Die Krückenbranche Elektrizität. Zur Kehrtwende in der Energiewende.

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 24. Februar 2015

Bislang war die in langen Verhandlungen vorbereitete Jahrhundertvorlage Energiestrategie 2050 von Bundesrätin Doris Leuthard recht breit akzeptiert. Im Nationalrat wurde sie angenommen. Nun steckt sie in der vorberatenden Kommission des Ständerats. Doch jetzt erleben wir bei der Konzernwirtschaft, angeführt von der Economiesuisse, eine Kehrtwende gegen das Programm Energiewende. Zur Rechtfertigung wird der Frankenkurs vorgeschoben. Dabei hat diese Kehrtwende andere Hintergründe.

Die grossen Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW haben schwere Verluste eingefahren. Sie müssen ihren Eignern, vor allem den Kantonen und Städten, massive Abschreibungen bei früheren Investitionen in Pumpspeicherwerken und Atomkraftwerken zumuten. Nun rufen die ehemals schwerreichen, gewinnträchtigen Elektrizitätskonzerne nach staatlichen Hilfsgeldern aus dem energiepolitischen Fördertopf des Bundes. Und die ihnen gehörenden Atomkraftwerke verweigern für Endlagerfonds und Stilllegungsfonds jene höhere Einlagen, die wegen der massiv gestiegenen Abriss- und Entsorgungskosten nötig geworden sind. Sie prüfen sogar eine Klage gegen den Bundesrat. Die reiche Stromwirtschaft ist innert kurzer Zeit zu einer Krückenbranche verkommen.

Was ist passiert? Woher kommen die Verluste in der Stromproduktion und im Stromgrosshandel? Es ist weder Fukushima noch die Energiestrategie des Bundesrats, sondern die Fehleinschätzung der früheren Stromkonzern-Manager, die zu Fehlinvestitionen geführt haben und heute zu Abschreibungen in Milliardenhöhe zwingen. Sie ignorierten die seit Mitte der Neunzigerjahre systematisch vorangetriebenen Investitionen in Solarstrompanels auf Deutschlands Dächern und in Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee. Die systematische und flächendeckende Förderung erneuerbarer Energien, verbunden mit der 80-prozentigen Preisreduktion von Solarpanels, hat in Europa die mittäglichen und abendlichen Strompreisspitzen gebrochen und generell europaweit die Elektrizitätspreise zum Einbruch gebracht. Die Rechnung der schweizerischen Stromkonzern-Manager, mit Pumpspeicherwerken und Spitzenstromlieferungen in ganz Europa das Geschäft zu machen, ging nicht mehr auf. Es waren die damaligen Konzernmanager Heinz Karrer von der Axpo, Kurt Rohrbach von den BKW und Hans Schweickardt von der Alpiq, die ihr Geschäftsmodell auf Hochpreisstrategien, Spitzenstromverkauf und Transitgeschäfte ausrichteten. Sie verpassten die technologische Entwicklung, vernachlässigten und verhöhnten die erneuerbaren Energien, ignorierten die strategischen Elektrizitätsinvestitionen für Fotovoltaik und Windnutzung in Deutschland, kurz: Sie alle produzierten unverzeihliche Managementfehler in ihrer Investitions- und Preispolitik. Sie vertrauten auf ihren politischen Einfluss in den Kantonen, im Bundesbern und auf ihre Durchsetzungsmacht gegenüber Preisüberwachung und Elektrizitätsbehörde Elcom.

Heute sind die damaligen Manager nicht mehr als CEOs aktiv. Es sind heute – das ist eine Ironie der Frauenförderung – die Frauen Jasmin Staiblin (Alpiq) und Suzanne Thoma (BKW), die nun als neue CEOs die Management-Fehlleistungen ihrer Vorgänger geschäftspolitisch auslöffeln müssen. Heinz Karrer, der als Quereinsteiger den staatlichen Ostschweizer Monopolkonzern Axpo ins Defizit managte, versucht als Economiesuisse-Präsident jetzt, frühere Managementfehler durch Vernebelungstaktik und Schuldzuweisungen an die bundesrätliche Energiestrategie zu überdecken.

Hoffentlich werden die Ständeräte, die jetzt über den Details der Energiestrategie 2050 brüten, sich der Fehlleistungen der ehemaligen Strommanager entsinnen und nicht vor den neuesten Verlautbarungen von Economiesuisse und von pensionierten Wirtschaftsprofessoren einknicken. Der Basler Professor Silvio Borner und seine Schüler hatten immer schon, seit Jahren, in unzähligen Artikeln und bestellten sogenannten Expertisen die Alternativen zur Atomkraft schlechtgeredet und dabei ob ihrer ultraliberalen Dogmatik die technologischen und preispolitischen Erfolge der deutschen Energiewende verschlafen. Dogmatismus schadet. Kernstück der langfristig angelegten Energiestrategie des Bundesrats ist ein Förderzuschlag auf der Energie von bisher 1,5 auf neu 2,3 Rappen pro Kilowattstunde. Unternehmen sollen bei der Förderabgabe entlastet werden. Aus diesem zweckgebundenen Zuschlag, nicht etwa aus Steuern, würden jährlich rund 3 Milliarden Franken für erneuerbare Energien, effizientere Energietechniken und Wärmedämmung von Gebäuden mitfinanziert. Weil die Förderabgabe nicht bloss die Energie verteuert, sondern auch die Investitionen in Energieeffizienz vorantreibt, ist sie viel wirksamer als blosse Energiesteuern, die nach dem Giesskannenprinzip zurückerstattet werden oder die Mehrwertsteuer ersetzen.

Von solchen Investitionsmassnahmen aus der zweckgebundenen Förderabgabe profitieren sowohl Hausbesitzer als auch Mieterhaushalte. Aber es profitieren auch gewerbliche Unternehmen mit hunderttausend Arbeitsplätzen in Gebäudetechnik, Baunebengewerbe und Effizienztechnologien. Es ist unverständlich, dass der Schweizerische Gewerbeverband nicht dezidierter für die Interessen seines technologisch effizienten Gebäudetechnik-Gewerbes kämpft. Drei Milliarden Franken Fördergelder während 30 Jahren, das sieht nach einer gigantischen Summe aus: gegen 100 Milliarden Subventionen in drei Jahrzehnten! Doch hiezu ein Kosten- Nutzen-Vergleich: Die Schweiz zahlt pro Jahr 33 Milliarden Franken für ihren Energieverbrauch, und sie zahlt davon jährlich 12 Milliarden ans Ausland für die Importe von Erdölprodukten, Gas, Uran. Mit einer langfristigen Förderstrategie können wir in den nächsten Jahrzehnten 200 Milliarden an Energiekosten einsparen. Die Energiestrategie 2050 des Bundesrats ist rational konzipiert und wird sich langfristig auszahlen. Deutschland, das schon vor zwanzig Jahren begonnen hatte, hat es vorgemacht und profitiert jetzt davon.

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