Schweizerisches Berufsbildungssystem im Zeichen der Globalisierung. Titelkompatibilität.

 

Schweizerisches Berufsbildungssystem im Zeichen der Globalisierung

Wie international kompatibel sind unsere Bildungsdiplome?

(Beitrag in KMU-Zeitschrift  “Organisator” : Bildungsmarkt Schweiz. Februar 2012. )

 

von Rudolf Strahm  

 

Präsident Schweizerischer Verband für Weiterbildung SVEB.

 

 

Lange Jahre wurde die schweizerische Berufsbildung in ihrer Bedeutung verkannt und neben den akademischen Bildungsgängen als Stiefkind behandelt. Vor allem in der Romandie und bei welschen Politikern galt sie immer ein wenig als „Arme-Leute-Bildung“.

Berufsbildung ist überlegen

Heute wissen wir aus internationalen Vergleichen und jüngst auch aus OECD-Analysen, dass das duale Berufsbildungssystem in Bezug auf Arbeitsmarktfähigkeit der Jugendlichen und auf Konkurrenzfähigkeit des gewerblich-industriellen Sektors eindeutig überlegen ist. Die fünf europäischen Länder mit einer Berufslehre haben klar tiefere Jugendarbeitslosenquoten als Länder mit vollschulischen Bildungsgängen. Die Berufsbildungsländer sind die Schweiz, Deutschland, Oesterreich, Holland und Dänemark. In der Schweiz haben wir eine fünf mal tiefere Jugendarbeitslosigkeit als Finnland, das bei den Pisa-Ratings zwar immer brilliert aber die betriebliche Berufslehre nicht kennt.

Die Berufslehre garantiert unseren Industriebranchen trotz hoher Löhne und Preise eine enorm starke internationale Konkurrenzfähigkeit  –  dank der Arbeitsqualität, Präzisionsarbeit, Termintreue und Nischenproduktion mit spezialisierten oder massgeschneiderten Lösungen.

Die Stärke unseres Berufsbildungssystems besteht heute auch in der Durchlässigkeit. Jeder Abschluss ermöglicht eine Weiterbildung, Spezialisierung und Höherqualifizierung nach dem Motto: Kein Abschuss ohne Anschluss. Wer eine Berufslehre mit dem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis EFZ abgeschlossen hat, kann in über 520 Bildungsgängen einen Höhere Berufsbildung (sog. Tertiär B) beschreiten. Und wer eine Lehre mit EFZ und Berufsmaturität hinter sich hat, kann prüfungsfrei in eine Fachhochschule (Tertiär A) und ist nach dem FH-Abschluss heute auf dem Arbeitsmarkt mehr begehrt und gleich gut bezahlt wie Universitätsabsolventen.

Höhere Berufsbildung als Innovationsvehikel

Die Wirtschaftspublizistik dreht sich vorwiegend um die grossen Namen der börsenkotierten Konzerne. Doch über 99% der 300’000 Unternehmen in der Schweiz sind kleine und mittlere Firmen mit weniger als 250 Beschäftigten. Fast zwei Drittel aller Arbeitsplätze in der Schweiz werden von den KMU angeboten. Mit Ausnahme einiger wissensbasierter Neubranchen rekrutieren die KMU weniger Universitätsabgänger, sondern vielmehr Fachleute mit Berufslehre, Höherer Fachschule HF, höhern Berufs- und Fachprüfungen oder allenfalls einer Fachhochschule FH.

Die Bedeutung der höhern Berufsbildung wird von vielen verkannt. Wirtschaftspublizisten und Akademiker wissen meist nicht, was Tertiär B ist. Und sie kennen die 520 Spezialabschlüsse kaum. Dennoch ist Tertiär B zahlenmässig ebenso gewichtig wie die Ausbildung auf Stufe Tertiär A, zu der die Universitäten, ETH  und Fachhochschulen gehören.

Die Diffusion neuer Technologien, etwa der neuen Rechnungslegungspraxis, der neuen Geschäftspraktiken in Spedition, Controlling, Marketing, der gesamten Business-Informatik und der neuen gewerblich-industriellen Technologien  läuft über die meist berufsbegleitenden Kurse und Bildungsgänge der höhern Berufsbildung. Für die KMU-Wirtschaft ist die Höhere Berufsbildung das absolut entscheidende Vehikel zur raschen Anpassung an den technologischen Wandel.

