Gastbeitrag von Rudolf Strahm, in
“Schweiz am Wochenende / Aargauer Zeitung”. 8. April 2023. Seite 20:::
Wir sind noch einmal davongekommen mit der staatlich gestützten Grossbankrettung. Viele atmen auf. Aber vielleicht täuschen sie sich. Der grosse politische Stress steht der Schweiz erst noch bevor.
Am Tag nach der Ernennung von Sergio Ermotti zum Superman der neuen Monsterbank las man in der Presse erlösende Kommentare. „Der Tessiner Ermotti gilt als sehr gut vernetzt und kann besser in Bern vermitteln“, frohlockte der Tages-Anzeiger. „Dass Ermotti mit der Schweizer Politik gewandter umgehen kann, wird (bei der Ernennung) durchaus eine Rolle gespielt haben“, beruhigte die NZZ.
Im Klartext heisst diese Qualifikation: Ermotti kann wirksam Lobby betreiben und seine Interessen in Bundesbern durchsetzen. Der bekennende libertäre Anti-Etatist war um 2015 die treibende Kraft für die Abschwächung der Too big to fail-Politik. Er zog die Fäden und beharrte auf Boni, sogar zum Ärger des damaligen FDP-Präsidenten Philipp Müller, der den UBS-Chef laut NZZ darauf wutentbrannt mit Kraftausdrücken wie „Arschloch“ beehrte.
Erneut soll nun „Ermotti Bundesbern zur Räson bringen“, orakelt der Sonntags-Blick. Der Begriff „Swiss Finish“ bei der Bankenaufsicht galt ursprünglich als Maxime, dass ein kleines Land eher strengere Aufsichtsregeln für Grossbanken anwenden sollte. Heute ist sie in Bankenkreisen ein Schimpfwort.
Meine Folgerung aus dieser Ausgangslage ist die: Die Parteichefs können sich heute überbieten mit Absichtserklärungen zur Regulierung. Das Parlament wird wohl einige Verschärfungen der Bankenaufsicht zustande bringen. Aber es wird nur so viel Regulierung angewandt werden, wie die neue Monsterbank selber zulässt. Ihre schärfste Waffe gegen Sanktionen des Regulators ist ihre Drohung, seine Massnahmen würden der Reputation der Bank schaden und globale Geldrückzüge provozieren: „Wenn Du mich bestrafst, schadest Du der Bank und dem Vaterland.“ Die Regulatorbehörde wird erpressbar. Bundesbern wird klein beigeben. Ermotti wird der Finma auch die von der FDP geforderte Abspaltung der CS-Schweiz ausreden. Die baufsichtigte Grossbank setzt selber die Grenzen ihrer Beaufsichtigung. Die Methoden der Lobbyisten sind schonungslos. Die Kontrollierten kontrollieren ihre Kontrolleure!
Frühere Regulatoren können ein Lied davon singen.Warm anziehen müssten sich die Regulatorbehörden in Bundesbern auch vor dem dräuenden Gewitter, das sich mit den russischen Oligarchen-Vermögen aufzieht. Das scheinbar freundliche Interview des amerikanischen Botschafters in der NZZ vom 16.März 2023 hat bei Kennern der Finanzmarktdiplomatie alle Alarmlichter gezündet. Die Schweiz könne 50 bis 100 Milliarden Oligarchenvermögen zusätzlich blockieren und für den Wiederaufbau der Ukraine bereithalten, sagt der Botschafter. Derzeit ist nur ein absolutes Minimum von 7.7 Milliarden eingefroren.
Da kann die NZZ noch ein weiteres Dutzend Rechtsgelehrte und Anwälte aufbieten, um das hohe Rechtsgut des Privateigentums zu beschwören. Wenn das US-Department of Justice DOJ der Schweizer Regierung oder einer Schweizer Bank freundlich zu verstehen gibt: „Wir haben ein Problem“, dann helfen keine Argumente und keine Anwaltskanzleien. Die St.Galler Bank Wegelin musste es erfahren: Es brauchte nur eine Anklage in den USA, keine Verurteilung, und die Bank starb durch faktischen Ausschluss aus dem Dollarraum.
Das Mass an kommendem Stress um den Finanzplatz ist noch nicht voll. Neue Alarmsignale richten sich auch gegen die stossende Rolle des Zuger Silicon Valley mit seinen anonymen Kryptowährungen. Die Millionen-Transaktionen mit Bitcoin und Co. werden zunehmend als Geldwäschereigeschäfte und kriminelle Transaktionen identifiziert. Kaum ein Cyberangriff auf eine Firma oder eine Institution, bei der das Lösegeld nicht mittels Kryptowährung gefordert wird. Dies, weil derzeit keine Staatsanwaltschaft und keine Cyberabwehr Zugriff auf den wahren Empfänger der kriminellen Transaktion hat. Die USA-Behörden und auch die G-7-Finanzminister haben diese Kryptohöllen, besonders auch jene der Schweiz, längst im Visier.
Alle unsere freundlichen, hochgebildeten Regulator-Beamten „verfolgen das Geschehen“, wie sie beteuern. Und sind immer so nett. Erst wenn mal in der internationalen Finanzpresse die Schlagzeilen gegen den Schweizer Finanzplatz unübersehbar werden, werden sie aktiv. Diese Ignoranz und Schonkultur ist fast unverändert, wie nach der Finanzkrise von 2008, als man versprach, das Ausland werde sich am granitharten Schweizer Bankgeheimnis die Zähne ausbeissen.
Marlene Amstad von der Finma, Daniela Stoffel vom SIF, Frau Bundesrätin, Parlamentarierinnen und Parlamentarier: Ziehen Sie sich warm an und legen Sie Schuppen um die Seele! Sie werden in der Finanzplatzpolitik noch heftige Stressjahre erleben. Nutzen sie die Chance, und zwar jetzt, zum regulatorischen Kulturwandel!
Ich stehe mit dieser Einschätzung nicht allein. Auch erfahrene Magistraten sehen solche Stürme auf die Schweizer Behörden zukommen. Ich wäre erleichtert, wenn diese Einschätzungen nicht zutreffen würden.
Rudolf Strahm
Ökonom, ehemaliger Nationalrat
und Preisüberwacher.
PUBLIZIERT in: Schweiz am Wochenende / Aargauer Zeitung vom 8. 4. 2023 , Seite 20