Das Jahr der Wahrheit für den Finanzplatz ist angebrochen

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 8. Januar 2013

Kurz vor Jahresende hat die abtretende Bundespräsidentin Eveline Widmer- Schlumpf laut über die Zukunft des Bankgeheimnisses nachgedacht. Ihre Denkaufgabe an die Nation: Welche Möglichkeiten bleiben der Schweiz, nachdem sie auf Begehren der Grossbanken das Fatca-Abkommen mit den USA unterzeichnet hat, das eine automatische Bankdatenlieferung an die amerikanische Steuerbehörde vorsieht? Schliesslich kann man den Europäern schlecht verweigern, was man den Amerikanern zugesteht.

Vor ihrem öffentlichen Nachdenken war die Bundespräsidentin in Luxemburg, wo sie erfuhr, dass auch diese letzte Bankgeheimnisbastion in Europa auf den automatischen Bankdatenaustausch einschwenken wird.

Wer die Entwicklung unbefangen beurteilt, erkennt: der automatisierte Bankdatenaustausch zu Steuerzwecken wird in allen Industriestaaten kommen. Es wird keine Steuergeheimnis-Sonderfallinsel mehr toleriert werden. Helvetische Erfindungen wie Abgeltungssteuer und Weissgeldstrategie sind, nüchtern betrachtet, längst überholt. Mit anderen Worten: Schrott.

Die Aufforderung der Bundespräsidentin, über Alternativen nachzudenken, war logisch zwingend und realitätsbezogen. Was folgte, war ein parteipolitischer Eiertanz. Die FDP-Politiker Philipp Müller und Rudolf Noser schalteten auf Angriffsmodus und forderten, Widmer-Schlumpf das Bankendossier zu entziehen und dem FDP-Aussenminister zu übertragen. SVP-Nationalrat Hans Kaufmann proklamierte: «Es gibt nichts nachzudenken.» Und Neu-Bundespräsident Ueli Maurer machte in Wir-gegen-den-Rest-der-Welt und erklärte in einem Interview: «Die Staaten, die uns unter Druck setzen, wollen einfach ans Geld.» Jemand sollte Maurer schonend aufklären, dass es nicht um unser Geld geht, sondern um das gestohlene Geld anderer Rechtsstaaten.

Vollends die Contenance verlor die NZZ-Redaktion. Mit einer Serie redaktioneller Attacken auf die Bundespräsidentin und giftigen Leserbrief-Pfeilen proklamierte sie wie im Kalten Krieg: nicht einknicken, durchhalten! Den Startschuss gab der Vielschreiber Hansueli Schöchli (hus), der schon lange über den Stand der (geheimen) Verhandlungen mit dem Ausland rapportiert, als sei er ein «eingebetteter Journalist» beim Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF). Unter vieldeutiger Berufung auf anonym bleibende «Angehörige des Finanzdepartements » berichtete er, Bundesrätin Widmer-Schlumpf sei dem zuständigen Staatssekretär Michael Ambühl meuchlings in den Rücken gefallen. Die FDP-Politiker Müller und Noser übernahmen diese These flugs – politisch eine tödliche Umarmung für den glücklosen Staatssekretär.

Die politischen Turbulenzen der letzten Wochen legen den Schluss nahe: Das Problem Nummer eins sind derzeit nicht die Banken – die wollten aus Eigeninteresse die rasche Unterzeichnung des Fatca-Abkommens und die direkte Bankdatenlieferung an die USA –, sondern die Politiker. Wenn sie jahrelang einen Mythos vertreten, glauben sie mit der Zeit selber daran und sind unfähig, ihren Katechismus der Realität anzupassen. Der Prozess ist schmerzhaft – daraus erklärt sich ihre gereizte Stimmung.

Wer in der Bankenwelt hätte Prestige genug, den bürgerlichen Schaumschlägern eine Sendepause zu verordnen? Früher gab es solche Figuren. Etwa als die Schweiz 1997/98 unter massivem Druck der US-Regierung und jüdischer Kreise stand, die nachrichtenlosen Vermögen aus der Zeit des Holocaust zu bereinigen. Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz hatte Mühe damit und sprach von «jüdischer Erpressung», worauf er sich öffentlich entschuldigen musste. Der Bundesrat entsandte Thomas Borer als Sonderbotschafter in die USA, wo dieser als Blender-Lobbyist eingeschätzt wurde und gar nichts auszurichten vermochte.

Daraufhin reiste der Präsident der Credit Suisse, Rainer Gut, schon damals ein Überbanker, in die USA zu Gesprächen. Nach seiner Rückkehr verlangte er von Bundesbern und der Bankenszene ultimativ ein Einschwenken. Mit den jüdischen Kreisen in Amerika, so machte er klar, sei nicht zu spassen; den Schweizer Banken würden Boykotte drohen. Die Maulhelden des patriotischen Widerstands im Parlament, die sich zuvor als Winkelriede vor die Banken hatten stellen wollen, wurden plötzlich kleinlaut. Guts Strategie der Schadensbegrenzung führte dazu, dass die Schweizer Banken schliesslich 1,2 Milliarden Dollar an die Vereinigungen der Naziopfer zahlten.

Diese und andere Erfahrungen im Parlament haben mir vor Augen geführt, dass Bundesbern bei Finanzplatzproblemen nie die Kraft aufbringt, von sich aus Ordnung zu schaffen. Es brauchte immer den Druck des Auslands und die Banken im Würgegriff, die dann in Bern ihre Interessen durchsetzten. Diese deprimierende Einsicht gehört eben auch zur Staatskunde.

Ich bin nicht Prophet, aber es ist vorauszusehen: Noch in diesem Jahr werden gewisse Banker in aller Stille ins Bundeshaus pilgern und von der Regierung ultimativ die Erlaubnis zur künftigen Bankdatenlieferung an europäische Staaten fordern. Denn im Rahmen der Einführung der europäischen Finanzmarktrichtlinie Mifid II werden sie ohne Kooperation mit Steuerdaten nicht mehr den gleichberechtigten Zugang zum EU-Finanzmarkt erhalten. Die meisten Banken fahren administrativ ohnehin besser mit der automatischen Datenlieferung als mit irgendeiner Weissgeldstrategie, welche die Bankangestellten mit aufwendigen Steuerprüfpflichten belastet, ja quasi zu Ministeuerbeamten macht.

Die Frage der Strategie spaltet die Schweizerische Bankiervereinigung. Die interne Stillhaltevereinbarung ist Ende 2012 abgelaufen. Präsident Patrick Odier, dessen Bank vermutlich auch Fluchtgelder aus Frankreich verwaltet, will das Steuerfluchtgeheimnis aber mithilfe der Privatbanken und hiesiger Auslandbanken weiterhin verteidigen. Umso nötiger wäre eine mutige Stimme in der Bankenwelt, die sich realitätsbezogen für einen Strategiewechsel einsetzt.

Der nachhaltige Imageschaden für unser Land – beschert durch eine Minderheit unbelehrbarer Steuerfluchthilfe- Banker – müsste eigentlich jeden patriotischen Bürger beunruhigen.

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