Titelbezeichnungen sind nicht vergleichbar

Die höhere Berufsbildung hat allerdings ein Reputationsproblem, das durch  die Personenfreizügigkeit manifest geworden ist. Es betrifft die Titelfrage. Die schweizerischen Diplome der höhern Berufsbildung werden nicht als gleichwertig betrachtet.

Wenn bei uns ein KV-Absolvent einen mehrjährigen berufsbegleitenden Bildungsgang bis zum eidgenössisch diplomierten Treuhänder oder Controller durchlaufen hat, ist er höchst qualifiziert, berufserfahren und bald 30-jährig. Durch die Personenfreizügigkeit entsteht eine neue ungleiche Konkurrenzsituation, weil ein 23-jähriger Bachelor der Betriebswirtschaft aus einer ausländischen Universität, der noch keinen Tag in einem Betrieb gearbeitet hatte, auf dem Arbeitsmarkt einen akademischen Titel vorweisen kann. Vor allem in Grossfirmen, in denen immer mehr ausländische Manager und HR-Verantwortliche ohne Kenntnis des schweizerischen Berufsbildungssystems das Sagen haben,  führt dies zur Ungleichbehandlung.

Es braucht eine Anpassung der schweizerischen Titelbezeichnungen der Höhern Berufsbildung. Ein schweizerischer Absolvent einer Höhern Fachschule HF braucht zusätzlich zur bisherigen deutschsprachigen Titelbezeichnung den international vergleichbaren Titel als „Professional Bachelor“. Oder, als Alternative, könnte man die Diplome unterscheiden in „Bachelor HF“ und „Bachelor FH“. Und die Absolventen der höhern Berufs- und Fachprüfungen sollen das Recht auf adäquate, anerkannte MAS- und CAS-Titel erhalten.

Bildungsbürokratie produziert Nulllösung

Nach unzähligen Interventionen von Aussen und sichtlich widerwillig hat nun das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT einen Verordnungsentwurf zur Vergleichbarkeit von Bildungsgängen vorbereitet, der bis Mitte Mai 2012 in der Vernehmlassung ist.

Die Vorlage des BBT ist unbefriedigend, ja peinlich und ärgerlich. Man will die Titeläquivalenz mit einem „Diploma Supplement“ lösen, das nur für Spezialisten der Personalbüros verständlich ist. Von einer Angleichung der Titel ist in dieser verwaltungsbürokratischen Nulllösung nicht mehr die Rede.

Nach über zwei Jahren verwaltungsinterner Prüfung soll jetzt mit einem sog. Nationalen Qualifikationsrahmen ein abstrakter Raster mit acht Abstufungen eingeführt werden. Dieser Raster lehnt sich an den Europäischen Qualifikationsrahmen an. Später soll dann ein Äquivalenzverfahren eine Einstufung aller Berufe ermöglichen – eine selbst auferlegte, nie endende bürokratische Monsteraufgabe.

Es braucht jetzt von der Politik her Entschiedenheit, die höhere Berufsbildung aufzuwerten und damit das schweizerische Berufsbildungssystem mit seinen zahlreichen Spezialisierungen auch europakompatibel und globalisierungsverträglich zu gestalten. Der neue Bildungsminister, Bundesrat Johann Schneider-Ammann, hat sich bisher mit Zaudern und unverbindlich-abstrakten Grussbotschaften versteckt. In diesem Jahr kommt die Stunde der Wahrheit. Jetzt ist das richtige Zeitfenster, in welchem sich die Berufsbildungsszene im Vernehmlassungsverfahren bemerkbar machen muss.

Rudolf Strahm

 

Der Autor:Rudolf Strahm ist Präsident des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung SVEB. Er war vorher 4 Jahre eidgenössischer Preisüberwacher und 13 Jahre Nationalrat.

PDF Download: ORGANISATOR.Art.Strahm_Berufsbildungs_und_Globalisierung_Titel_Febr.GzD. 9.März 2012

 

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