Schicksalsjahr 2013 für die Berufsbildung

Die duale Berufslehre und ihre verkappten Gegner.

Kolumne Rudolf Strahm in: Schweizerische Gewerbezeitung SGZ vom 11. 1. 2013.

 

„Ich hätte lieber etwas weniger, dafür bessere Maturanden.“ Mit diesem holzschnittartig formulierten Satz hat Bundesrat Johann Schneider-Ammann als Bildungs- und Wirtschaftsminister zweifellos die Grundhaltung in der schweizerischen Wirtschaft wiedergegeben und bei der deutschschweizerischen Bevölkerung breite Unterstützung gefunden. Doch aus den Universitäten und von Westschweizer Bildungsdirektoren erntete er Kritik, Häme und aggressive Reaktionen. Der Geschichtsprofessor Philipp Sarasin (Universität Zürich) trug mit seiner Häme gegen Schneider-Ammann den Akademikerdünkel erneut zur Schau und der Soziologe Daniel Oesch (Uni Lausanne) versuchte mit hanebüchenen Argumenten die Notwendigkeit höherer Maturitätsquoten zu „beweisen“.

 

Solche Stimmen aus der Universität vermögen die arbeitsmarktliche und wirtschaftliche Überlegenheit der dualen Berufslehre kaum zu erschüttern. Zumal gerade die geisteswissenschaftlichen Fakultäten an den Universitäten immer grössere Mühe haben, eine berufsbefähigende und arbeitsmarktlich gefragte Ausbildung anzubieten.

 

Viel subtiler und verkappter, aber auch gefährlicher für die Berufsbildung, sind jene Kritiken, die mit angeblich wirtschaftlichen Argumenten die duale Lehre in Frage stellen. Ich denke vor allem an die Herabminderung der Berufslehre durch die vorwiegend von Konzernen finanzierte, neoliberale Ideologiefabrik „Avenir Suisse“, die mit ihrer provokativen Publikation über „Die Zukunft der Lehre“ die duale Berufsbildung auf viel subtilere Art in Frage stellt und ihre Kritik landauf-landab an eigens organisierten öffentlichen Bildungsanlässen weiter verbreitet. Der Hauptverfasser, Patrik Schellenbauer, der zuvor als Bankökonom gearbeitet hatte und seine Unkenntnis über das Berufsbildungssystems mitbrachte, spricht verschleiernd von einer „gewissen Idealisierung“ der Berufslehre. Man „dürfe die Berufslehre nicht verabsolutieren“. Er fordert eine „Berufslehre auf Tertiärniveau“, also eine Art  Lehre für Studenten, die eine Hochschule besuchen. In Basel hat diese Forderung des Ideologie-Tanks grosse Verwirrung gestiftet, weil plötzlich unbedarfte Konzernvertreter aufgrund von Avenir-Suisse-Empfehlungen vom Kanton eine neue Bildungsstruktur für eine „Tertiär-Lehre“ forderten. Dabei gibt es mit der Berufs- und Fachmaturität und mit einem strukturierten Praktikumsjahr für Gymnasiasten bereits einen Fachhochschulzugang.

 

Treibende Kraft dieser verkappten Kritik an der Berufslehre ist allerdings nicht der Bankökonom Schellenbauer – der wurde einfach für diesen Job bei Avenir Suisse beauftragt – sondern nach seinem eigenem Bekunden Ernst Buschor, der bei Avenir eine Beraterrolle ausübt. Buschor war immer schon Gegner der Berufslehre (ich hatte schon in den Neunziger Jahren mit ihm gestritten). Als Zürcher Bildungsdirektor strebte er eine Vereinheitlichung und Zusammenlegung von Gymnasium und Berufsfachschulen an. Und im übrigen stiftete er mit seiner technokratischen Reformwut ein heilloses Bildungsdurcheinander mit einer Polarisierung, von der sich der Kanton Zürich bis heute nicht erholt hat.

 

Die Berufsbildung hat viele verkappte Gegner oder Verächter. In der Romandie besteht geradezu eine Ignoranz. Die betriebliche Lehre gilt in manchen elitären Kreisen der Westschweiz links und rechts bloss als eine Art „Arme-Leute-Job“.

