Die Willkommenskultur für Oligarchen holt die Schweiz ein

“Der Bund” Samstagsausgabe vom 1. 7. 2023 (Print und Online) – von Rudolf Strahm

Willkommenskultur für Oligarchen holt die Schweiz ein

......................................................................................................................................................................................................................... Bundesrat und Parlament halten es nicht für nötig, dem Ruf aus dem Ausland nach mehr Kooperation beim Aufspüren sanktionierter Vermögen zu folgen. Das könnte gravierende Folgen haben.————- ———————————————————————————————- ———————————————————————

Im März übermittelte der US-amerikanische Botschafter Scott Miller eine Drohbotschaft: «Die Schweiz könnte 50 bis 100 Milliarden an russischen Vermögenswerten zusätzlich blockieren», sagte er der NZZ. Kurz danach erhielt der Bundesrat einen scharfen Brief, unterzeichnet von allen sieben Berner Botschaftern der mächtigen G-7-Staaten. Sie forderten mehr Kooperation und die Mitwirkung der Schweiz in der internationalen Taskforce «Russian Elites, Proxies and Oligarchs», die koordiniert die russischen Vermögen im Westen aufspürt und Informationen austauscht. 

Aus früheren Begehren der US-Behörden – etwa zu den nachrichtenlosen Geldern 1997 oder zu den amerikanischen Steuerfluchtkunden nach 2010 – weiss man: Solche «Wünsche» der USA können in Druckkaskaden und milliardenschweren Strafzahlungen für Banken münden. Bundesbern reagierte auf die G-7-Interventionen zunächst mit dem alten Reflex: Man lehnte ab. Die Seco-Chefin, Staatssekretärin Helene Budliger Artieda, wies die Vorwürfe der Botschafter empört zurück. Das Fernbleiben in der Taskforce rechtfertigte sie etwa so unbeholfen wie ihre Vorgänger. Und der medial omnipräsente Bankenprofessor Peter V. Kunz sekundierte sofort mit wissenschaftlichem Imponiergehabe, dass «die Kritik der G-7-Staaten verfehlt und politisch motiviert» sei.

Seither ist man in Bern realistischer geworden. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Bundespräsident Alain Berset bei dessen Besuch in Berlin ins Gewissen geredet. Als erstes Entgegenkommen teilte der Bund mit, man habe zusätzlich zu den 7,7 Milliarden an eingefrorenen Oligarchenvermögen weitere 7,4 Milliarden an Staatsvermögen der russischen Zentralbank identifiziert und arretiert. Seither zeigt das Seco klugerweise mehr Kooperationsbereitschaft, und die G-7-Botschafter haben darauf ihren Ton gemässigt.

Dem Finanzplatz der Schweiz und ihrer Anwaltsszene droht eine Zeitbombe. Die USA und weitere G-7-Staaten werden sie nicht schonen.

Die Stunde der Wahrheit für die Schweiz kommt mutmasslich erst nach einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg, wenn es darum gehen wird, den Wiederaufbau des zerstörten Landes zu finanzieren. Dieser wird heute vorsichtig auf 400 Milliarden Dollar beziffert. Für die westlichen Staaten ist klar, dass die eingefrorenen Zentralbankvermögen des Aggressorstaats Russland sowie die Oligarchenvermögen aus dem Putin-Umfeld für Reparationszahlungen beigezogen werden müssen. Solche Reparationszahlungen durch den Aggressor Irak sind auch nach dem Kuwait-Krieg multilateral durchgesetzt worden.

In Europa figurieren London und der Schweizer Finanzplatz als grösste Vermögensverwalter der Russen. Grossbritannien hat bereits 18 Milliarden Pfund (20 Milliarden Franken) eingefroren, die Schweiz die erwähnten zweimal 7 Milliarden Franken. Vorläufig noch nicht erfasst sind die Riesenvermögen der Dutzenden russischen Öl- und Rohstoffhandelsfirmen und ihrer Eigner, die aus Genf und Zug häufig auch für Russland operieren.

Jetzt holt uns die zwanzigjährige tolerante Willkommenskultur für russische Oligarchen wieder ein. Die geleakten Millionendokumente der Panama Papers und der Pandora Papers hatten aufgedeckt, wie renommierte Schweizer Anwaltskanzleien und Treuhandgesellschaften dank dem Anwaltsgeheimnis Tausende Tarnfirmen und Finanzkonstrukte von Oligarchen in der Karibik verwalten. Sie wirken als Drehkreuz im System, weil sie allein, nur sie, die Namen der wahren Berechtigten hinter den anonymen Tarnkonstruktionen kennen.

Hätte der Recherchedesk von Tamedia, der mit den grössten internationalen Zeitungen verbunden ist, diese Leaks zu den Tausenden von Tarnfirmen nicht auch bei uns veröffentlicht, wären diese globalen Zusammenhänge kaum je durchgedrungen.

Während alle Banken in der Schweiz heute dem Geldwäschereigesetz unterstellt und bei internationalen Affären auskunftspflichtig sind, können hiesige Rechtsanwälte jede Auskunft mit Berufung auf das Anwaltsgeheimnis verweigern. Der Bundesrat wollte dies mehrmals ändern, zuletzt auch Bundesrat Ueli Maurer, doch die unheilige überparteiliche Phalanx der Rechtsanwälte im Parlament verteidigt hartnäckig bis heute ihr landesschädigendes Sonderprivileg im Vermögensgeschäft.

Nun läuft unter Juristen präventiv eine Debatte, ob und wie sich die Schweiz bei einer multilateral abgestützten Konfiskation russischer Vermögen zu beteiligen hat. Sicher wird es völkerrechtlich leichter sein, die hier parkierten russischen Staatsbankvermögen zu beschlagnahmen. Doch bei den Oligarchenvermögen wird nun der Kanon vom «Schutz des Privateigentums» selbst dann ins Spiel gebracht, wenn diese Milliarden aus dem Putin-Netzwerk oder aus früher geraubtem Staatseigentum nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stammen.

Dem Finanzplatz der Schweiz und ihrer Anwaltsszene droht eine Zeitbombe. Die USA und weitere G-7-Staaten werden sie nicht schonen. Es tut einem manchmal fast weh, wie kurzsichtig und naiv Bundesbern immer wieder irgendwelche Sonderinteressen stur schützt und damit voraussehbar in eine nächste Finanzplatzaffäre mit Reputationsschaden schlittert. 

Die Schweiz sollte möglichst rasch und proaktiv das Anwaltsgeheimnis bei Vermögensgeschäften aufheben und diese, wie bei den Banken, dem Geldwäschereigesetz unterstellen – vielleicht sogar mit einer spezifischen Rückwirkungsklausel. Das Zuwarten schadet der Heimat.

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Rudolf Strahm war SP-Nationalrat und eidgenössischer Preisüberwacher. Er äussert sich künftig in unregelmässigen Abständen wieder zum aktuellen politischen Geschehen.