Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 17.April 2012.
«Das war der dritte Streich.» Gemeintist der überraschende «Streich» gegendie EU, gegen deren Finanzministerund gegen die ungeliebten Deutschen.Geäussert wurde dieser Triumphvon der NZZ-Redaktion, die sich immernoch als Sprachrohr eines gestraucheltenPrivatbankiers versteht undregelmässig auf den Bundesrat wegenseiner Nachgiebigkeit eindrischt.
Anlass für das Frohlocken war dasinnert weniger Verhandlungswochenherbeigeschluderte Abkommen übereine Abgeltungssteuer mit Österreich.Die Abgeltungssteuer soll mit eineranonymisierten Abschöpfungauf den Zins- und KapitalerträgenausländischerSteuerflüchtlinge dasBankgeheimnis in die Zukunft retten.
In der EU wollen 25 von 27 Staateneinen irgendwie automatisiertenInformationsaustausch unter denSteuerämtern, bei dem die Bankengegenüber den Steuerbehörden – undnur gegenüber diesen – zur Auskunftverpflichtet sind. Auch die USA,Kanada und die OECD streben diesesSystem an. Nur zwei von 27 EU-Ländernlegen sich quer: England, derenkonservative Regierung in SachenFinanzmarktregulierung seit langemeinen Kleinkrieg gegen die andernEU-Staaten führt, und Österreich,in welchem die Banken wie bei unsdie Illusion der Kundenanonymitäthochhalten wollen. Ausgerechnet mitdiesen zwei fiskalpolitischenAussenseitern schliesst die Schweizjetzt ein Abgeltungssteuer-Abkommen,das darauf abzielt, den Informationsaustauschzu unterlaufen. DasAbkommen mit Deutschland ist geradedeswegen heute in der Schwebe.
Ziel der Abgeltungssteuer war stets, dieEU-Steuerharmonisierungsstrategiezu unterlaufen. Man versprach denabkommenswilligen Ländern eineEntschädigung als Köder. Als Gegenleistungerhoffte man von ihnen dieRespektierung des schweizerischenBankgeheimnisses.
Schweizer Bankiers haben inDeutschland, England und anderswosogar professionelle Lobbyisten aufdortige rechtsbürgerliche Kreiseangesetzt, um die Abgeltungssteuerzu verkaufen. Es waren die FinanzministerFrankreichs und Italienssowie die EU-Kommission, die demeinen Riegel schoben. Die von KonradHummler (Bank Wegelin) und denPrivat- und Auslandbankiers initiierteAbgeltungssteuer wird als Schlaumeierlösunggewertet. Sie ist eineverhandlungspolitische Sackgasse.
Nicht alle Banken sind glücklichüber diese Lösung. Von den 330Banken in der Schweiz sind nämlichnur etwa 30 bis 40 aktiv in derWerbung für ausländische Privatvermögenengagiert. Die Mehrzahlder Banken betreibt Inlandgeschäfte,und die beiden Grossbanken UBS undCS haben heute ohnehin mehrheitlichinstitutionelle Anleger wie Banken,Versicherungen und Pensionskassenals Kunden. Diese brauchen keinBankgeheimnis.
Bei uns hat kaum jemand den Mut,offen auszusprechen, welchennachhaltigen politischen Schadendie Verfechter von Abgeltungssteuerund Bankgeheimnis für den Rufder Schweiz in aller Welt anrichten.
Wenn das Abgeltungssteuer-Abkommenin Deutschland innenpolitischaufläuft, dann hat sichs dieSchweiz selber eingebrockt. Denn anüber 10 Milliarden Euro Steuerertragaus der rückwirkenden Regularisierungsabgabe,wie dies der deutscheBundesfinanzminister den Bundesländernin Aussicht gestellt hat, glaubtheute in Deutschland niemand mehr.
Hauptgrund für die Desillusionierungist die von den SchweizerUnterhändlern erzwungene«Abschleichfrist» für deutscheVermögen: Wenn ein deutscherVermögensbesitzer vor dem31. Dezember 2012 sein Kapitalvon der Bank in der Schweiz zu einer(Schweizer) Bank in Ostasien oder zueinem Vermögensverwalter abziehtund sein Schweizer Bankkontoschliesst, spart er sich die Regularisierungsentschädigungvon 21 bis41 Prozent auf dem Kapitalbestandder letzten zehn Jahre. Die in der Nachverhandlungerzielte Erhöhung desMaximalsatzes von 34 auf 41 Prozenthat die Wahrscheinlichkeit desAbschleichens noch erhöht. Nach dem1. Januar 2013 kann er dann ohnerückwirkende Entschädigungspflichtzurückkommen.
Der frühere CEO von CS und UBS,Oswald Grübel, erklärte jüngstunmissverständlich, zahlreichedeutsche Kunden seien daran, ihrVermögen (vorübergehend) nachSingapur oder anderswohin zuverlegen, um sich die saftige Regularisierungsentschädigungzu ersparen.Die Deutschen nennen sie «Abschleicher», die Schweizer Unterhändlerneutraler «Verschwinder». DieseAbschleichfrist bis zur Inkraftsetzungdes Abkommens entpuppt sich jetztals grösste Schwäche des Abkommens.Hätte man als Stichdatum denZeitpunkt seiner Unterzeichnung undVeröffentlichung gewählt (September2011), wäre das Abkommen inDeutschland heute wohl ungefährdet.Die nachträgliche, anonymisierteMitteilung an die deutschen Behördenüber die Summe der Verschwinderist natürlich kein Ersatz.
Die Abgeltungssteuer mag eineÜbergangslösung sein. Ein Ersatz füreinen automatisierten Informationsaustauschüber Kundensteuerdaten istsie nicht. Die Banken würden mitLetzterem sogar besser fahren als mitjeder Art von «Weissgeldstrategie», diedie Bankangestelltenzu mitverantwortlichenMinisteuerexperten macht.Das hat der clevere Raiffeisen-Chef alsErster erkannt. Das weiss auch derBundesrat, und das wissen viele inBundesbern.
Nur spricht es niemandoffen aus.Redlicherweise müsste der Bundesratgegenüber Parlament und Öffentlichkeitoffen deklarieren, dass dieAbgeltungssteuer-Abkommen nureine Übergangsregelung darstellen.Denn das Steuererfassungssystem derEU und der USA wird sich OECD-weitdurchsetzen. Das Steuerhinterziehungsgeheimnisder Banken hatschlicht keine Zukunft. Vorausschauendmüsste der Bundesratjetzt mit Brüssel Verhandlungen überein Banken- und Steuerabkommenaufnehmen. Er müsste eine geregelte,moderate Beteiligung der Schweiz amInformationsaustausch anbieten. Sonstwird er wieder unter Druck geraten.Gewiss werden ihm die paar Ewiggestrigenunter den Bankern undBürgerlichen und die Chefredaktorenvon «Weltwoche» und NZZ erneutWillfährigkeit gegenüber dem Auslandunterstellen. Aber diese tragen ja keineVerantwortung – weder für die Moralnoch für den Ruf unseres Landes.
Sackgasse Abgeltungssteuer, Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 17.April 2012.
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