Kehrseiten der Bitcoin-Welt

Die grösste Euphorie herrscht in der Politik ganz oben. Selbst zwei Bundesräte sind von ihr ergriffen. «Bitcoin», «Kryptowährung», «Blockchain» sind die euphorischen Zauberbegriffe, die vermeintlich schnellen Reichtum, Marketingcoups und gar weltweiten Ruhm versprechen.

Diese «Kryptomania» ist das neue Tor der Gier. Es weht dabei ein «Hauch von Religiosität», wie es der Chef der Finanzmarktaufsicht (Finma), Mark Branson, an einem Vortrag an der Uni Zürich bezeichnete. Hinter dieser Begeisterung um den Bitcoin-Hype stecken aber auch Blendertum, Betrug und Geldwäscherei.

Unser Finanzminister Ueli Maurer, ergriffen von dieser Kryptoeuphorie, liess sich im August 2017 nach Zug einladen, das sich weltweit als «Crypto Valley» anpreist und allen Finanzgauklern staatsfreie Marktfreiheit verspricht. Dort besuchte Maurer die Start-up-Firma Monetas des südafrikanisch-kanadischen Finanzjongleurs Johann Gevers, der zuvor als Schöpfer des Zuger Crypto-Valley-Modells ins Schaufenster gestellt worden war. Bloss drei Monate nach dieser bundesrätlichen Ehrerweisung gegenüber Gevers erklärte ein Zuger Gericht seiner Firma Monetas den Bankrott.

Auch Wirtschaftsminister Johann Scheider-­Ammann war von der Bitcoin-Welle so begeistert, dass er sich an die Crypto Finance Conference nach St. Moritz einladen liess und dort die «Kryptonation Schweiz» ausrief. Gegenüber Medien versprach er: «In fünf oder zehn Jahren sollen die Leute von der Kryptonation Schweiz sprechen.»

Die künstlich geschaffene Bitcoin-Währung war im April 2017, also vor einem Jahr, noch rund 1000 Franken wert. Der Bitcoin erfuhr bis Dezember 2017 eine spekulative Wertsteigerung aus dem Nichts auf über 19’000 Franken. Doch seither ist sein Preis auf 7500 Franken abgestürzt. Verlust seit Dezember: 60 Prozent!

Heute gibt es neben dem Bitcoin andere virtuelle Währungen wie Ethereum, Litecoin, Ripple und ein weiteres Dutzend solcher aus dem Nichts geschaffenen Kryptogelder. Im Gegensatz zu den Notenbankwährungen kennen sie keine Unterlegung mit Gold oder Devisen, und es fungiert keine Volkswirtschaft eines Landes als Währungsgarantin. Die Wertsteigerung von Bitcoin und Co. hat keinen realen Gegenwert. Die produktive volkswirtschaftliche Wertschöpfung des Schneeballsystems ist null. Der Wert existiert bloss in einer virtuellen Internetwelt.

 Technisch hat Blockchain auch im legalen Fintech-Bereich eine grosse Zukunft beim Schutz gegen Internethacker und zum Persönlichkeitsschutz.

Das Originelle an den Kryptowährungen ist sicher die Verschlüsselungstechnik, die auf unregelmässigen mathematischen Zahlenreihen (Algorithmen) basiert und durch gegenseitige Überprüfungsmechanismen jeden fremden Zugriff verhindert. Diese algorithmische Verschlüsselungstechnik (Kryptografie) heisst Blockchain. Technisch hat Blockchain auch im legalen Fintech-Bereich eine grosse Zukunft beim Schutz gegen Internethacker und zum Persönlichkeitsschutz.

Dies ist die faszinierende Seite der Kryptowährungen, die jeden IT-Journalisten ohne volkswirtschaftliche Kenntnisse zur medialen Euphorie hochfahren lässt. Doch Bitcoin und Co. haben eine dunkle Kehrseite.

Die Bitcoin-Besitzer sind anonym, die Transaktionen sind nicht identifizierbar, deren «Zahlstellen» sind weltweit gestreut. Diese totale Anony­misierung ergibt sich erstens aus der Blockchain-Verschlüsselung. Sie ist nicht einmal durch Aufsichtsbehörden und Polizeistellen knackbar, wenn diese nicht Auskunft zum algorithmischen Verschlüsselungscode erhalten. Und zweitens ist im Bitcoin-System kein Finanzintermediär – Bank, Börse, Fonds, Vermögensverwalter – eingeschaltet, der irgendwo einer behördlichen Finanzmarktaufsicht unterstellt wäre.

