Kolumne von Rudolf Strahm – in TA-Media vom 1.12. 2020————————–
Bei der Fair-Preis-Initiative droht ein Kompromiss im Ständerat zu scheitern – wie schon bei der Konzerninitiative. Steht eine spannende Volksabstimmung vor?..............................................................................................
Der Ausgang der Abstimmung vom Sonntag über die Konzernverantwortungsinitiative ist, historisch eingeordnet, eine Sensation. Tausende Freiwillige hatten in einer Basisbewegung spontan mitgemacht. Das Abstimmungsresultat zeigt das verantwortungsethische Potenzial im Volk.
Economiesuisse, Swissholding, Glencore und Co. werden nicht ruhen können. Sie werden zwar ein Mehr an Imagebroschüren produzieren. Aber die ungelöste Frage der Konzernhaftung für Auslandtöchter wird sie weiter vor sich her treiben. Denn das Thema ist jetzt gesetzt: Globalisierung erfordert globale Spielregeln.
Nach der Abstimmung bleibt ein manifester Vertrauensschwund gegenüber Economiesuisse, ein Imageschaden für die Konzerne, ein Vertrauensverlust gegenüber der Justizministerin Karin Keller-Suter. Bisher galt das EJPD mit dem Bundesamt für Justiz im Rücken als «juristisches Gewissen». Nach den von vier Rechtsprofessoren festgestellten rechtspolitischen Fehlbeurteilungen der Departementschefin ist dieses Kompetenzzutrauen dahin.
Den Abstimmungsstress und die Polarisierung hätte man vermeiden können.
Diesen Abstimmungsstress und die Polarisierung hätte man vermeiden können. Nur eine Handvoll Kompromissverweigerer im Ständerat haben sie zu verantworten. Man erinnert sich: Der Nationalrat hatte nach intensiven Kommissionsarbeiten einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative mehrheitlich beschlossen. Dieser hätte zu einem Rückzug der Volksinitiative geführt. Der Ständerat verweigerte aber knapp mit 22 zu 20 Stimmen das Eintreten auf den Nationalratskompromiss. Nur eine kleine Gruppe von Kompromissverweigerern gab zusammen mit Bundesrätin Keller-Suter den Ausschlag. Mithilfe von CVP-Nationalräten war der Kompromissvorschlag zustande gekommen; und ihre CVP-Ständeräte schossen ihn ab. So ist die «Mitte».
Ich beschreibe diese rückblickende Bilanz, weil das Parlament in dieser Session wieder in einer analogen Entscheidsituation steht, nämlich bei der Fair-Preis-Initiative. Dieses Volksbegehren ist populär. Es bekämpft die ärgerliche Hochpreissituation bei importierten Produkten. Träger der Initiative ist eine breite Koalition von rund siebzig gewerblichen Branchenverbänden mit dem Konsumentenschutz.
Ähnlich wie seinerzeit bei der Konzernverantwortung hat der Nationalrat zur Fair-Preis-Initiative einen indirekten Gegenvorschlag erarbeitet und mit 154 zu 27 Stimmen angenommen. Dieser Gegenentwurf im Kartellgesetz könnte den Rückzug des Volksbegehrens auslösen.
Wird es eine Volksabstimmung geben, wird sie die bürgerlichen Parteien spalten.
Doch in der Wirtschaftskommission des Ständerats bekämpften die bekannten Kompromissverweigerer schon nur das Eintreten auf den Nationalratsvorschlag. Die Hardliner sind in der «Fahne» (Antragssynoptik) aufgeführt: Es sind die wirtschaftsnahen freisinnigen Ständeräte Ruedi Noser (Zürich), Thomas Hefti (Glarus) und Hans Wicki (Nidwalden).
Wenn der Ständerat nicht dem Gegenvorschlag der Nationalratsmehrheit folgt, wird es eine Volksabstimmung geben. Sie wird die bürgerlichen Parteien spalten. Denn der von ausländischen Lieferanten erzwungene Schweiz-Zuschlag von 30 bis 50 Prozent schädigt nicht nur hiesige Konsumenten, sondern auch die kleineren Betriebe, die Drogisten, Küchenbauer, Sanitärinstallateure, Landmaschinenkäufer, die gewerblichen Metall- und Elektrofirmen. Sie können nicht – wie die grossen Konzerne – günstig über ihre Konzernfilialen im Ausland direkt einkaufen.
Eine Preisvergleichsanalyse von Professor Mathias Binswanger von der Fachhochschule Nordwestschweiz von diesem Jahr zeigt, dass die Schweizer Sanitärinstallateure für ihre importierten WC- und Bad-Einrichtungen 90 Prozent mehr zahlen, als die gleichen Produkte gleichen Typs in Deutschland kosten: Das bedeutet Mehrkosten gesamthaft für die Schweiz von 950 Millionen Franken pro Jahr. Oder dass die Küchenbauer die importierten Küchengeräte sogar 150 Prozent teurer bezahlen als die gleichen Typen in Deutschland: Mehrkosten schweizweit 1200 Millionen. Auch der Branchenverband Swissmechanic hat in einem Beschaffungskostenvergleich vorgerechnet, dass seine KMU für ihre Werkstatteinrichtungen über den Alleinimporteur rund 50 Prozent mehr bezahlen. Ähnliches können die Garagisten bei der Beschaffung von Autorersatzteilen über den Alleinimporteur erzählen. Gleiches gilt für Hoteleinrichtungen, Gastroküchen, Spitalbetten oder Sportartikel.
Economiesuisse ist das Sprachrohr der Nutzniesser dieses volkswirtschaftlichen Unfugs.
Selbstverständlich gibt es auch Nutzniesser dieses volkswirtschaftlichen Unfugs. Es sind die (meist ausländischen) Markenartikelhersteller, die Alleinimporteure und jene Konzerne, die über ihre Filialen die Zulieferungen direkt aus dem Ausland beschaffen. Ihr Sprachrohr ist der Verband Economiesuisse. Dies sind unsere «Sonntagsliberalen»: Am Sonntag predigen sie den Wettbewerb – und von Montag bis Samstag verhindern sie ihn!
Wenn sich die Kompromissverweigerer im Parlament durchsetzen, wird es eine spannende Volksabstimmung geben. Für einmal wird nicht eine Links-rechts-Auseinandersetzung stattfinden, sondern eine Polarisierung zwischen diesen Wettbewerbsverhinderern und der inländischen KMU- und Konsumentenlandschaft, die den ungerechtfertigten Schweiz-Zuschlag ans Ausland bezahlen muss. Hoffen wir, dass sich in dieser Session noch eine Lösung abzeichnet.
Publiziert: 01.12.2020, in TA-Online, Tages-Anzeiger, Der Bund