Der gute Ruf der Schweiz

Bei der Initiative zur Konzernverantwortung geht es erneut um die Frage, ob globale Spielregeln auch von in der Schweiz ansässigen Multinationalen einzuhalten sind.

In der laufenden Parlamentssession geht es um den guten Ruf der Schweiz. Auch um eine Frage, die möglicherweise bald die Stimmbürger beschäftigen wird.

Im Nationalrat wird nämlich nächste Woche die Konzernverantwortungsinitiative behandelt und über die Frage abgestimmt, ob statt einer Volksabstimmung deren Hauptforderungen in Form eines Gegenvorschlags ins Gesetz übergeführt werden sollen. Die Rechtskommission hat einen solchen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet und ausführlich begründet. Würde dieser angenommen, würde mutmasslich die Volksinitiative zurückgezogen, und ihr Anliegen könnte um Jahre früher in die Praxis umgesetzt werden.

Im Kern geht es um die Forderung, dass in der Schweiz ansässige Konzerne auch im Ausland Menschenrechte und international anerkannte Umweltstandards einhalten sollen. Ganz speziell im Visier sind die rund 500 ausländischen Rohstoffkonzerne, die ihren Hauptsitz in der Schweiz halten und als «schweizerisch» gelten, obschon meist kein Schweizer die Verantwortung trägt. Es geht um die Geschäftstätigkeit von Öl- und Bergbaukonzernen, die zum Beispiel von südafrikanischen Rohstoffmagnaten, russischen Oligarchen oder kasachischen Ölhändlern beherrscht werden und deren korrupte Tochtergesellschaften sich in Entwicklungsländern über alle Regeln der korrekten Geschäfts­tätigkeit hinwegsetzen.

Die Konzernverantwortungsinitiative benennt dazu gewisse Sorgfaltspflichten und Regeln der Firmenberichterstattung, die die Konzerne auch bezüglich der Geschäfte ihrer Tochtergesellschaften im Ausland erfüllen müssen. Sie will auch eine Haftung der Konzernmutter für die Schädigungen, die ihre Töchter im Ausland bei Menschenrechtsverletzungen und krassen Umweltzerstörungen verursachen. Eine solche Mutter-Tochter-Haftung ist bei uns im Inland zum Beispiel im Konkursfall längst eine Selbstverständlichkeit. Warum soll eine solche Verantwortung in multinationalen Konzernen nicht auch weltweit gelten?

Die Konzernverantwortungsinitiative wird von über hundert Entwicklungshilfswerken, kirchlichen Organisationen und Menschenrechtsverbänden getragen. Zu ihren Exponenten gehören Persönlichkeiten, die um den guten Ruf der Schweiz besorgt sind. Auch prominente ehemalige bürgerliche Politiker gehören dazu. Deshalb geniesst die Initiative bei ersten Umfragen eine mehrheitliche Akzeptanz bei der Schweizer Bevölkerung. Wer will schon krumme Touren von Glencore und Co. in Schutz nehmen?

Die Rechtskommission des Nationalrats schlägt nun vor, mit einem indirekten Gegenvorschlag die Grundsätze der Initiative ins Aktienrecht und Zivilrecht zu übernehmen, zum Beispiel eine Sorgfaltsprüfung der Konzerne für ihre Töchter, die sie direkt kontrollieren. Der Gegenvorschlag klammert indes kleinere und mittelständische Unternehmen sowie Konzerne mit besonders kleinen Risiken aus; er grenzt die Haftung ein auf Schäden an Leib und Leben oder Eigentum, und er fordert die Einhaltung nur jener spezifischen Menschenrechte und Umweltstandards, die auch in der Schweiz rechtsgültig und ratifiziert sind.

Es war der Zürcher Rechtsprofessor und SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt, der als Kommissionsmitglied die Gesetzestexte des Gegenvorschlags formuliert und dazu den 18-seitigen juristischen Kommentar verfasst hat. Juristen bestätigen, dass es sich um eine seriöse, solide Arbeit handelt, die lückenlos die eingeschränkten Haftungsbestimmungen, die Verhältnismässigkeit und Zumutbarkeit für die Gerichte unzweideutig und justiziabel auflistet.

