Die Zersiedelungsinitiative verteuert das Wohne

Zersiedelungsinitiative, Raumplanung, Mieter, Immobilienpreis

Wer liebt sie nicht, die grünen, unverbauten Landschaften? Wem tut es nicht weh, wenn in Alpenkurorten wüste, mondäne Städte wuchern oder wenn im Dorf der letzte Bauernhof eingeht? Genau diese Sehnsucht nach grünen Landschaften macht die Zersiedelungsinitiative auf den ersten Blick sympathisch.

Diese Volksinitiative der Jungen Grünen will zeitlich unbegrenzt, also irreversibel, neue Bauzonen rigoros verbieten, wenn nicht anderswo eine Grünfläche «von mindestens gleicher Grösse und vergleichbarem potenziellem landwirtschaftlichem Ertragswert aus der Bauzone ausgezont wird».

Die Publizität um die Zersiedelungsinitiative dreht sich vor allem um Bodenerhalt und Landschaftsschutz. Doch vielen ist nicht bewusst, dass dieses Volksbegehren, würde es angenommen, Bauland genau dort verteuert, wo es am meisten benötigt wird. Es verteuert das Wohnen in der Agglomeration und ist mieterfeindlich. Der geforderte Bauzonenabtausch zwischen Stadt und Land ist ein frommer Wunsch.

Je knapper ein Gut, desto teurer wird es. Das Bundesamt für Raumentwicklung bestätigt diese Baulandteuerung mit einer Auswertung der schweizerischen Bauzonenstatistik von 2012 bis 2017 (Studie Fahrländer). Deren Schlussfolgerung: «Wird die Zersiedelungsinitiative angenommen und die Bauzone auf gesamtschweizerischer Ebene auf dem heutigen Stand eingefroren, so führt dies in weiten Teilen der Schweiz zu höheren Immobilienpreisen.»

Ich wirkte 13 Jahre als Präsident des Schweizerischen Mieterverbands (Deutschschweiz), zuvor einige Jahre des Bernischen, und ich masse mir an, den Wohnungs- und Baumarkt aus Mietersicht einigermassen zu beurteilen. Aus sozialpolitischer Sicht warne ich vor dieser Initiative. Es erstaunt, dass der Schweizerische Mieterverband neutralisiert worden ist und jetzt auf eine Stellungnahme zu dieser Initiative mit mieterpolitischem Sprengstoff verzichtet. Verbandsinterne Kritiker sagen, da hätten die Politiker in der Verbandsleitung wohl die Mieterinteressen der Parteipolitik untergeordnet – was bestritten wird.

Die Initianten und manche Ortsplaner propagieren als Ersatz für den Baulandverbrauch eine «Siedlungsentwicklung nach innen» mit einer «inneren Verdichtung». Das tönt gut, aber in der Realität heisst dies: Wo in Altbauten Wohnungen an- oder ausgebaut werden, sind diese, weil massgeschneidert, extrem teuer. Und wo Neuüberbauungen entstehen, wird in die Höhe gebaut, meist mit weniger Grünfläche pro Einwohner, weniger Bewegungsraum in sterilen Siedlungen mit weniger Spielplätzen für Kinder. Die Erfahrung mit verdichteten Hochhausquartieren von Le Lignon (Genf) über Bümpliz (Bern) bis Oerlikon zeigt: In der ersten Generation wird Durchmischung organisiert; in der zweiten Generation läuft schleichend eine soziale Entmischung bis hin zu Ghettoquartieren und Schulklassen mit 20 fremdsprachigen Kindern.

Nun, es gäbe durchaus Instrumente für eine rationale, bodenpreisstabilisierende Ortsplanung. Es bräuchte eine übergeordnete Instanz, die nötigenfalls einen Bauzonenabtausch erzwingen kann. Aber genau eine solche fehlt in der Initiative. Es bräuchte zudem Hortungsbeschränkungen für Bauland und Vorkaufsrechte der Gemeinden. Auch diese fehlen. Das bürgerliche Parlament wird gewiss nicht mit einer Baulandabtausch-Pflicht die Gemeinde- und Kantonsautonomie beschränken.

Exponenten des Initiativkomitees beschuldigen Einfamilienhaussiedlungen des Landverbrauchs. Eine solche Polemik gegen die «Verhäuselung der Schweiz» ignoriert, dass die Wohn- und Einfamilienhaussiedlungen heute eine grössere biologische Vielfalt mit Bäumen, Sträuchern, Gärten, Nistkästen, Tümpeln aufweisen als die Mais-, Raps- und Getreidefelder nebenan in einer Landwirtschaft, die eh schon mit Produktionsüberschüssen kämpft.

Würde die Zersiedelungsinitiative angenommen, würde der Wohnungsbau angesichts des Bevölkerungs- und Zuwanderungsdrucks noch mehr ins Hinterland verdrängt – zu Dörfern mit noch vorhandenen Bauzonenreserven. Den Städten brächte es noch mehr Pendler. Genau solche, in abgelegene Gebiete verdrängte Siedlungen zerstören die Landschaft. Die Zersiedelungsinitiative wirkt deshalb landschaftsschützerisch kontraproduktiv, stellt der Bundesrat fest.

Deshalb hat sich die Stiftung für Landschaftsschutz, die seinerzeit die Landschaftsinitiative lanciert hatte, von der Zersiedelungsinitiative distanziert. Im Vorfeld zu diesem Volksbegehren versuchten verschiedene Landschaftsschutzverbände, die jungen Initianten zu einer realistischen Formulierung zu bewegen, doch die fachlich unbelastete Jungpartei suchte ihre eigene radikale Profilierung.

Der Bundesrat lehnt die extreme Zersiedelungsinitiative ab und verweist auf das vom Volk angenommene Raumplanungsgesetz, das bereits Bauland-Rückzonungen erzwingt, wo Bauzonen zu gross sind. Bis Ende April 2019 müssen alle Kantone ihre Richtpläne vorlegen, die der Bund genehmigen muss. Demnächst steht eine zweite Raumplanungsrevision bevor, mit der das Bauen ausserhalb der Bauzonen eingeschränkt wird. Auch Pro Natura und andere Landschaftsschutzverbände wollen mit einer Volksinitiative Druck machen, um die Landschaft ausserhalb der Bauzonen zu schützen. Solches ist dringend nötig. Denn die Landschaft wird nicht innerhalb der Siedlungsräume, sondern ausserhalb der Bauzonen mit Tausenden Ausnahmebewilligungen für die Baulobby zersiedelt. Diese Entwicklung muss man gezielter bekämpfen, anstatt den Agglomerationsgemeinden und Städten ein Preistreiberkorsett aufzuzwingen.