Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 25. Juni 2013
Drei Wochen lang hat das parlamentarische Spektakel um die Lex USA die schweizerische Politik beherrscht und alle anderen wichtigen Geschäfte verdrängt. Die Bürger sind nach dieser Episode irritiert über die taktischen Winkelzüge und Kehrtwenden der Politiker und Banker. Die Faktenlage scheint vielen unklar zu sein. Eine Einordnung ist nötig.
Was war Inhalt der gescheiterten Lex USA? Sie war kein Staatsvertrag mit Amerika. Sie war kein Kniefall vor Uncle Sam, sondern schlicht und einfach eine Ermächtigung für schweizerische Banken, der US-Steuerbehörde bestimmte Personaldaten zu amerikanischem Steuerfluchtfällen auszuliefern, ohne dabei schweizerisches Recht zu verletzen. Es war ein reines Ermächtigungsgesetz für hiesige Banken, nur für ein Jahr gültig, nicht mehr und nicht weniger.
Die USA verlangen von einigen Banken ultimativ, Kundendaten zur Steuerflucht herauszugeben. Das ist kein politisches Manöver und keine Erpressung der Schweiz, sondern der normale Ablauf nach amerikanischem Steuerstrafrecht. Es ist die Folge davon, dass einige Schweizer Banken und Anwaltskanzleien mit ihrer aktiven Steuerfluchthilfe für Amerikaner auch nach 2009 willentlich und wissentlich gegen US-Steuerrecht verstossen haben.
Was sind nun die Konsequenzen, nachdem der Nationalrat das Gesetz abgeschossen hat? Den fehlbaren Schweizer Banken droht eine Anklage in den USA: Sie werden die Daten so oder so ausliefern, auch wenn sie dabei schweizerisches Recht verletzen müssen. Möglicherweise wird der Bundesrat unter Ausschöpfung seiner Kompetenz, dazu eine Verordnung zu erlassen, die Datenlieferung etwas erleichtern. Wenn nach der Bank Wegelin eine zweite Schweizer Steuerfluchthilfebank im Würgegriff der US-Justiz zu ersticken droht, wird die Politik die Datenlieferung zulassen müssen. Und mit dem US-Steuergesetz Fatca (Foreign Account Tax Compliance Act), das die Schweiz vermutlich ab kommendem Jahr umsetzt, kann die rückwirkende Datenlieferung ebenfalls erzwungen werden.
Warum ist der Würgegriff dann so gefährlich für die betroffenen Banken? Da geht es nicht nur um Bussen, sondern um den automatischen Ablauf von US-Strafverfahren: Wenn in den USA eine Bank angeklagt ist, dürfen alle andern Finanzintermediäre nicht mehr mit dieser geschäften, also auch keine Dollar mehr für sie wechseln. Das kann einer Bank die Luft abschneiden. FDP gegen Widmer-Schlumpf Jeder Normalbürger kommt in Kenntnis dieser Rechtssituation zum Schluss, dass eine Lex USA als befristete einjährige Ermächtigungsvorlage, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, vernünftig und logisch zwingend wäre. Doch schon bevor ihr Inhalt bekannt wurde, begannen die Parteipräsidenten mit taktischen Spielchen und Rankünen.
Die FDP sabotierte die Lex USA trotz ihrer traditionellen Bankennähe, die sich zum Beispiel in Parteispenden manifestiert, und obschon sie von Bankvertretern und den eigenen Bundesräten zu einem Ja gedrängt wurde. Steht dahinter die langfristige Taktik, BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf aus dem Amt zu drängen? Oder war es, wie FDP-Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand sagen, eine Retourkutsche gegen die Bundesrätin, die den glücklosen FDP-Parteisekretär Stefan Brupbacher nicht als Abteilungsleiter im Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) wollte (er hatte zuvor gegen ihre Wahl agitiert)? Wie kaum eine andere Bundesratspartei pflegt die FDP ausgediente Funktionäre in Verwaltungsposten des Bundes zu versorgen. Oder ist die FDP dem Lobbying des Schattenbusiness von Steuerberatern, Anwaltskanzleien und Treuhändern erlegen, deren Namen mit einer Lex USA ausgeliefert werden könnten?
Die SP verfolgte mit ihren Winkelzügen und Gegenforderungen eine undurchsichtige Strategie, die von niemandem ausserhalb des Parlaments verstanden wurde. Letztlich schoss sie die Lex USA im Nationalrat ab – die SP-Ständeräte stimmten dieser jedoch mehrheitlich zu. Die schweizerische Sozialdemokratie war bisher Jahrzehnte lang dezidiert gegen die Steuerflucht, für die Aufhebung des Bankgeheimnisses in Steuerfragen und für eine Kooperation mit ausländischen Rechtsstaaten eingetreten. Die Lex USA war ein Schritt in genau diese Richtung. Zudem hätte sie Bankmitarbeiter vor namentlicher Nennung geschützt. Mit ihrem Nein verriet die SP-Fraktion die sozialdemokratische Tradition (ich sage das als einer der Väter der Bankeninitiative von 1978). Hatte sie sich taktisch mit unrealistischen Gegenforderungen verrannt? Wollte sie arrogante Banker abstrafen? War es verletzte Eitelkeit wegen der Ablehnung von Gegengeschäften?
Was wir derzeit erleben, ist ein historischer Paradigmenwechsel: Innert weniger Wochen haben die Bankkreise in diesem Land ihre Marschrichtung um 180 Grad geändert. Sie plädieren jetzt, nicht ganz freiwillig, für einen automatischen Informationsaustausch von Steuerdaten mit dem Ausland. Topbanker können ihre Grundsätze offenbar austauschen wie die Hemden; sie sind durchaus anpassungsfähig, wenn sich das regulatorische Umfeld ändert.
Nun ist das politische Establishment zum Hauptproblem geworden: Es ist vom abrupten Strategiewechsel überfordert. In Anlehnung an die Banken predigten diese Leute jahrzehntelang den Mythos des Bankgeheimnisses, bis sie selber daran glaubten. Nun kommen sie nicht mehr davon los. Die Trotzreflexe in Bundesbern sind äussere Symptome dieses politischen Psychodramas.
Was sind die vorläufigen Lehren aus dieser Endlosgeschichte? Den Politikern ist zu raten, sich weniger Instruktionen in Banketagen und Konzernzentralen einzuholen. Sie sollten sich selber in die Materie vertiefen, statt sich an Lobbyverbände wie die Schweizerische Bankiervereinigung anzulehnen. Diese hat innert eines Jahres mehrmals ihre Meinung gewechselt und die ihr hörigen Politiker regelrecht verschaukelt. Mit der Glaubwürdigkeit ihrer Exponenten ist es nicht mehr weit her. Sie sind verbraucht – und müssten dringend ausgewechselt werden. Diesbezüglich könnte sich die Bankiervereinigung ein Beispiel an der Economiesuisse nehmen.
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