Handeln statt Panikmache zum EU-Abkommen

Kolumne im Tagesanzeiger/Bund/BaslerZeitung vom 19.02.2019

Von Woche zu Woche werden wir derzeit mit Drohbotschaften zum Institutionellen Rahmenabkommen (InstA) überschüttet. Zum Beispiel mit der Voraus-Panikmache aus Wirtschaftskreisen für den Fall, dass das Abkommen scheitert. Oder mit dem Lamento der Rechten wegen des Souveränitätsverlusts im Falle der Annahme. Oder mit subtilen Drohbotschaften aus der EU-Bürokratie, die von Brüsseler Korrespondenten schnellstens verbreitet werden.

Der Krieg um Meinungen und Expertengutachten hat begonnen und wird sich noch intensivieren. Am «Swiss Desk» in der Präsidialabteilung der EU-Kommission in Brüssel verfolgt man die Berichterstattung in Schweizer Zeitungen. Dort sucht man in der Schweizer Politlandschaft nach den druckempfindlichen Schwachstellen.

Eine häufige Panikschiene ist die Drohung, die Schweizer Exporteure würden den Marktzugang zum EU-Binnenmarkt verlieren. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, durch Fachgespräche den – angeblich bedrohten – Marktzugang wegen technischer Handelshemmnisse zu beurteilen. Konkret geht es dabei um die verhinderte Anpassung an die technischen Produktevorschriften der EU. Solche Normen sind uns Konsumenten meist durch sichtbare CE-Kennzeichnungen bekannt.

Die CE-Normen werden zwar von EU-Kritikern als bürokratisch und kostspielig gebrandmarkt, aber sie bringen uns zwei Vorteile: Erstens erleichtert die Angleichung der technischen Normen den Import und Export der Produkte. Sie beseitigt verteuernde Handelshemmnisse. Zweitens dienen diese Normen auch dem europaweiten Konsumentenschutz, dem Giftschutz und der Qualitätssicherung.

Für Schweizer Exporteure ist die Anpassung an CE-Normen längst eine Selbstverständlichkeit, die sie ohne Murren einhalten. Dabei «Souveränitätsverluste» zu beklagen, ist praxisfremd.

Seit 2002 hat die Schweiz mit der EU mit den Bilateralen I ein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Produktenormen oder, technisch ausgedrückt, von Konformitätsbewertungen. Dieses komplexe MRA-Abkommen (Mutual Recognition Agreement) umfasst derzeit ganze 444 Seiten. Die Schweiz anerkennt dabei mit wenigen Ausnahmen praktisch alle EU-Normen.

Ein Schweizer Exporteur kann heute die Typenprüfung seiner Produkte entweder bei einer benannten Prüfstelle in der Schweiz durchführen lassen – und damit ist sie auch im EU-Markt anerkannt. Oder er kann sie in einer ausländischen Prüfstelle beurteilen lassen – was aus Kostengründen häufig vorkommt –, und damit sind die Produkte automatisch auch in der Schweiz zugelassen.

Wenn allerdings in Zukunft im Extremfall einer drastischen EU-Handelssanktion das MRA gänzlich ausser Kraft gesetzt würde, müsste ein Schweizer Exporteur die Konformitätsprüfung in einem EU-Land und in der Schweiz doppelt vornehmen. Die doppelte Typenprüfung würde zwar etwas teurer, bliebe aber auch so garantiert. Das Lamento über den verweigerten Marktzugang beim Wegfall des MRA ist also schlicht irreführend.

Schwieriger wird es, wenn in einem Produktebereich fundamental neue EU-Normen geschaffen werden. Dies ist derzeit nur in einer von zwanzig Produktgruppen geplant, nämlich bei Medizinalprodukten wie Implantaten, Spitalgeräten und Diagnostik-Techniken (Life Science). Für sie ist auf Mai 2020 eine vollständig überarbeitete technische Prüfung und Kontrolle vorgesehen – ausgelöst durch Patientenschädigungen durch Implantatehersteller und gesponserte Forschungsprofessoren.

Die EU hat das bisherige MRA-Abkommen mit der Schweiz als Ganzes nie infrage gestellt. Aber der EU-Kommissar Hahn hat als politisches Druckmittel neben anderen Nadelstichen angedroht, die notwendigen Vertragsanpassungen (zum Beispiel bei Medizinalprodukten) zu blockieren, bis sich die Schweiz dem von ihr geforderten institutionellen Abkommen unterzieht. Die Schweizer Exporteure müssten dann im schlimmsten Fall in einem EU-Land, wie die aussereuropäischen Lieferanten, einen «Bevollmächtigten» mit der Typenprüfung beauftragen und bezahlen, der für sie die Marktzulassung abwickelt. Das brächte zusätzliche Kosten und Umtriebe. Fantasiezahlen von 500 Millionen Franken sind allerdings zehnmal zu hoch. Die bisher gültigen Medizinalproduktezulassungen sind noch bis 2024 gültig.

Panik ist heute fehl am Platz. Aber die Schweizer Wirtschaft und der Bundesrat müssten jetzt schon für den Fall von EU-Strafmassnahmen vorausschauend, ähnlich wie bei der Börsenäquivalenz, mit einer Schadensvermeidung planen.

Erstens sollte der Branchenverband Swiss Medtech heute schon in einem EU-Land eine Dienststelle errichten, die als «Bevollmächtigte» für Schweizer Exporteure die Marktzulassung organisiert. Je mehr allerdings die Branchenexponenten hierzulande öffentlich lamentieren, desto eher ziehen sie als «politisch sensible Druckstelle» Sanktionen Brüssels auf sich.

Zweitens sollte der Bundesrat per Gesetz die Marktzulassung von Produkten nach erfolgter EC-Anerkennung auch in der Schweiz automatisieren, und zwar ohne Swiss Finish und ohne falsche Berufung auf nationale Souveränität. Damit würden die Exportfirmen auch im Falle der Sistierung des MRA von einer doppelten Zulassungsprozedur befreit.

Mein vorläufiger Befund: Das (vorläufige) Hinausschieben des Rahmenabkommens bringt für wenige Branchen etwas mehr Kosten. Kein Exporteur wird aber den Marktzugang zum EU-Binnenmarkt verlieren. Man muss jetzt halt, zur Schadensvermeidung, vorausschauend agieren, statt zu lamentieren.