Ursprünglich war bloss eine Korrektur der Steuerprivilegien für die 24’000 ausländischen Holdings, Briefkastenfirmen und anderen Sitzgesellschaften in der Schweiz vorgesehen. Das Ausland wollte dieses Schweizer Steuerschlupfloch für die multinationalen Gesellschaften und internationalen Rohstoffhandelsfirmen bereits seit 2007 nicht mehr tolerieren. Doch aus dieser Korrekturvorlage hat das neue Parlament, nach den Wahlen 2015, ein milliardenschweres Steuersenkungsprogramm gegen den Staat gezimmert.
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hatte noch eine ausgewogene Vorlage mit einer Kompensation der Verluste angestrebt. Die Unternehmenssteuerreform III bringt dem Bund rund 1,1 Milliarden Franken Steuerertragsausfall pro Jahr. So steht es auch in den Abstimmungserläuterungen des Bundes. Das ist korrekt. Verschwiegen wird aber im verschickten Bundesbüchlein der Steuerverlust für die Kantone, Städte und Gemeinden. Dieser wird sich auf über 3 Milliarden Franken pro Jahr belaufen. Und dies in einer Zeit, in der überall bei öffentlichen Schulen, Spitälern, Heimen, Verkehrsinfrastrukturen und den Löhnen gespart werden muss. Der Mittelstand wird dies bezahlen müssen, sei es durch Steuererhöhung oder durch höhere Verursacherkosten. Beim Staat ist nichts gratis, auch die Steuerverluste zahlt jemand!
Bundesbüchlein ist ein Skandal
Was im Bundesbüchlein über diese Einnahmenausfälle der Kantone, Städte und Gemeinden an wortreicher Verschleierung und Irreführung steht, ist staatspolitisch ein Skandal. Diese Vernebelung der kantonalen Steuerausfälle ist umso gravierender, weil die gleiche Steuerverwaltung schon bei der zweiten Steuerreform von 2008 getürkt hatte: Bundesrat Hans-Rudolf Merz sprach damals von 80 Millionen Franken Steuerverlust, daraus wurden schon im ersten Jahr zehnmal höhere Ausfälle beim Bund. Auch die Kantone erlitten danach Milliardeneinbussen. Selbst das Bundesgericht hatte den Bundesrat wegen dieser Irreführung der Stimmbürger gerügt.
Elf Kantonsregierungen haben bisher bekannt gegeben, mit welchen Bruttoausfällen in ihrem Kanton durch die dritte Unternehmenssteuerreform gerechnet werden muss. Die elf rechnen zusammengezählt mit 2,7 Milliarden Franken Steuerausfall pro Jahr. Der Kanton Zürich zum Beispiel mit 660 bis 760 Millionen, der Kanton Bern mit 320 Millionen. Schätzt man die Steuerverluste der anderen 15 Kantone mit 1 Milliarde hinzu, werden die Bruttoausfälle aller Kantone 3,5 bis 4 Milliarden pro Jahr betragen. Der höhere Bundesanteil an der direkten Bundessteuer (die natürlich dann beim Bund fehlt) wird nur einen Teil ihrer Steuerverluste ausgleichen.
Eskalierter Steuerwettbewerb
Was aber besonders schwer wiegt und im Abstimmungskampf fast untergeht, ist die Langfristwirkung durch die Anheizung des innerschweizerischen Steuerwettbewerbs unter den Kantonen. Es werden gleich drei neue Steuerschlupf-Konstrukte eingeführt, die vor allem den reicheren Kantonen eine Waffe im verstärkten Steuerwettbewerb verleihen und mit Sicherheit die finanzschwachen Kantone ins Hintertreffen bringen.
