Kartellgesetzrevision: Es wird ein Gewaltmarsch

Essay zur Kartellgesetz-Revision (KG-Revision), publiziert in “Unternehmer Zeitung” Nummer 4, vom April 2012.

 

Kartellgesetzrevision:  Es wird ein Gewaltmarsch


Was bringt sie denn, die von Bundesrat Johann Schneider-Ammann nach vielen verwaltungsinternen Windungen dem Parlament vorgelegte KG-Revision?

Die drei wichtigsten Reformpunkte:

  • Materiell sollen alle fünf Kartellarten (Preis-, Mengen- und Gebietsabreden sowie vertikale Preisbindungen und Gebietsabschottungen) grundsätzlich und generell verboten werden. Schon die Zugehörigkeit zu einer solchen Kartellgruppe soll strafbar werden, sofern der Beteiligte sich nicht auf einen Ausnahmegrund berufen kann (man spricht von einem vollständigen oder  per-se.Kartellverbot). Bislang sind solche Abreden nur verboten, wenn sie in der konkreten Auswirkung den wirksamen Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigen; die Weko muss ihnen dies beweisen.
  • Unternehmenszusammenschlüsse sollen aufgrund von EU-Kriterien beurteilt und verboten resp. zugelassen werden. Solche Fusionen wirken sich meist grenzüberschreitend bei multinationalen Firmen aus und sollen deshalb eurokompatibel beurteilt werden.
  • Als neue Entscheidbehörde soll ein Kartellgericht eingerichtet werden, das als wettbewerbspolitische Kammer im Bundesverwaltungsgericht angesiedelt wird. Die Weko, bisher ein eher zahnloses und entscheidschwaches Milizgremium aus Professoren und Verbandsvertretern, soll aufgehoben werden. Und das bisherige Weko-Sekretariat soll als Wettbewerbsbehörde die Rolle einer anklageberechtigen Staatsanwaltschaft übernehmen.

 

Widerstände und Schlupflöcher sind programmiert

Die KG-Revisionsvorlage soll im April oder Mai 2012 in der Wirtschaftskommission WAK des Ständerats beraten werden. Die Mehrheit der Verbände von links bis rechts, SGV, EconomieSuisse und SGB, werden Ablehnung der Revision beantragen oder so viele Ausnahmen des per se-Kartellverbots einfügen, dass es nicht mehr greift. Man kann nämlich derart viele „legitime Geschäftsgründe“ (Legitimate Business Reasons) als Schlupfloch einbauen, dass eine gerichtliche Verhinderung von Abreden gerichtlich gar nicht mehr durchsetzbar ist. Es lässt sich immer ein geschäftlicher Grund für eine Abrede finden: zum Beispiel, dass eine Absprache die „Effizienz“ erhöhe, dass eine gemeinsam abgesprochene Ersatzteil-Lagerhaltung nötig sei, dass die Firmenkooperation für das Know-how wichtig sei, dass ein selektiver Vertriebskanal mit speziellen Verkaufsstellen allen diene, und so weiter. Solche Einwände sind letztlich eine Ermessenssache und vor dem Gericht nicht justiziabel.

 

Ich gebe aus diesen Gründen einem vollständigen Kartellverbot, wie es der Bundesrat im letzten Jahr unter dem Eindruck der Frankenaufwertung beschlossen hat, politisch kaum Chancen. Oder dann bloss die Chance, dass ein  Scheinverbot mit Schlupflöchern entsteht. Denn mittels „Legitimate Business Reasons“ als Ausnahmegrund lässt sich in der Gerichtspraxis jedes Verbot aushebeln. Zumal gierige Wirtschaftsanwälte aus Zürcher Kanzleien nur darauf warten, solche Ausnahmeregeln für sich lukrativ auszureizen und gegenüber einem völlig überforderten Gerichtsapparat auszuspielen.

 

Vorrangig sind die überteuerten Importe.

