Die Besserwisser sollten sich entschuldigen

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 31. Dezember 2013

Vor fünf Jahren herrschte weltweit Katastrophenstimmung zu Silvester. Das globale Bankensystem war kurz zuvor knapp einem Kollaps entgangen. Teams der wichtigsten Notenbanken koordinierten damals in nächtlichen Videokonferenzen ihre Kriseninterventionen, und niemand wusste, ob es gelingen würde, das Finanzsystem zu stabilisieren. Was drohte, war ein Bankencrash wie 1929. Dieser hatte die Welt in die grosse Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit gestürzt – der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg waren die Folge.

Von einer solchen Katastrophe sind wir heute weit entfernt. Die giergetriebenen «Masters of the Universe», als die sich die machtversessenen Banker verstanden hatten, sind in die Schranken gewiesen. Sie sitzen entzaubert in Villen in Florida, an der Côte d’Azur oder in Wollerau – und spielen Golf.

Die Krise hat Millionen von Menschen weltweit aus dem Arbeitsmarkt geworfen. Die Regierungen mussten zur Bankenrettung die Staatsverschuldung mehr als verdoppeln. Das Grundprinzip des modernen Kapitalismus kam bei diesen Interventionen zum Tragen. Es heisst: Die Gewinne privat – und die Kosten dem Staat! Noch ist die Krise nicht vollständig bewältigt. Strukturprobleme bleiben. Aber heute, am Jahresende 2013, darf man wieder mit einiger Zuversicht in die Zukunft blicken. In der Schweiz noch mehr als anderswo.

Bei allen Mängeln im Krisenmanagement ist zu würdigen, dass die staatlichen Instanzen der westlichen Welt von Anfang an Gegenmassnahmen ergriffen und untereinander effizient koordinierten. Die Notenbanken stabilisierten mit einer Gewaltanstrengung und unter blitzartiger Preisgabe alter Dogmen die Finanzmärkte. Die Helden dieses Kraftakts hiessen unter anderem Ben Bernanke (Fed), Mario Draghi (EZB), Philipp Hildebrand und Thomas Jordan (beide SNB). Sie ergriffen pragmatisch und rascher als ihre Regierungen wichtige Massnahmen.

Wohl kein ernst zu nehmender Wirtschaftswissenschafter würde heute bestreiten, dass es die staatlichen Behörden und ihre Notenbanken waren, die das wankende Finanzsystem vor dem Crash retteten. Und nun sind die Regierungen daran, das Finanzsystem für die Zukunft sicherer zu machen.

Erstaunlich, was die politisch geschundene EU im vergangenen Jahr trotz (oder dank) der historischen Fehlkonstruktion, das produktivitätsschwache Südeuropa in die Eurozone einzubinden, geschaffen hat: eine Bankenunion mit einheitlicher Bankenaufsicht, eine unionsweite Budgetkontrolle, einen Mechanismus zur Währungsstabilisierung und einen gemeinsamen, wenn auch begrenzten Bankenrettungsfonds. Dieses System, das erst in Zukunft voll greifen wird, ist in einem komplexen, nicht gradlinigen Prozess zustande gekommen; letztlich hat sich die EU als entscheidungsstark erwiesen. Ihr Krisenmanagement hat funktioniert!

Erinnern wir uns an die Kritiker und Besserwisser der monetaristischen und neoliberalen Denkschulen, die mitten in der Krise den Notenbanken in den Rücken fielen? Erinnern wir uns, wie die amerikanischen Tea-Party-Extremisten das Fed gleich abschaffen wollten? Erinnern wir uns an die persönlichen Attacken von Christoph Blocher, Roger Köppel, Beat Kappeler und einzelner Bankdirektoren gegen Philipp Hildebrand und die gesamte Nationalbankleitung, die als «Falschmünzer » tituliert wurden?

Diese Kritiker waren Gefangene ihrer überholten Dogmen. Oder erinnern wir uns, wie Gerhard Schwarz, damals Wirtschaftschef bei der NZZ und heute Direktor der neoliberalen Denkfabrik Avenir Suisse, seit über sechs Jahren vor einer hohen Inflation warnt (die nicht eingetreten ist), seine Nachfolger im NZZ-Börsenteil desgleichen?

Eigentlich müssten sich diese Besserwisser heute entschuldigen für ihre persönlichen Verbalattacken und ihre sachlichen Fehleinschätzungen. Hätten die Notenbankchefs vor ihnen kapituliert, hätten wir viel grössere Probleme zu bewältigen als die hohen Kosten, welche die Stabilisierungsmassnahmen und die Konjunkturstützung mit sich gebracht haben.

Doch keiner der damaligen Kritiker wird sich je entschuldigen. Und keiner wird seine Meinung ändern. Alle werden ihre Dogmen weiter pflegen.

Weshalb sind die Ökonomen nach einer solchen Krise so wenig lernfähig? Weil Wirtschaftswissenschaft eben keine exakte Wissenschaft ist, sondern Weltanschauung, angereichert mit etwas Statistik und scheinexakten mathematischen Modellen. Wirtschaftswissen basiert im Grunde auf Glaubensdogmen.

Die neoliberale Mainstream-Ökonomie hat drei unverrückbare Dogmen, die in Variationen unterschwellig immer wieder auftauchen.

  • Erstens: Die Privatwirtschaft ist effizient, der Staat ist ineffizient.
  • Zweitens: Der freie Markt ist unfehlbar und führt stets zur besten Lösung.
  • Und drittens: Die Notenbanken sollen (natürlich im Interesse der Anleger) nur die Inflation bekämpfen und nie die Arbeitslosigkeit.

Solche Dogmen sind Glaubenssache und korrekturresistent. (Allerdings wäre es ebenso falsch, sie einfach ins pure Gegenteil umzukehren.) Die Marktgläubigkeit hat eine quasireligiöse Dimension, fast wie bei einer Sekte. Keine Erfahrung in der Wirtschaftswirklichkeit kann den Glauben erschüttern.

Im Buch «Man muss dran glauben. Die Theologie der Märkte» zeigt der Autor Jochen Hörisch anhand unzähliger Texte plastisch: Ökonomie und Religion sind eng verwandt. Der Glaube an die Selbstheilungskraft des freien Marktes und die antistaatliche Glaubensfixierung sind genauso unverrückbar wie die Glaubensdogmen religiöser Fundamentalisten.

Die hinter uns liegende Finanzkrise hat uns immerhin gelehrt: Die Institutionen demokratischer Staaten sind fähig, ein ausser Rand und Band geratenes Wirtschaftssystem zu stabilisieren und die Menschen so gut es geht vor Schaden zu schützen. Nur sie können Vertrauen wiederherstellen.

Wir Ökonomen sollten nach diesem historischen Wirtschaftsdebakel etwas demütiger und bescheidener werden – und die Bürger gegenüber den Wirtschaftsleuten viel kritischer und selbstbewusster!

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