Da ist erstens die neue Möglichkeit, dass die Betriebskosten für Forschung und Entwicklung zu 150 Prozent steuerlich abzugsfähig werden. Mit andern Worten: Der überschiessende Abzugsteil von 50 Prozent ist nichts anderes als eine neue staatliche Firmensubvention. Da ist zweitens die sogenannte Patentbox, die auf den Kanton Basel-Stadt zugeschnitten ist: Die Pharmakonzerne können ihre ausländischen Gewinne nun in Form von Patentlizenzen auf den Medikamenten in die Schweiz überführen und in Basel in einer separaten Finanzfirma mit 90 Prozent Steuererlass parkieren. Und da ist drittens das neue, bisher unbekannte Instrument der sogenannten zinsorientierten Gewinnbesteuerung. Dieser neue Steuerabzug für multinationale Firmen ist komplex und wird zum Futtertrog für die grossen Steuerberatungsfirmen wie Ernst & Young, PricewaterhouseCoopers (PWC), KPMG, Deloitte und Homburger. Dieses Instrument ist auch von ihnen entwickelt, politisch eingespeist und gepusht worden.
Die zinsorientierte Gewinnbesteuerung funktioniert so: Multinationalen Firmen wird erlaubt, ihr nicht gebundenes Eigenkapital mit einem fiktiven Zins zu verrechnen und diesen vom Gewinn abzuziehen. Heute dürfen die Firmen bloss die Zinsen auf Fremdkapital (also von Bankdarlehen) in Abzug bringen. Neu sollen die Grossfirmen mit einem fiktiven Zins auf dem Eigenkapital etwas abziehen dürfen, das sie gar nichts kostet!
Die Abgrenzung des steuerlich abzugsfähigen Eigenkapitals ist im Gesetz bewusst schwammig, die eingebauten Ermessensfragen zerstören jede Justiziabilität. Es entsteht ein Bilanzkosmetik-Eldorado für die Steueroptimierer. Die Steuerreform wird zur Blackbox. Besonders schwer wiegt die Tatsache, dass dieses Instrument eine Steuersenkungsdynamik für die Zukunft eingebaut hat: Die multinationalen Gesellschaften werden in Zukunft Jahr für Jahr mehr von ihrem überschüssigen Eigenkapital aus ihren Tochtergesellschaften in die Schweiz verschieben und hier somit Jahr für Jahr mehr in Abzug bringen können. Weltweit beträgt dieses nicht gebundene Eigenkapital der westlichen Multis (zum Beispiel für Firmenübernahmen) kumuliert mehrere Tausend Milliarden Dollar.
Eva Herzog denkt nur an Basel
Die umtriebige Basler Finanzdirektorin Eva Herzog war als einzige Sozialdemokratin im vorbereitenden Steuerungsorgan für die Unternehmenssteuerreform. Mit Akribie hat sie erfolgreich für Sondermassnahmen zugunsten ihres Kantons gekämpft. Wir hatten intensive Gespräche miteinander. Für ihren Kanton hat sie mit der Patentbox das Maximum herausgeholt. Und jetzt fühlt sie sich eingebunden. Aber Eva Herzog denkt an Basel und nicht an die Schweiz! Die Historikerin vergisst die wirtschaftsstrukturell begrenzten Möglichkeiten der finanzschwachen Kantone. Sie rechnet statisch aufgrund alter Steuerfaktoren von 2012/13. Und sie blendet, wie die Politik, die langfristige Steuersenkungsdynamik der zinsbereinigten Gewinnbesteuerung aus.
Ähnliches könnte man von den Steuervorteilen der monacoisierten Kantone Zug, Schwyz oder Waadt sagen. Die wachsenden Steuerdisparitäten, die unser Land zunehmend auseinanderbringen, schmerzen nur die finanzschwachen Kantone – am meisten die Städte mit ihren Zentrumslasten.
Wenn die Unternehmenssteuerreform III abgelehnt wird, gibt es ein Jahr später einen neuen Anlauf mit weniger Steuerausfällen – basierend auf dem ursprünglichen Konzept des Bundesrats. Auch so wird kaum je eine multinationale Gesellschaft ihren Holdingsitz aus der Schweiz abziehen. Denn die Schweiz bleibt auch ohne dieses Milliardensteuergeschenk das Tiefststeuerland Europas – zudem attraktiv mit einer exzellenten, staatlich finanzierten Infrastruktur und einer Lebensqualität am Zürich-, Zuger- und Genfersee, von der alle internationalen Manager träumen.