In Geiselhaft der Bauern

Von Rudolf Strahm,  Kolumne in Handelszeitung vom 4.4.2024 . – –

Die bäuerlichen Traktorproteste begannen in Deutschland wegen der geplanten Aufhebung der Diesel-Verbilligung und der zollbefreiten Weizenimporte aus der Ukraine. Wie ein Woke-Lauffeuer verbreiteten sie sich in Frankreich, dann in Belgien und Holland; mit der üblichen Verspätung auch in der Romandie bis in den Kanton Zürich.

In ganz Europa gingen die Regierungen äusserst behutsam und konzessionsbereit auf die Protestbauern zu. Das wurde sogleich auch in der Schweiz wirksam. Das Parlament machte die vorgesehenen Subventionskürzungen im Agrarbereich rückgängig.

Wenn man die Einkommenslage der Schweizer Bauern mit dem Ausland vergleicht, ist die Situation dank dem Zollschutz mit 3,3 Milliarden Franken Importzuschlägen und den 2,8 Milliarden Direktzahlungen an 48’000 Betriebe komfortabel. Dabei gibt es grosse Einkommensunterschiede zwischen Tal-und Bergbetrieben von fast zwei zu eins. Von 2014 bis 2021 sind die kalkulatorisch errechneten Median-Jahreslöhne unserer Landwirte um 36% angestiegen. Bei den Arbeitnehmern in der Industrie und im Dienstleistungssektor nahmen sie im Mittel bloss um 3.7% zu. 

Weil die Zahl der Höfe bei gleichbleibender Direktzahlungssumme von Jahr zu Jahr abnimmt, kassieren Grossbetriebe immer mehr. Im wenig aussagenden Durchschnitt sind es heute rund 58‘000 Franken pro Betrieb. Ein Grossbetrieb kann aber vom Bund leicht über 100‘000 Franken beziehen, 800 Höfe erhalten sogar über 200‘000.

Der Bauernpräsident Markus Ritter ist wohl einer der einflussreichsten  – und auch unbeliebtesten – Strippenzieher im eidgenössischen Parlament. Er hat eine der grössten Parlamentariergruppen hinter sich, obschon nur noch 2.5 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt und diese bloss 0.6 Prozent des BIP Wertschöpfung produziert. Mit seinem politischen Schulterschluss „Perspektive Schweiz“ 2022 mit Economiesuisse, Gewerbeverband und Arbeitgeberverband konnte er diesen teils angeschlagenen Dachverbänden Unterstützung bei ihren Volksabstimmungen anbieten und sie gleichzeitig in Geiselhaft nehmen.

Die politische Konsequenz dieser „Geld- und Gülle-Allianz“, wie die Kritiker sagen, ist eine neue Welle des Agrarprotektionismus, mit noch perfekterem Zollschutz, mit monopolistisch regulierten Agrarpreisen durch die Verbände und  – was besonders ins Gewicht fällt – mit einer faktischen Vetoposition bei zukünftigen Freihandelsabkommen FHA. Bekanntlich ist das FHA mit den USA daran gescheitert, und ein Mercosur-Abkommen kommt deshalb nicht voran.

Die Argrarwerbung, die mit Bundesgeldern von rund 40 Millionen jährlich finanziert wird, schafft ein Trug-Image von Bauernhöfen. Die bundesfinanzierte Pro Viande-Werbung mit gackernden Hofhühnern und fröhlichen Kälbern täuscht die Konsumenten für „Schweizer Fleisch“. In der Realität werden pro Jahr 1,4 Millionen Tonnen Futtermittel aus dem Ausland importiert, wovon 60% Kraftfutter mit hohem Energie- und Eiweiss-Gehalt, wie Soya aus Brasilien.

Befürworter einer akzeptablen Marktöffnung möchten zertifiziertes Weidefleisch aus Argentinien, Brasilieen, Paraguay und Uruguay in der Schweiz zulassen. Damit würde ein Mercosur-Abkommen mit den vier aufstrebenden Ländern Südamerikas beim Volk hoffähig. Doch der Staat bleibt auch in dieser Frage in Geiselhaft.