Durch unschöne Attacken ist Vogt als Kommissionssprecher ausgebootet und auch von eigenen Parteikollegen im Stich gelassen worden. Nun wird die freisinnige Nationalrätin und Juristin Christa Markwalder als Kommissionssprecherin den Nationalrat vom Gegenvorschlag der Rechtskommission zu überzeugen versuchen.

Der Ausgang der Debatte um den Gegenvorschlag ist ungewiss. Der Interessenverband der multinationalen Firmen in der Westschweiz (Groupement des Entreprises Multinationales GEM) mit 91 Grossfirmen unterstützt ihn, ebenso der Verband für nachhaltiges Wirtschaften ÖBU mit rund 300 Firmen und Banken.

Dem Vernehmen nach zeichnet sich auch in der Basler Konzernwirtschaft ab, dass man sich eher mit dem Gegenvorschlag Vogt der Rechtskommission arrangieren würde, als das Risiko einer Annahme der Konzernverantwortungsinitiative einzugehen. Man befürchtet zu Recht ein Konzerndebakel wie bei der Annahme der Abzockerinitiative. Einen solchen Abstimmungskampf würden die Grossfirmen nicht ohne Reputationsschaden überstehen.

Andere weisen darauf hin, dass auch in andern Ländern – etwa in Frankreich, geplant auch in der EU – die Konzernpflichten ausgebaut werden. Der weltweite Trend geht in die Richtung, dass die Konzernmutter für die Töchter haftbar wird. Im Bereich der systemrelevanten internationalen Banken ist dies bereits verbindliche Praxis. Auch die Offenlegung der Konzernzahlungen an die ausländischen Regierungen, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, ist internationaler Trend.

Allerdings gibt es vor allem in der Szene der Wirtschaftsanwälte auch Hardliner, die gegen jede staatliche Regelung Sturm laufen und das Hohelied von Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Konzerne wiederholen. Bei Economie­suisse schreibt der Wirtschaftsjurist Thomas Pletscher Papier um Papier gegen die Festschreibung der Konzernverantwortung. Bereits bei der Abzockerinitiative hatte er die Parlamentarier so schlecht beraten, dass letztlich kein Kompromiss zustande kam und die Volksinitiative angenommen wurde. Er hatte die Situation schlicht falsch eingeschätzt.

Derartige Fehleinschätzungen würde ich auch beim ehemaligen Chefjuristen von Novartis, Felix R. Ehrat, vermuten. Als Scharfmacher zog er bisher durch die Konzernwelten, bezichtigte die Konzernverantwortungsinitiative des «Rechtsimperialismus» und die Initianten des «Klassenkampfs». Nun hat er als General Counsel und Geschäftsleitungsmitglied den Pharmakonzern verlassen, nachdem Novartis in einen teuren und umstrittenen Lobbyingvertrag mit dem Trump-Intimus Michael Cohen verwickelt gewesen war.

Es gehört zur Klugheit von Politikern, den Fehleinschätzungen von irre gewordenen Wirtschaftsjuristen nicht auf den Leim zu gehen, auch wenn diese mit ihrer Fachkompetenz für sich momentane Meinungsführerschaft beanspruchen.

Im Grunde geht es bei der Auseinandersetzung einmal mehr um die Frage, ob global akzeptierte Spielregeln auch von in der Schweiz ansässigen multinationalen Konzernen einzuhalten sind. Menschenrechte gelten weltweit. Und Umweltstandards sind zunehmend auch global verbindlich. Wenn der Gegenvorschlag im Parlament durchfällt, müssten sich die Konzernchefs in einer Volksabstimmung erklären, was ihnen als Multinationale solche internationalen Rechtsnormen und der gute Ruf der Schweiz wert sind.