Kolumne von Rudolf Strahm in der Schweizerische Gewerbezeitung
Pensionskassen-Stiftungsräte und BSV sind zu zahm!
<< Sie sind alle viel zu lahm und zu zahm >>
Kolumne Rudolf Strahm in: Schweizerische Gewerbezeitung, SGZ, vom 6.11.2015,
Tatort Zürcher Finanzplatzszene: Ein Anlegerseminars für Pensionskassenverantwortliche in einem Zürcher Fünfsternhotel wurde angekündigt, gesponsert von Anlagemanagern und internationalen Fondsanbietern. Vorgesehen war auch eine Diskussion über die Kosten von diversen Pensionskassenanlagen und Hedgefonds. Der Vergleich von Anlagekosten und -risiken wäre für Pensionskassen zentral, doch das vorgesehene Thema wurde aus dem Programm gekippt. Der Grund: niemand aus der Anlegerszene und der Pensionskassenverwaltung wollte sich der Kostenfrage stellen.
Das ist typisch und symbolhaft in der BVG-Szenerie: Sie jammert über die tiefen Zinsen und den hohen Umwandlungssatz. Swisscanto und CS publizieren periodisch alarmistische Studien über die demographische Entwicklung und den angeblichen Rentenklau der Alten an den Jungen. Doch über die Milliarden, die jährlich für die Vermögensverwaltung in den Finanzmärkten und Pensionskassenverwaltungen versickern, will man weder Transparenz herstellen noch darüber reden. Der Wirtschaftsjournalismus kolportiert beflissen die Zahlen von Swisscanto und CS und fragt nie nach den Kosten.
Vier Milliarden versickern
Ist den Arbeitgebern und Versicherten bewusst, dass auch heute noch, nach der Finanzkrise, rund 4,1 Milliarden Franken pro Jahr aus der Zweiten Säule als Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten versickern? Das ist im Mittel aller Kassen jeder siebte Franken der jährlichen Renten- und Kapitalleistungen. Der ehemalige Preisüberwacher ist in seiner beruflichen „Déformation professionelle“ beseelt von der Frage nach den Kosten. Es braucht immer eine Gegenüberstellung von Erträgen und Kosten!
Die Kosten von 4,1 Milliarden Franken pro Jahr sind wie folgt ausgeschlüsselt: Die mittleren Vermögensverwaltungskosten betragen derzeit 42 Basispunkte (= 0.42 Prozent) der Kassenanlagen. Diese Berechnung stammt von der Zürcher Finanzberatungsfirma c-alm, die erstmals 2011 im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherung BSV die Vermögensverwaltungskosten erhoben hatte. (Die heutigen 42 Basispunkte werden vom BSV bestätigt; 2011 betrugen sie noch 56 Basispunkte.) Auf den rund 750 Milliarden Franken an Pensionskassenvermögen fliessen also rund 3,2 Milliarden Franken pro Jahr an Vermögensverwalter, Asset Manager, Banken, Anlage- und Hedgefonds. Hinzu kommen noch die Verwaltungskosten der rund 2000 Pensionskassen, die für 2013 vom Bundesamt für Statistik BFS mit 860 Millionen pro Jahr beziffert werden. Zusammengezählt kommt man auf rund 4,1 Milliarden Franken „Abschöpfung“ durch die Pensionskassenszenerie. Gewisse Kostenelemente (sog. implizite Transaktionskosten und Kosten von Sammeleinrichtungen) sind dabei noch nicht inbegriffen, weil sie versteckt und nicht erfasst sind.
Diese Zahlen betreffen nur die Pensionskassen. Die Sammeleinrichtungen der Zweiten Säule bei der Privatassekuranz, bei denen zahlreiche KMU und Gewerbebetriebe angeschlossen sind, sind hier nicht mitgezählt, weil sie andern Regeln folgen. Mit der heutigen Mindestausschüttungsquote (Legal Quote) von 90% können die Lebensversicherungskonzerne 10% für sich abschöpfen, was pro Jahr rund 660 Millionen Franken ausmacht. Eine Erhöhung der Legal Quote auf 92% bis 94% wäre angebracht und liegt im Interesse des Gewerbes!
Vergleichbare Kenngrössen sind gefragt
Zurück zu den Pensionskassen: Es fehlt bis heute eine transparente Vergleichbarkeit der Kosten. Seit Jahren fehlt eine standardisierte Vergleichsziffer der Kosten – etwa Totalkosten in Prozent des Pensionskassenkapitals – , damit die Stiftungsorgane einen Benchmark-Vergleich durchführen können. Mit der Weisung 02/2013 der Oberaufsichtskommission der Beruflichen Vorsorge OAK müssen die Vermögensverwaltungskosten nun für das Jahr 2014 erstmals deklariert werden; und das Bundesamt für Statistik will Ende 2015 erstmals die aggregierten Zahlen zugänglich machen. Das BSV hat zwar – nicht zuletzt wegen dem Volks-Nein zur BVG-Vorlage von 2010 – auf Initiative des damaligen BVG-Verantwortlichen Martin Kaiser (jetzt beim Arbeitgeberverband) die Kostenfrage aufgegriffen, aber das Amt war bislang zu zahm und zu zögerlich bei der Durchsetzung.
Was man heute schon weiss und was von allen Insidern bestätigt wird: Die Hedgefonds-Anlagen und gewisse Private Equity-Investitionen sind die wahren Kostentreiber. Aus der ersten c-alm-Studie wissen wir, dass die 6% Hedgefonds- und Alternativanlagen über ein Drittel aller Vermögensverwaltungskosten auffressen! Riskante Hedgefonds-Anlagen mögen für eine kurze Zeit rentabel sein, aber für Pensionskassenvermögen, die im Durchschnitt für 20 Jahre angelegt werden, taugen sie nichts. Der Einsatz von zwangsersparten Pensionskassengeldern in Hedgefonds ist m.E. sträflich und inkompetent; aber ebenso der Verzicht auf Neuanlagen in Wohnliegenschaften. Denn letztere können immerhin eine Performance von 4 bis 5% über zwanzig Jahre hinweg ausweisen.
Wettbewerbsdruck zahlt sich aus
Von erfahrenen Stiftungsräten und Managern von Pensionskassen wissen wir, dass sich der Basispunkte betragen, gibt es immer noch zahme, ineffiziente Kassen mit über 60, aber auch effiziente mit bloss etwa 20 Basispunkten (z.B. die Publica, die konsequent keine Hedgefondsanlagen tätigt).
Bisher waren viele Stiftungsräte zu zahm und zu wenig wettbewerbsorientiert gegenüber der Anlegerszene und den Assetmanagern. Es fehlten ihnen standardisierte Vergleichsziffern. Ab nächstem Jahr allerdings können sie sich nicht mehr mit dem Fehlen von Vergleichsgrössen herausreden. Das Vertrauen in die Zweite Säule bleibt angeschlagen. Bei der nächsten Volksabstimmung über den BVG-Umwandlungssatz werden die derzeit vier Milliarden Franken, die jedes Jahr im „Selbstbedienungsladen Zweite Säule“ versickern, mit Sicherheit erneut eine zentrale Rolle spielen.