Narzissmus ist karrierefördernd

Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom 15.09.2019

Es ist unergiebig, lange darüber zu spekulieren, ob Tidjane Thiam als oberster Chef der Credit Suisse von der Bespitzelung seines abgesprungenen Konkurrenten Iqbal Khan wusste oder nicht. Bestätigt in dieser peinlichen, nebulösen Affäre ist heute, dass die Kommunikation in der CS gelöscht worden ist und dass jetzt zwei Untergebene Thiams als Bauernopfer über die Klinge springen müssen.

Mit dieser Affäre ist uns in allen ­Details vor Augen geführt worden, wie kriegerisch die Topeliten in multinationalen Konzernen miteinander umgehen und welche Führungskultur auf dem «intrigengestählten heimischen Bankenplatz» (so die Zeitschrift «Bilanz») vorherrscht.

Ich persönlich habe dem kostspieligen, vom CEO Thiam durchgepaukten Kurswechsel der Credit Suisse immer Verständnis entgegengebracht. ­Immerhin setzte er durch, von diesem spekulativen Investmentbanking seines Vorgängers Brady Dougan wegzukommen und damit den Eigenmittelstatus der CS zu stabilisieren.

Thiam hat die schweizerische Führungskultur nie verstanden

Thiam ist der Abkömmling einer abgehobenen Regierungsdynastie der Elfenbeinküste und Absolvent der elitärsten Kaderschulen in Frankreich. Die hiesige Führungskultur hat er nie verstanden. Selbst für den Besuch einer Kunstausstellung liess er sich von Bodyguards – dem Statussymbol der Konzern-Topmanager – begleiten. Auch die Bunkervillen am Herrliberg und die jährlichen Boni-Rankings gehören zu den Statussymbolen der globalisierten Bonus-Aristokratie.

Auf die Schweiz und die hiesige Führungskultur muss ein Topbanker heute schon gar nicht Rücksicht nehmen. Etwa drei Viertel aller Aktienstimmen der CS sind im Besitz der Ölscheich-Fonds aus Katar, des US-Investmentfonds Harris Associates und anderer ausländischer Grossinvestoren. Der Rückhalt hängt nur von einigen ­wenigen ausländischen Finanz­oligarchen und Fondsmanagern ab.

Diese Struktur ist typisch für die heutige Konzernwirtschaft: Die zwanzig grössten hiesigen Konzerne, die im Swiss-Market-Index (SMI) der Schweizer Börse abgebildet sind, gehören mit durchschnittlich 82 Prozent Aktien­anteil ausländischen Investoren. 89,5 Prozent ihrer Umsätze werden im Ausland abgewickelt. Und in deren obersten Geschäftsleitungen sind heute 65 Prozent der Topmanager ­Ausländer (Schilling-Report).

Man verdrängt, wie viel an Motivation und Produktivität durch diese Diktatur des Kurzfristigen zerstört wird.Source

Wie wird man Manager oder Verwaltungsrat in einem multinationalen Konzern? Spätestens seit der Finanzkrise haben Unternehmenssoziologen die Karrierespuren von globalen Konzern-Topkadern analysiert. Die Befunde lassen sich etwa so zusammenfassen: 50 Prozent der Karrierequalifikation besteht aus Blendertum und Machtgehabe, 30 Prozent aus Netzwerkvorteilen, und vielleicht 20 Prozent besteht aus Fach- und Führungskompetenz!

Matchentscheidendes Karrieremerkmal sind also Selbstdarstellung, ­Blendertum und Machtdrang. «Wer vorwärtskommen will, muss absolutes Selbstvertrauen ausstrahlen», empfiehlt ein Headhunter. «Narzissmus ist karrierefördernd», bestätigt ein Psychiater. Headhunter empfehlen Manager mit Showeffekten und medialer Selbstinszenierung zur Wahl. Es war schon immer so: Blender vertrauen Blendern. So mancher fähige Schweizer Manager und hocheffiziente stille Schaffer gelangt wegen Bescheidenheit nicht in die Geschäftsleitung oder wird CEO. Vorherrschend für die Konzernkarriere ist auch das Abstützen auf Netzwerke. Wer viel in Beziehungen investiert, hat bessere Chancen. Gleich und Gleich gesellt sich gern. Männer verstehen die Netzwerkerei besser. Deshalb gibt es nur 10 Prozent Frauen in den obersten Geschäftsleitungen der SMI-Konzerne und nur 24 Prozent Frauen in den Verwaltungsräten.

Die durchschnittliche Verweilzeit der CEOs und Topmanager in unseren Multis beträgt nur gerade fünf Jahre. Wer zu lange bleibt, bleibt stecken. Wie kann mit einer solchen Kurzfrist-Führungskultur im Topmanagement noch eine Identifizierung mit der Firma wachsen? Mittlere Kader und Mitarbeiter empfinden sich bloss als anonyme Nummern. Man verdrängt, wie viel an Motivation und Produktivität durch diese Diktatur des Kurzfristigen zerstört wird.

Man muss Instrumente gegen Börsenraider und Hedgefonds sowie gegen feindliche Übernahmen einbauen. 

Dieser Befund über das Topmanagement muss allerdings noch aus einer anderen Optik erklärt werden, nämlich vom Druck der Aktionäre. Kurzfristige aktivistische Aktionäre (Hedgefonds, Spekulanten, Raider) machen den Verwaltungsrat und das Management zum Spielball ihrer Unverfrorenheit und Gier. Konzerne wie ABB, Sulzer, Saurer, Oerlikon, Implenia und neuerdings sogar Nestlé erlebten den destruktiven Einfluss von aktivistischen Aktionären und Börsenraidern.

Das heutige Aktienrecht gewährt den aktivistischen Aktionären und Hedgefonds zu viel Einfluss. Die Abzocker­initiative, die 2013 auch mithilfe der Linken (aber gegen die Gewerk­schaften) angenommen worden ist, hat aggressiven Börsenraidern mit wenigen Prozent Aktienanteil ­enormen, oft zerstörerischen Einfluss eingeräumt. Die Boni-Wirtschaft hat sie, abgesehen von einigen Exzessen (Vasella, Dougan), überhaupt nicht gebremst, aber die Unternehmens­leitungen zum Spielball kurzfristiger spekulativer Interessen gemacht.

Ich war seinerzeit gegen die Minder-Initiative (zum Ärger mancher Vulgärmarxisten, die mit ihr die Überwindung des Kapitalismus erträumten); und auch heute meine ich, man müsse das Aktienrecht erneut korrigieren: Man muss Instrumente gegen Börsenraider und Hedgefonds sowie gegen feindliche Übernahmen einbauen. Diese können solide Schweizer Firmen destabilisieren oder sie sich sogar unter den Nagel reissen. Vielleicht macht jetzt die Angst vor Investoren aus China die Zeit reif, endlich eine Korrektur in die Wege zu leiten.