Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom 07.02.2017
Die Unternehmenssteuerreform ist ein Werk der Stärkeren. Der Teufelskreis des interkantonalen Steuerwettbewerbs dreht eine Schraube weiter.
«Letzte Versuche zur Rettung der USR III» titelte gestern die «Neue Zürcher Zeitung». «Panik» stand gross im Titel des «Tages-Anzeigers» und des «Bunds». Von der «letzten Seilschaft» vor dem Scheitern sprach der «SonntagsBlick».
Es kommt selten vor, dass so kurz vor einer Volksabstimmung so viel Hektik entsteht. Bei der Unternehmenssteuerreform III ist aber genau das passiert. Und die Hektik ergriff alle Akteure aufs Mal.
In der Berner Mechanik läuft derzeit alles im Hektikmodus. Es wurde berichtet, Bundesrat Ueli Maurer und verschiedene Parteigrössen hätten Bundespräsidentin Doris Leuthard zu einer erneuten öffentlichen Stellungnahme zugunsten der USR III und gegen die frühere Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf aufgefordert. Doch Doris Leuthard blieb standhaft und hielt sich an die Regeln.
Ich wiederhole hier nicht meine finanzpolitischen Warnungen (TA vom 17. Januar). Ich bin ebenso besorgt, dass die wirtschaftsstrukturellen Konsequenzen der neuen Abwärtsspirale im interkantonalen Steuerwettbewerb nicht beachtet werden.
Die Freude der Steuerberater
Da sind einmal die Wirkungen der Unternehmenssteuerreform auf die Neuzuwanderung ausländischer Finanz- und Statusgesellschaften auf die Wirtschaftsstruktur der Schweiz. Am 17. Juni 2016, genau am Tag der parlamentarischen Schlussabstimmung zur USR III, übertrafen sich internationale Steuerberatungsfirmen in Zürich mit der Versendung von Standortempfehlungen an die Adresse von globalen Financiers, damit diese rasch die neuen Steuerschlupflöcher nutzen können.
Die Steuerberatungsfirma Ernst & Young versandte am 17. Juni 2016, gleich nach der parlamentarischen Schlussverabschiedung, eine «Global Tax Alert». Darin wies sie – auf Englisch – die internationalen Konzerne auf «eine Reduktion der Unternehmenssteuersätze auf der ganzen Linie» hin.
Der Steuerberatungskonzern PricewaterhouseCoopers versandte am gleichen Tag ein englisches Positionspapier in alle Welt, um die sieben neuen Steuervermeidungsinstrumente der Schweiz zu erklären. Und die Steuerberatungskanzlei Bratschi, Wiederkehr & Buob in Zürich beglückte ihre Firmenkunden mit einer englischsprachigen Analyse von sogar zehn «neuen Möglichkeiten für internationale Unternehmen», um «die Attraktivität der Schweiz als Business-Standort auszunützen». Rundum wurden Steuersenkungsversprechen in alle Welt verschickt, bevor die Steuerreform in Kraft ist.
Heute gibt es bereits rund 24’000 solcher sonderbesteuerter internationaler Briefkasten- und Domizilgesellschaften in der Schweiz. In den meisten wird Englisch gesprochen, und die ganzen Belegschaften sind im Ausland rekrutiert.
Bundesrat Ueli Maurer und manche Politiker behaupten, mit der Steuerreform würden die – heute nicht mehr bestrittenen – Steuerausfälle kompensiert werden. Die FDP-Nationalrätin und Treuhandexpertin Daniela Schneeberger legte die Karten offen: «Es resultiert nur dann ein Defizit, wenn sich keine neuen Firmen ansiedeln.»
Die Botschaft ist klar: Es müssen sich wie bisher weiter Tausende zusätzliche Finanzgesellschaften mit ihrem Personal in der Schweiz niederlassen, um die Steuerverluste der USR III auszugleichen. Die Kompensation ist nur mit Neuzuzügern möglich. Der Preis ist hoch. Bundesrat Ueli Maurer, der sonst der Zuwanderung nicht hold ist, macht hier den Spagat.
