No Billag: Die Entscheid kommen erst jetzt.

Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 13. März 2018

Die 72-Prozent-Abfuhr der No-Billag-Initiative hat die SRG zweifellos gestärkt und demokratisch legitimiert. Allerdings: Die Gefahr wächst, weil der Reformdruck weg ist. Und erst jetzt stehen die eigentlichen Weichenstellungen der Medienpolitik bevor. Sie sind schwerwiegender als das oberflächliche Feilschen um ein paar Franken bei der Medien-Haushaltgebühr.

Zuerst muss die verkorkste Situation um die umstrittene Werbeplattform Admeira gelöst werden. Ich war immer der Meinung, dass diese Werbevermarktungsfirma den Wettbewerb verzerrt. Sie wird getragen von den zwei staatsnahen, marktmächtigen Unternehmen SRG und Swisscom und dem Ringier-Konzern als einzigem Verlag. Bisher konnte mir die Wettbewerbskommission nicht erklären, weshalb sie diesen Zusammenschluss durchgewinkt hat, entgegen früherer Praxis ohne jegliche Auflagen. Die Weko ist oft unberechenbar und inkonsistent.

Problematische Werbevermarktung

Das Konstrukt Admeira ist seinerzeit vom SRG-Generaldirektor Roger de Weck durchgedrückt worden; Rudolf Matter und andere Führungsleute der SRG waren skeptisch. Die Werbevermarktungsfirma ist problematisch, weil sie mit zwei öffentlich-rechtlichen Trägern auch die Personalien von Nutzern für zielgruppenspezifische Werbung will.

Dieses sogenannte Targeting läuft so: Wer zum Beispiel Autorennen anschaut, wird registriert, und die Personaldaten werden etwa für gezielte direkte Porsche- oder Alfa-Romeo-Werbung verkauft und genutzt. Oder wer in der Gesundheitssendung eine Schwangerenberatung verfolgt, wird anschliessend persönlich mit Werbung für Babyartikel überschwemmt.

Das von Admeira geschaffene Monopol ist unerwünscht. Durch die Übernahme der zweiten grossen Werbevermarkterin, der Goldbach-Gruppe, durch Tamedia hat sich die Situation entspannt. Innerhalb der Schweiz besteht nun ein Duopol. Dennoch sollte die SRG als Aktionärin aus der Admeira aussteigen. Zur Vermarktung von Werbezeiten könnte die SRG Admeira weiterhin nutzen.

An sich hätten die SRG und alle grossen Verlagshäuser ein objektives Interesse, eine potente, neutrale schweizerische Werbevermarktungsplattform nutzen zu können. Denn die grossen Nutzniesser der Werbeplatzierung im wachsenden Online-Werbemarkt sind nämlich nicht die Schweizer, sondern USA-Giganten wie Facebook und Google. Sie saugen heute laut Bundesamt für Kommunikation über 70 Prozent des elektronischen Werbevolumens der Schweiz ab; und diese Schweizer Werbemilliarde pro Jahr versteuern sie nirgends!

Die SRG, die Verleger und die Werbewirtschaft sollten sich bei der Werbevermarktung für eine schweizerische Lösung zusammenraufen. Die Entscheidsituation ist allerdings kompliziert. Es brauchte einen Mediator. Ständerat Filippo Lombardi hat dazu einen runden Tisch vorgeschlagen.

Mehr Gebührengelder für die Privaten

Die zweite Baustelle ist das künftige Verhältnis zwischen SRG und Verlegern. Richtig ist, dass die SRG ihr Archivmaterial den Zeitungsverlagen und Privatsendern gratis oder gegen eine Administrativgebühr zur Verfügung stellen will, soweit es die Urheberrechte Dritter zulassen. Was öffentlich finanziert wird, sollen auch alle nutzen können.