 

Reformen der Berufsbildung nötig

Wir müssen allerdings in der Berufsbildung dem Strukturwandel und den veränderten arbeitsmarktlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. Die branchenmässige Verteilung der Lehrstellen hinkt dem Strukturwandel in der Schweizer Wirtschaft hintennach und entspricht jener Branchenstruktur, wie sie vor einem Jahrzehnt geherrscht hatte. In neueren Berufen und Dienstleistungsbranchen hatte man die Einführung oder Stärkung der dualen Berufslehre verpasst – oder die Mängel durch Rekrutierung von Ausländern im Zeichen der Personenfreizügigkeit zugedeckt. Zum Beispiel bei den Pflegeberufen mit Fachangestellten Gesundheit (FAGE) und Fachangestellten Betreuung (FABE), oder bei den Informatiker-Lehrstellen. Die Berufslehre ist nicht auf die Handwerks- und niederschwelligen Berufe beschränkt – wie manche sich dies clichéhaft vorstellen. Der bildungsmässige Abstand zur Mittelschule und zum Gymnasium darf nicht zu gross werden, wenn die Berufslehre weiterhin als Einstieg für die wirtschaftliche Elite der KMU-Wirtschaft gelten soll.

 

Erstens müssen bei höherschwelligen, wissensbasierten Mangelberufen wie Informatikern vermehrt Basisjahre in Berufsfachschulen angeboten werden: Lehrlinge, die bereits einen Lehrvertrag mit einer Firma im Sack haben, verbringen das erste (für Betriebe teuerste) Lehrjahr in der Berufsfachschule, wo sie Basis-Knowhow wie Digitalkenntnisse, technisches Englisch, Informatik-Grundkenntnisse vermittelt erhalten.

 

Zweitens sind in höherschwelligen Berufen zwei, drei zusätzliche Wochenstunden Berufsschulunterricht – nicht eine Verschulung – nötig, zum Beispiel für technisches Englisch und Schlüsselkompetenzen. Bei allen Berufen ist eine zweite Wochenstunde Deutsch vonnöten. Eine obligatorische Einführung einer Fremdsprache für alle ist abzulehnen, weil Fremdsprachunterricht auch ausgrenzend wirkt. In technischen Berufen ist heute technisches Englisch unabdingbar. Doch eine zweite Deutschstunde pro Woche ist für alle nützlich und auch für die Wirtschaft gewinnbringend, besonders auch bei Secondo-Lernenden.

 

Drittens ist  – dies ist die entscheidendste Schicksalsfrage für die Zukunft des Berufsbildungssystems – die höhere Berufsbildung aufzuwerten. Die eidgenössische Berufsprüfung, die höhere eidgenössische Fachprüfung und die Höhere Fachschule sind die natürlichen und anerkannten  Karriereschritte der mittleren Kader und der Elite der KMU-Wirtschaft. Diese Bildungsgänge sind bei der Verbreitung neuer Technologien in der KMU- Wirtschaft absolut vorrangig. Der SGV hat zum Glück diesen Knackpunkt der gesamten Berufsbildungspolitik erkannt und fordert zu Recht mehr Bundesmittel für die höhere Berufsbildung und eine Titelaufwertung.

 

Es braucht eine prestigemässige Aufwertung der Titel der höheren Berufsbildung im Vergleich zu den vollschulischen und akademischen Abschlüssen! Die Behandlung der Motion Aebischer im Nationalrat, die für Absolventen der höheren Berufsbildung zusätzlich zur bisherigen Diplombezeichnung auch eine höhere Einstufung mit dem Titel des „Professional Bachelor“ fordert, ist bildungspolitisch und prestigebezogen ein entscheidender Tatbeweis. Entgegen seinen verbalen Bekenntnissen zur dualen Ausbildung lehnt der Bundesrat diese Motion ab. Und der Präsident der Fachhochschulvereinigung, Nationalrat Christian Wasserfallen, bekämpft aus rein standespolitischen Interessen seiner FH-Absolventen die Aufwertung der Höheren Berufsbildung. Er schädigt damit auch die KMU-Wirtschaft, für die dieser Bildungsweg ein Rückgrat darstellt.

 

In diesem Jahr fallen einige wichtige, lange hinausgeschobene Entscheide. Es ist ein Schicksalsjahr für die höhere Berufsbildung, ja für die Zukunft des dualen Bildungssystems überhaupt.

 

Schickslsjahr hat begonnen. Verkappte Gegner der Berufsbildung. SGZ v.11. Januar 2013.

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.