Wenn Apparatschiks die Wirtschaft vertreten

 

Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 12. März 2013

Nach der Abstimmungskampagne um die Abzocker-Initiative ist das Vertrauen in den einst mächtigen Wirtschaftsdachverband Economiesuisse auf dem Nullpunkt. Die Kampagneverantwortlichen im Sekretariat haben kaum eine Fehlleistung ausgelassen, um das Wählervertrauen zu zerstören.

Da wurden Studenten bezahlt, um Leserbriefe gegen die Initiative zu schreiben. Da wurden Persönlichkeiten mit ihren Fotos gegen die Initiative instrumentalisiert, die nichts davon wussten (auch der Schreibende). Da wurden Millionen Industriegelder verpulvert für einen abstrusen Werbefilm, unverständliche Plakate, Kassandra-Argumente, die niemand glauben mochte. Eine Mischung von Dilettantismus, Abgehobenheit und Inkompetenz von Funktionären – in jedem Konzern würde für sie ein Outplacement eingeleitet.

Der verantwortliche Economiesuisse- Direktor Pascal Gentinetta schob im Radio am Tag nach seinem Abstimmungsdebakel das Abzockerdrama des Daniel Vasella in den Vordergrund, nachdem er ihm im Vorstand Jahre zuvor hörig gewesen war. Vorwurfsvoll beklagte er das Abseitsstehen aller Chefs der bürgerlichen Parteien. Diese hatten indes schon lange vor dem Debakel jedes Vertrauen in die Kampagneführung verloren.

Die Niederlage zeichnete sich allerdings schon Jahre vorher mit dem langen Seilziehen um den Gegenvorschlag ab. Ständeräte sagen heute, die mangelnde Sensibilität und die ständig wechselnden Änderungsforderungen der Economiesuisse-Funktionäre hätten das jahrelange Hin- und Her um den Gegenvorschlag verursacht.

Gentinetta gibt sich als Sprecher der Schweizer Wirtschaft. Selber hatte er, ausser als Praktikant, nicht in der Wirtschaft gearbeitet. Er war Mitarbeiter in der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Seine damaligen Chefs bezeichnen den fleissigen Beamten als «Apparatschik ohne Führungseigenschaften ». Mit Hilfe von Nationalrat Gerold Bührer wurde er Verantwortlicher für Steuerfragen bei Economiesuisse, später mit dessen Hilfe Direktor.

2004 war Gentinetta bei Economiesuisse zuständig und federführend für das überladene Steuersenkungspaket, das dann vom Volk mit zwei Dritteln der Stimmen versenkt wurde. 2008 war er zuständig für die Abstimmung der hauchdünn angenommenen Unternehmenssteuerreform II des Hans Rudolf Merz, die heute dem Bund und den Kantonen bis dreissig mal höhere Steuerausfälle bringt als im Abstimmungskampf versprochen. Seit dieser krummen Tour ist auch Gentinettas Glaubwürdigkeit dahin.

Freilich ist es enorm schwierig, heute einen Wirtschaftsdachverband zusammen zu halten. Ein Wirtschaftsführer sagt, Economiesuisse sei «ein Sack voller Flöhe». In kaum einer zentralen wirtschaftspolitischen Weichenstellung besteht in der Wirtschaft Einigkeit: weder in der Europafrage noch der Infrastrukturfinanzierung, weder im Wettbewerbsrecht noch in der Energiepolitik, weder in der Bankenfrage noch in der Finanzplatzstrategie. Den kleinsten gemeinsamen Nenner bildet die wohlfeile Forderung nach Steuersenkungen und antietatistische Rhetorik.

Genau diese Positionen vertritt Gentinetta mit seiner kompromisslosen steuer- und staatsfeindlichen Dogmatik. Deshalb wurde er durch Gerold Bührer zum Economiesuisse-Direktor befördert, der seinerseits während seiner ganzen Parlamentszeit monothematisch auf Steuersenkungen versessen war. In den Neunzigerjahren galt dies als Wirtschaftskompetenz und gehörte zum anerkannten Mainstream – heute nicht mehr! Heute politisiert der ehemals wichtige Wirtschaftsdachverband, jahrzehntelang eine Art Partner der Regierung, in den Grundsatzfragen in Fundamentalopposition zum Bundesrat.

In der bundesrätlichen Energiepolitik hintertrieb der Wirtschaftsdachverband bislang jede Kompromissfindung, verbog die von ihm bestellte KOF/ ETH-Studie zu einer Abrechnung gegen das Departement Leuthard. Laut Insidern folgen die Funktionäre mit ihrer obstruktiven Linie den beiden gut zahlenden Mitgliedkonzernen Axpo und Alpiq. Die Energiebranchen rund um die Cleantech-Industrien, erneuerbaren Energien und Gebäudetechnik mit tausenden Firmen hingegen werden ignoriert. Economiesuisse-Funktionär Urs Näf wurde im Bundesamt für Energie zwei Mal nicht befördert, floh darauf zu Economiesuisse und rächt sich seither mit Nadelstichen gegen das Bundesamt.

In der Kartellpolitik fährt Economiesuisse entgegen seiner Marktrhetorik eine wettbewerbsfeindliche Marktabschottungspolitik, wenn es um Hochpreisimporte geht. Der Verband wehrte sich gegen Parallelimporte, gegen das Cassis de Dijon-Prinzip und jüngstens gegen die «Lex Nivea», die die Hochpreislieferungen ausländischer Konzerne in die Schweiz kartellgesetzlich bekämpfen will. Die Parlamentarier wurden kürzlich mit einem Papier aus dem Economiesuisse- Sekretariat bedient, das ich aufgrund meiner jahrelangen wettbewerbspolitischen Erfahrung mit Märkten als praxisfern und inkompetent einstufen würde. Gerade viele KMU wären auf preisgünstige Importe angewiesen. Die kartellrechtliche Position von Economiesuisse schadet ihnen.

«Economiesuisse wirkt inzwischen wie der Vatikan: immer noch mächtig, aber unfähig, sich auf den neuen Zeitgeist einzustellen.» Solches schreibt die schweizerische Unternehmerzeitung im Editorial ihrer letzten Ausgabe. Die Uhrenindustrie hat inzwischen den Austritt aus dem Dachverband angekündigt.

Wenn Economiesuisse spricht, ist das nicht die Stimme der Wirtschaft. Es sprechen die Funktionäre, die sich auf irgendwelche Partikularinteressen gut zahlender Konzerne stützen. Die Hauptfunktion eines Dachverbandes, nämlich der Interessenausgleich innerhalb der Wirtschaft und Vertretung nach aussen, ist im Eimer. Hauptproblem ist, dass nicht Wirtschaftsführer, sondern Apparatschiks ohne Erfahrungshintergrund die Wirtschaft vertreten.

Eigentlich wären die Bundesbehörden auf eine verlässliche Partnerschaft mit der Privatwirtschaft angewiesen. Sie sind gut beraten, vermehrt mit einzelnen Unternehmen und Branchenverbänden pragmatisch und fallbezogen zusammen zu arbeiten. Mit dem Wasserkopf von Apparatschiks werden sie bloss weitere Debakel erleben.

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