Die Konsumentenverbände und der Detailhandel sind zwar für eine Verschärfung des Wettbewerbs und des Kartellverbots, aber ihr Anliegen ist eigentlich viel spezieller: Sie möchten, dass die Importpreise runter geholt werden. Die Preise ausländischer Markenartikel sind in der Schweiz 20, 30 ja oftmals über 50% höher als die Preise identischer Produkte in unsern Nachbarländern. Identische Nivea-Kosmetikartikel werden von Beiersdorf Deutschland 40 bis 100 % teurer in die Schweiz geliefert als im deutschen Inland. Und Migros, Coop und Denner können die Produkte nur über einen selektiven Vertriebskanal auschliesslich in der Schweiz beziehen. Von einem Bezug in Deutschland werden sie ausgeschlossen – ein klassischer Preismissbrauch zum Schaden der Schweiz, der bisher in der Wettbewerbspolitik nicht wirksam erfasst worden ist. Er schädigt nicht nur die Konsumenten, sondern auch die KMU und gewerblichen Betriebe, die in der Schweiz einkaufen müssen. Diese Preisdiskriminierung gegenüber der Schweiz fördert den Einkaufstourismus ennet der Grenzen. Er wird derzeit auf fünf Milliarden Franken Einkaufsvolumen pro Jahr geschätzt.

 

Ausgerechnet diese gezielte Hochpreisstrategie mit selektiven Vertriebskanälen durch ausländische Markenlieferanten wird mit der bundesrätlichen Kartellgesetzvorlage nicht angegangen. Sie kann zwar ins per se-Verbot hinein gelesen werden, aber die preistreibenden selektiven Vertriebskanäle – die heute häufigste Wettbewerbsbehinderung – werden gerade nicht wirksam angegriffen.

 

Eine gezielte Bekämpfung der unzulässigen Hochpreisstrategie bei Importgütern hat die vom Nationalrat angenommene Motion der Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo aufgezeigt: Wenn die Lieferpreise ausländischer Konzerne in die Schweiz bedeutend höher sind als im Ausland und wenn diese Konzerne den Bezug von Produkten durch Schweizer im Ausland unterbinden, soll dies als rechtswidrig behandelt werden.  Diese „Lex Nivea“ würde dem Detailhandel, den Konsumenten und den KMU-Zulieferern den Zugang zum direkten Einkauf im Ausland eröffnen. Wir haben schon früher in der UZ hingewiesen, dass die  EconomieSuisse diesen Wettbewerbsartikel absurderweise bekämpft, wohl mehr aus dogmatischen Gründen und zum Schaden der KMU, die auf Einkäufe in der Schweiz angewiesen sind.

 

Weko in ein Gericht umwandeln stärkt die Wettbewerbspolitik

Die Aufhebung der Weko wird von einigen Verbänden ebenfalls bekämpft, weil sie ihren Sitz in der Behörde verlieren würden. Die Weko hatte sich als Milizgremium aus den früheren Zeiten der Kartelltoleranz in unser Jahrhundert hinein gerettet. Mit der heutigen Sitzungskadenz von einem Tag pro Monat kommt die Weko nicht mehr zurecht. Sie ist heute völlig vom vorbereitenden Sekretariat abhängig. Die immer Marktstrukturen werden immer komplexer. Und Kartellanwälte kämpfen mit immer härtern Bandagen.  Dies erfordert eine Professionalisierung der Entscheidinstanz, die in einem Kartellgericht mit vollamtlichen Richtern und unter fallbezogener Zuwahl von Richtern mit unternehmerischer Erfahrung besser erreicht wird.

 

Reformprozess ist eine steile Bergwanderung

Die Interessenkontroverse der Profi-Akteure in Verbänden und Anwaltskanzleien und die Komplexität der Vorlage werden die Kartellgesetzreform im Parlament zu einer steilen Bergwanderung machen. Sie wird die Parlamentarier überfordern und von den Lobbyisten abhängig machen. Und sie wird dem Wirtschaftsminister Schneider-Ammann den Atem nehmen. Denn die Sachbearbeiter in seinem eigenen Departement sind unter sich uneins und orientieren sich stärker am Lehrbuch als an der Praxis.

 

Eigentlich sollte man mit der Kartellgesetzrevision vorrangig jenes Problem angehen, das im Sommer 2011 als Hauptgrund für die dringende Reform erkannt worden ist: nämlich die rasche, vorgezogene Einführung von Massnahmen gegen die hohen, wirtschafts- und konsumentenschädigenden Importpreise.

 

 Kartellgesetz: Kartellgesetz-Revision wird zum Gewaltmarsch, Kol. für UZ vom April 2012.

 

 

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