Stille wurde seit Herbst 2019, ausgehend vom Uvek, ein zweifacher Paradigmenwechsel eingeleitet, der erst nach 2023 verstärkt wirksam wird: erstens anstatt der neoliberalen Energieverbrauchssteuerung über sozial umstrittene Preiszuschläge (und allenfalls Rückerstattung) die direkte Investitionsförderung für die Produktion erneuerbarer Energien. Und zweitens ein Abrücken vom Vertrauen auf Importe, dafür eine Priorisierung der eigenen, einheimischen Energieproduktion zur Versorgungssicherheit. Indirekt war es auch ein Abrücken von der idealistischen Vision von dezentralen Klein-Klein-Massnahmen der grünen Politiker. Sommaruga, unterstützt durch die Elcom, war mit ihrer Beharrlichkeit (die Gegner sagten «Sturheit») den kommenden Ereignissen weit voraus.
Zwei einschneidende, meinungsbildende Ereignisse bestärkten 2022 unvorhergesehen diese neuen Trends zur Eigenproduktion. Es war einerseits das Begehren des Westschweizer Stromkonzerns Alpiq um eine Liquiditätsstütze durch den Bund im Dezember 2021. Und es war zweitens noch viel mehr der Ausbruch des Ukraine-Kriegs mit den schweren Sanktionswirkungen auf unsere Energiepolitik nach dem Februar 2022. Auch dem allerletzten Nachzügler sind dadurch die Erfordernisse zugunsten der einheimischen Stromproduktion bewusst gemacht worden.
Das Uvek setzte sofort eine Taskforce ein und stellte gegenüber den Stromkonzernen Transparenzbedingungen für die Gewährung eines finanziellen Rettungsschirms. Erst dadurch wurde der Öffentlichkeit schrittchenweise bewusst, wie Bonus-getriebene Manager in der Blackbox des Stromterminhandels gewaltige Risiken aufgetürmt hatten. Gegen alle Widerstände der Stromkonzerne und ihrer Kantone bereitete das Uvek, unterstützt durch die Elcom, eine Vorlage für den Rettungsschirm vor, der dann im September ganz plötzlich mit Notrecht für den Axpo-Konzern aktiviert werden musste.
Letzte Woche verabschiedete nun der Bundesrat eine Gesetzesvorlage für mehr Transparenz bei den Elektrizitätswerken. Sie sollen ihre Bücher öffnen, analog wie dies für Banken gilt. Die Strommarktmanipulation und der Insiderhandel sollen verboten werden. Die Stromhändler werden in der kommenden Vernehmlassung sicher noch ihre Lobby dagegen antreten lassen.
Rösti kann nur auf den aufgegleisten Massnahmen des Uvek und des Parlaments aufbauen!
Bedingt durch die neue Priorisierung der Inlandproduktion konstruierte die zuständige Ständeratskommission eine Beschleunigungsvorlage als indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. Das Uvek nutzte diese Chance und trieb die Vorlage bis Herbst 2022 zur Abstimmungsreife.
Derzeit sammeln SVP-Basismitglieder auf den kalten Strassen mühsam und harzig die nötigen Referendumsunterschriften mit abstrusen Argumenten gegen das «Stromfressergesetz», wie die SVP den Gegenvorschlag bezeichnet.
Was kann jetzt der neue Umweltminister anders machen oder neu erfinden? Rösti kann nur auf den aufgegleisten Massnahmen des Uvek und des Parlaments aufbauen! Es gibt kurzfristig gar keine Alternativen:
- Wenn Rösti bald die starke, wirtschaftsschädigende Preisvolatilität in den Griff bekommen und das Gewerbe stärker schützen will, muss er die Handels- und Termingeschäfte der Stromkonzerne zurückbinden, mehr Transparenz durchsetzen und sie auf mehr Landesversorgung statt Stromhandel verpflichten. Die ersten Schritte dazu hat der Bundesrat letzte Woche noch aufgegleist.
- Wenn Rösti, seinem Parteicredo gemäss, stärker auf einheimische Energien setzen will, muss er Solargrosskraftwerke und zugehörige Pumpspeicherkapazitäten in grosser Zahl bewilligen, die Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Inlandversorgung priorisieren. Auch das ist mit dem Gegenvorschlag für die Gletscherinitiative, dem Runden Tisch Wasserkraft und dem nachfolgenden Mantelerlass längst aufgegleist.
- Rösti wird sicher unter Druck stehen, sein Lippenbekenntnis zur Atomkraft weiter zu pflegen. Die Freisinnigen werden ihn mit neuen staatlichen Subventionen für die Lebensverlängerung der alten AKW unterstützen, die allerdings eine Volksabstimmung erfordern. Doch Rösti wird in den nächsten zwanzig Jahren keine Investoren und keine Erbauer für neue Atomkraftwerke finden. Da ist die ökonomische und technische Realität stärker als alle Atombekenntnisse!
Röstis grosses Kunststück wird darin bestehen, die bisher aufgegleisten Massnahmen für einheimische Energieproduktion und Stromnetzstabilität neu auf seine politische Mühle umzuleiten und für seinen Ruhm zu beanspruchen. Diese Chance darf man ihm zugestehen.
Kolumne von Rudolf Strahm.
Kurzfassung in Tages-Anzeiger und Bund vom 20.12.2022
Langfassung hier auf TA-Online. 20. 12. 2022