Diese Art von Kapitalbeschaffung läuft völlig an jeder aktien- und börsenrechtlichen Aufsicht vorbei.

Damit ist die Bitcoin-Welt nicht bloss das Spielfeld von kleinen jugendlichen Gamblern in China und der Schweiz oder von armen Migranten, die ihr Sozialgeld heimschicken. Die totale Anonymisierung hat innert kurzer Zeit zu verdeckten Finanztransaktionen von Waffenschiebern, Drogenringen und anderen Geldwäschereigeschäften geführt. Damit sind die Dutzenden von Milliarden Kryptogeld das grosse zukünftige Reputations- und Kriminalitätsrisiko der von Johann Schneider-Ammann herbeigesehnten «Kryptonation Schweiz» geworden.

Das derzeit grösste Missbrauchspotenzial besteht im Gebrauch der Kryptowährungen für die Kapitalbeschaffung durch neu gegründete Firmen, dem sogenannten Initial Coin Offering (ICO), das von Zug aus mit Hunderten von raschen Firmenneugründungen zum Teil dubiosester Art durch Finanz- und Internet-Gambler praktiziert wird. Diese Art von Kapitalbeschaffung läuft völlig an jeder aktien- und börsenrechtlichen Aufsicht vorbei.

Sowohl die Bank für Internationalen Zahlungs­ausgleich (BIZ) als auch der Internationale Währungsfonds (IWF) haben die Mitgliedsländer eindringlich vor den systemischen Risiken der Kryptogeldwirtschaft gewarnt.

Ende Dezember 2017 verkündeten dann die zuvor leichtgläubigen Bundesräte Schneider-Ammann und Maurer nach Korruptions- und Geldwäschereiwarnungen aus dem Ausland doch noch die Bildung einer bundesinternen Taskforce. Deren Steuerungsgruppe – bestehend unter anderen aus den Chefs von Steuerverwaltung, Finanzmarktaufsicht, Weko, Bundesamt für Justiz, Nationalbank – ist seither nur einmal zusammengetreten. Federführend ist das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF).

Die Kryptowährung mit ihren virtuellen Vermögenswerten ist auch juristisch ein Neuland. Sie erfordert die Neudefinition des Eigentumsbegriffs und dessen rechtliche Handhabung. Beispiele:

  • Im Zivilrecht ist eine Anpassung nötig, sonst werden Kryptowährungen bald zum Verstecken von Vermögen bei Scheidungen und Erbschaften eingesetzt.
  • Für das Steuerrecht muss definiert werden, wie das Kryptovermögen erfasst und besteuert wird.
  • Im Börsenrecht braucht es eine Pflicht zur Transparenz wie im Aktien- und Effektenhandel.
  • Im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht braucht es Regeln zum Schutz der Gläubiger gegen Kryptoverstecke von Finanzjongleuren.

Die Schweizerische Nationalbank wird nicht darum herumkommen, ernsthaft die Schaffung eines Kryptofrankens als Internetwährung ins Auge zu fassen. Damit würden die dubiosesten Zuger Produkte wohl verdrängt werden. Die Schwedische Reichsbank ist damit vorausgegangen. Die ängstliche Nationalbankleitung hat zunächst reflexartig jeden Handlungsbedarf verneint.

In der Wirtschaftsgeschichte hatte man erlebt, wie führende Kreise bei Geldwäscherei, Steuerflucht und Bankgeheimnis seinerzeit gemauert hatten: Zuerst alle Kritik abwehren, alles dem Markt und der Eigenverantwortung überlassen, und dann Hals über Kopf den Staat einschalten, wenn das Ausland Druck ansetzt.

Nicht die Kryptowirtschaft an sich ist gefährlich. Die grösste Gefahr für die Reputation und das Finanzsystem der Schweiz kommt von jener naiv-unbedarften Leichtsinnigkeit von Führungspersonen, die vor dem zwingenden Regulierungsbedarf der Kryptowelt die Augen verschliessen.

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