Nicht alle profitieren von der neuen Standortattraktivität. Welche werden denn in Zukunft bevorzugt werden? Die Antwort lässt sich aus einer erst jüngst veröffentlichten Statistik von Professor Marius Brülhart von der Uni Lausanne und seinem Assistenten David Staubli aufgrund der Bundessteuerergebnisse ableiten. In dieser Statistik verblüfft bereits die heutige Kluft unter den Kantonen. Sie gibt ein Indiz für Gewinner und Verlierer in Zukunft.
Im Kanton Zug werden heute 79% aller Unternehmenssteuererträge von den privilegierten Finanzgesellschaften bezahlt, im Kanton Basel-Stadt 80% und im Kanton Waadt ebenfalls 79%. Doch im Kanton Zürich machen solche Steuererträge aus den sonderbesteuerten Gesellschaften bloss 26% aus, im Kanton Bern 12% und im Kanton Aargau nur gerade 6%!
Die steuerprivilegierten internationalen Gesellschaften gehen dorthin, wo es schon Privilegien gibt. Und neue Privilegien mit den sogenannten Instrumenten können nur die schon Privilegierten anbieten. Die finanzschwächeren Kantone haben schlicht das Potenzial nicht, den internationalen Gesellschaften weitere Steuerreduktionsmöglichkeiten bereitzustellen. Diese Unternehmenssteuerreform ist ein Werk der Stärkeren. Der Teufelskreis des interkantonalen Steuerwettbewerbs dreht eine Schraube weiter.
Konkret wird das heissen, dass die Steuerprivileg-Standorte noch mehr internationale Firmen und gut zahlende Expats verkraften müssen. Die Verdrängungseffekte für die lokalen Bewohner am Zürich-, Zuger- und Genfersee werden zunehmen. Und die örtlichen Unternehmen werden nicht unberührt bleiben. Die Landesplaner sprechen von einer weiteren Monacoisierung der Standorte.
Der Bund zahlt eine Schweigemilliarde
Am 27. Januar haben die kantonalen Finanzdirektoren zusammen mit Bundesrat Ueli Maurer eine letzte Schlachtplanungssitzung abgehalten, um im Abstimmungskampf die Reihen zu schliessen. Daraufhin wurde beteuert, die Kantone würden die Steuern bei Annahme der Unternehmenssteuerreform für Private auf keinen Fall erhöhen.
Das ist deshalb möglich, weil der Bund ja die 1,1 Milliarden Franken Bundesgelder an die Kantone auszahlt. Aber damit ist den Gemeinden und Städten nicht geholfen. Jeder kantonale Finanzdirektor schaut zuerst für seine Kasse. Jeder Kanton kann seinen Anteil an dieser Schweigemilliarde des Bundes frei verwenden. Doch die Städte und Gemeinden sind die Letzten in der Kaskade der Lastenüberwälzung. Durchschnittlich mehr als ein Drittel der Aufgaben und Leistungen im Kanton werden von den Gemeinden und Städten bezahlt.
Und dann diese Geheimnistuerei
Einige kantonale Finanzdirektoren haben die Steuerausfälle für ihren Kanton ehrlicherweise schon beziffert. Andere haben sie wohlweislich geheim gehalten, um die Bevölkerung und die lokalen Unternehmen nicht aufzuschrecken. Es ist schon ungewöhnlich, dass Finanzdirektoren, zum Beispiel in Aargau oder Luzern und anderswo, sich in den von Economiesuisse bezahlten Inseraten als Befürworter der Unternehmenssteuerreform abbilden lassen, und im eigenen Kanton haben sie die Rechnung nicht publiziert.
Auch solches gehört zur Wirrnis dieser verunglückten Unternehmenssteuerreform. Kein Wunder, dass sie die Stimmbürger in Emotionen und Vertrauenszweifel versetzt.