Es ist durchaus diskutabel, den 34 Lokalsendern einen grösseren Anteil an der Medien-Haushaltgebühr zuzuweisen. Heute sind es 6 Prozent. Einige Verleger nutzen heute über SRF 1 im Turnus das Presse-TV-Fenster. Die politischen Diskussionssendungen von NZZ, «Basler Zeitung», «Südostschweiz» und «Bilanz» am Sonntagmittag auf SRF 1 sind mindestens so informativ und meinungsbildend wie die showmässig inszenierte «Arena». Warum nicht auf SRF 1 und SRF Info auch weiteren Verlagen wie Tamedia, AZ-Gruppe, Ringier solche Fenster öffnen, wenn sie es wünschen?

Warum nicht auch den beiden Kampfblättern links und rechts, der «Wochenzeitung» und der «Weltwoche», eine Nische auftun? Auch sie tragen zur Meinungsvielfalt bei. Ich stelle mir eine starke SRG vor, die als nationales Rückgrat des Service public viel Information und Sport, aber auch Kultur und Unterhaltung anbietet. Sie soll quasi als «offenes Haus» den privaten und lokalen Verlegern den Zugang zu allen neuen elektronischen Medien offen halten und diese nicht verdrängen.

Knacknuss Onlinestrategie

Die dritte grosse Baustelle ist die gesetzliche Ordnung einer zukünftigen Onlinestrategie in der Schweiz. Sie ist die schwierigste. Es ist eine Tatsache, dass es immer weniger lineare Mediennutzung gibt, wie wir Älteren es gewohnt sind. Man schaut Fernsehinhalte und Serien immer mehr zeitversetzt auf Handy, Tablet oder PC. Man nutzt immer mehr spezielle Onlinevideo-Produktionen und wünscht weniger Text.

Die SRG braucht den Onlinezugang für alle ihre Sendungen und eigenen Onlineproduktionen, aber für sie muss ein generelles Onlinewerbeverbot gelten. Dies als Kompensation für die garantierten 1,2 Milliarden Franken aus der Medien-Haushaltgebühr. Der Bundesrat möchte diese neue Situation mit einem neuen Bundesgesetz über elektronische Medien regeln. Ich halte das für eine Hochrisikostrategie. Weder SRG noch Verleger rufen nach einer solchen Totalrevision. Vielleicht ist eine Teilrevision des heutigen Radio- und Fernsehgesetzes effizienter.

Damit sind wir wieder bei der Politik. Das Parlament ist kaum zu besseren und mehrheitsfähigen Lösungen fähig. Die SVP hat zwar mit dem 72-Prozent-Nein-Stimmen-Anteil eine herbe Abfuhr erlitten, auch bei den eigenen Wählern. Auch die Spitze des Schweizerischen Gewerbeverbands wurde von der eigenen Basis in den Kantonen schmählich im Stich gelassen.

Verleger und SRG müssen handeln

Aber trotz dieser Abfuhr wird die SVP weiterhin gnadenlos die SRG demontieren, den SRG-Journalismus madig machen und die Haushaltgebühren scheibchenweise abschneiden wollen. Dahinter steht die versteckte, langfristige Agenda, wie sie nationalistische Rechtsparteien überall anstreben, nämlich der Aufbau von eigenen, privaten Informationskanälen zur Meinungsbeeinflussung. Mit der SVP und den Anarcho-Libertären ist auch nach der Abstimmung kein Kompromiss möglich – aber mit der heutigen Leitung der SRG und den Verlegern schon.

Den eigentlichen Akteuren, also der SRG-Führung, den Verlegern und der Werbewirtschaft, kann man nur raten: Einigen Sie sich bezüglich der Unternehmensstrategien vorparlamentarisch und scharen Sie sich um die neue Medienstrategie des Bundesrats! Wenn man die Gestaltung solcher komplexer Medien- und Onlinestrukturen dem polarisierten Parlament überlässt, wird es für die SRG, die Verleger und für uns Medienkonsumenten nur unberechenbar und gewiss nicht besser.

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