War diese Schocktherapie nötig?

Kolumen im Tages-Anzeiger – Dienstag, 3. Februar 2015 9

 

Nun müssen wir nach der Schocktherapie der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit einer Rezession rechnen. Dies prognostizieren zwei renommierte Wirtschaftsforschungsinstitute – die Konjunkturforschung ETH und die BAK Basel Economics – aufgrund der bisherigen Frankenaufwertung. Sie bestätigen den berechtigten zornigen Aufschrei aus der destabilisierten Exportwirtschaft.

Wenn der Eurokurs unter 1.10 bleibt, wird es dieses oder nächstes Jahr Zehntausende von Entlassungen geben. Und Bund, Kantone und Städte sowie die Arbeitslosenversicherung werden höhere Defizite einfahren. War denn diese Crashpolitik der Nationalbank-Leitung mit der plötzlichen, vollen Freigabe des Frankenkurses am 15. Januar 2015 nötig? Gibt es überhaupt eine Rechtfertigung für eine solche Schocktherapie, mit der ein dreiköpfiges Notenbankdirektorium eine Volkswirtschaft in die Rezession schicken darf, ohne dafür politisch Verantwortung zu übernehmen?

Wir warten immer noch auf eine ökonomische Begründung durch die Nationalbank-Leitung. Die Rechtfertigung: «Der Mindestkurs macht keinen Sinn mehr», ist keine rationale Begründung, nachdem die gleichen Exponenten noch ein paar Tage zuvor die Kursuntergrenze ökonomisch mit Deflationsgefahren verteidigt hatten. Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit solcher Aussagen?

Das Direktoriumsmitglied Fritz Zurbrügg begründete nachträglich den Schritt damit, die Aufrechterhaltung des Kurses von 1.20 Franken hätte extrapoliert im Monat Januar 100 Milliarden an Devisenkäufen verursacht. Doch nach den Griechenlandwahlen passierte weltweit nichts. Und nach der sorgfältig vorbereiteten, gigantischen Eurogeld-Expansion durch die Europäische Zentralbank (EZB) blieben die Finanzmärkte ebenfalls ruhig. Zurbrüggs Horrorbotschaft ist heute Makulatur.

Teutonisches Dogma des Monetarismus

Mit ihrem Entscheid hat die Nationalbank-Leitung in aller Stille einen grundlegenden Paradigmenwechsel eingeleitet: weg vom bisherigen pragmatischen Kurs der angelsächsischen Geld- und Währungspolitik des Philipp Hildebrand, die auch Rücksicht auf die Realwirtschaft nimmt (Exporte und Beschäftigung in der produzierenden Wirtschaft). Zurück zum teutonischen Dogma des Monetarismus, der mit angsterfülltem Röhrenblick auf Geldmenge und Inflationsgefahr stets die Realwirtschaft ignoriert. Die schmerzenden Auswirkungen dieses Dogmas haben wir in der Schweiz in den 90er-Jahren erfahren müssen, als es wegen Fehlleistungen der damaligen Nationalbank-Leitung ein siebenjähriges Nullwachstum und zweihunderttausend Arbeitslose gab. Thomas Jordan kommt aus der gleichen Denkschule. Er war früher ein Kritiker der Eurowährung und trug die Frankenbindung an den Euro wohl nur halbherzig mit.

Warum hat die SNB-Leitung diesen Zeitpunkt gewählt? Es wären ja Alternativen zur Verfügung gestanden. Warum hat sie den Wechselkurs mit Rücksicht auf die Exportwirtschaft zum Beispiel nicht auf 1.10 Franken fixiert? Oder diesen in einem angekündigten Band (Währungsschlange) eingebunden? Oder an einer neuen Ankerwährung von Dollar und Euro festgebunden, wie dies Ernst Baltensperger – der Doktorvater Jordans – vorgeschlagen hatte? Und vor allem: Warum hat die SNB im Dezember selber die Spekulation ausgelöst, indem sie einen homöopathisch unwirksamen Negativzins von nur minus 0,25 Prozent einen Monat im Voraus ankündigte, statt ihn über Nacht einzuführen?

Die SNB-Leitung geriet wegen ihrer eigenen Bilanzängste in Panik; es ging um Prestige. Die Ausdehnung der Nationalbank-Bilanz mit selbst geschöpften Franken war zwar ungewöhnlich, blieb aber ohne volkswirtschaftlichen Schaden. Das Auf und Ab der Nationalbank-Bilanz basiert nämlich bloss auf Buchgewinnen und -verlusten, mit denen bestimmte Kreise politische Polemik machen.

Allerdings ist dem Hauruck-Entscheid eine orchestrierte Kampagne gegen die Nationalbank vorausgegangen: Zu Jahresbeginn griffen Konrad Hummler, Martin Janssen, Kurt Schildknecht, Oswald Grübel und Hans Geiger in ihren Kolumnen die Nationalbank innert einer Woche heftig an und forderten sie zu einem Kurswechsel auf. Was sie eint: Sie alle vertreten blosse Anlegerinteressen und verteidigen deshalb einen harten Anlagefranken. Mit Christoph Blocher vereint sie die Aversion gegen die EU und den «siechenden Euro». Warum haben die Exponenten der Exportwirtschaft, etwa die Economiesuisse, nicht publizistisch gegen diese Kampagne reagiert und öffentlich Gegenpositionen markiert? Sie waren in den Ferien.

Es war folgerichtig, dass Thomas Jordan für die «Erlösung von der Bindung zum siechenden Euro» als Erstes höchstes Lob von den Blocher-Medien und von den deutschen Stahlhelm-Monetaristen erhielt. Unterstützung erhielt er auch von der Wirtschaftsredaktion der NZZ, die der Europäischen Zentralbank traditionell feindlich gesinnt ist.

Ich kenne die Akteure und die Politmechanik. Es soll niemand erzählen, dass diese konzertierten Druckversuche des nationalkonservativen Lagers die SNB-Leitung nicht auch beeinflusst haben. Die Geld- und Währungspolitik ist eben keine exakte Wissenschaft, sondern interessengeleitet, ideologiegebunden und abhängig vom publizistischen Mainstream. Wer in geistiger Achtungstellung vor dem dreiköpfigen SNB-Direktorium verstummt, verkennt den Charakter der Geld- und Währungspolitik. Was bleibt? Eine neue Anbindung mit einem festen Wechselkurs ist ausgeschlossen, weil man der Nationalbank-Leitung nicht mehr glauben wird. Der Zürcher Finanzprofessor Thorsten Hens, einer der wenigen Finanzwissenschaftler, die nicht am Tropf der Banken hängen, hat in einem aufsehenerregenden Beitrag vorgeschlagen, mit einem massiveren Negativzins auf ausländischen (nicht auf inländischen) Frankenanlagen von 5 oder notfalls 10 Prozent den spekulativen Frankenkauf abzuwehren und so den Kurs zu senken. Brasilien hatte Erfolg mit einer solchen «Spekulationssteuer».

Den angekündigten Negativzins von 0,75 Prozent hält Hens für zu «zögerlich» und zu wenig wirksam. Bankenkreise und Marktfundamentalisten würden bei einer solch griffigen Massnahme aufheulen. Auch dazu brauchte es Standhaftigkeit der SNB. Es bleibt bloss die Hoffnung, dass ich mit dem eingangs erwähnten pessimistischen Szenario unrecht habe und sich die Wirtschaftsforschungsinstitute, die jetzt eine Rezession voraussagen, einmal mehr täuschen.

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