Mit Essen spielt man nicht.

Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund , vom 26. Januar 2016.

Spekulation ist eine ineffiziente Verirrung der Marktwirtschaft. Sie erzeugt keine realen Werte und führt zu Gewinnen ohne Leistung. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln ist indes die widerlichste Form dieses Profitstrebens: Weil sie ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen angreift – das Recht auf Nahrung. Weil sie die Ärmsten in der Welt trifft und zeitweilig den Hunger verstärkt.

Die Ethik unserer Vorfahren, die noch die Kargheit des Landes erlebt hatten, verdichtete sich im bekannten Sprichwort der Mütter: „Mit Essen spielt man nicht!“

Seit Mitte der 1990er Jahre ist diese Ethik zerstört. Nahrungsmittel sind in aller Stille zu einem globalen Spekulationsobjekt giergetriebener Finanzmärkte geworden. Dabei spielt der Finanzplatz Schweiz eine zentrale Rolle. Es ist gut, dass die Volksinitiative „Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln“ dieses Nachtschattengewächs des globalen Casino-Kapitalismus erstmals ins breitere Bewusstsein der Bürgerschaft ruft. Allerdings steht diese Spekulationsstopp-Initiative der Juso, die von den Entwicklungshilfswerken unterstützt wird, beim Abstimmungskampf im Schatten des medialen Getöses um die SVP-Durchsetzungsinitiative.

Wie läuft überhaupt die finanzielle Spekulation mit Nahrungsmitteln ab? Im Inland ist uns diese völlig fremd. Denn unsere Landwirte geniessen vom Staat einen hundertprozentigen Schutz gegen jede Spekulation mit hier produzierten und importierten Agrarrohstoffen.

Das Finanzbusiness von Banken, Hedgefonds und andern Anlagevehikeln hat sich in den globalen Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen eingeschaltet, um aus den Preisschwankungen Gewinne zu ziehen, aber ohne die Absicht, jemals eine Bohne real zu erwerben. Als Vehikel dienen sogenannte Terminkontrakte (Futures), die zum Beispiel eine bestimmte Menge Weizen, Hirse, Kaffeebohnen oder Kakao einer definierten Qualität und mit einem fixierten späteren Lieferzeitpunkt beinhalten. Diese standardisierten „Produkte“ werden wie Wertpapiere gehandelt, auf Termin gekauft und verkauft. Mit den Termingeschäften mit Hebelwirkung werden globale Preisschwankungen ausgenützt – und natürlich auch global verstärkt.

97% aller an Futures-Märkten gehandelten Rohstoffkontrakte führen nie zu einer realen Warenlieferung. Sie werden nur zur Ausnützung von kurzfristigen Preisschwankungen gehandelt. Es versteht sich und ist unbestritten, dass dadurch die Preisschwankungen verstärkt werden und dass weltweit die Handelsmarge zwischen Bauern und Konsumenten durch Spekulationsgewinne vergrössert wird.

Die Spekulationsstopp-Initiative will genau dieses schädliche Profitstreben durch die Finanzialisierung der Agrarrohstoffmärkte verbieten, und zwar nur diese spekulative Form des Rohstoffhandels. Der Initiativtext erlaubt ausdrücklich weiterhin die Terminabsicherung (Hedging) und die Geschäfte der Rohstoffhandelsfirmen. Wenn Nestlé Kaffee- oder Kakaobohnen dann einkauft, wenn diese noch am Strauch sind, dann ist dieses Hedging weiterhin möglich. Rohstoffhandelsfirmen, die Transport und Logistik von Agrarrohstoffen abwickeln, können weiterhin Handel betreiben. Die Initiative gegen Spekulation mit Nahrungsmitteln verbietet nur das ethisch anrüchige Spekulationsbusiness des Banken- und Finanzsektors, nicht aber den Handel der Realwirtschaft.

2007/2008 gab es weltweit eine wetterbedingte Verknappung an Grundnahrungsmitteln. Das Spekulationsbusiness mischte sich mit Dutzenden von Milliarden Dollar ins Geschäft, nutzte die vorübergehende Knappheit und trieb die Preise auf ungeahnte Höhen. Die ärmste Bevölkerung etwa in Bangladesh oder Ägypten litt unter der Preisverdoppelung der Grundnahrung und erlitt grossen Hunger. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung braucht dort mehr als 50% ihres Haushalteinkommens fürs Essen.

Diese Ereignisse sind durch die FAO, die UNO und die Wissenschaft mannigfach dokumentiert. Deshalb will die UNO die Finanzspekulation mit Nahrungsmitteln unterbinden. Auch in der EU und den USA sind solche gesetzgeberischen Pläne unterwegs. Die mächtige Spekulationsszene des Finanzbusiness behauptet allerdings, ihre Termingeschäfte mit Nahrungsmittelkontrakten hätten keine negativen Auswirkungen, ja sie „verbessere die Markteffizienz durch mehr Liquidität“. Auch Bundesrat Johann Schneider-Ammann las in der Arena-Sendung holprig radebrechend eine solche beschönigende Argumentation aus seiner Sprechnotiz herunter, die ihm das Seco vorbereitet hatte.

Gewiss werden die Angebots- und Nachfrageschwankungen zunächst von Faktoren wie Dürre oder verfehlter Agrarpolitik ausgelöst. Aber die Preisschwankungen werden, wissenschaftlich längst belegt, durch Spekulation vervielfacht. Eine solide Langzeitanalyse, von Wirtschaftsforschern der ETH Zürich, der Welthandelskonferenz UNCTAD und der Universität Genf gemeinsam erstellt, kommt zum Schluss, dass zwischen 2000 und 2012 mindestens 60-70% aller Rohstoffpreisschwankungen durch Spekulation innerhalb der Märkte verursacht worden sind, und nur zum kleineren Teil durch externe Faktoren wie Dürre oder Lieferengpässe entstehen.

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln, die von der Schweiz aus weltweit betrieben wird, ist ein übles Kapitel im Finanzbusiness. Doch es ist hoffnungsvoll, dass risikobewusste Banken wie Credit Suisse, die ZKB oder Safra Sarasin-Bank gänzlich auf den Handel mit Nahrungsmittelkontrakten verzichten, ebenso dass der AHV-Fonds und grosse Pensionskassen keine diesbezüglichen Hedgefonds-Papiere mehr kaufen. Eine Pensionskasse, die mit dem zwangsersparten Kapital ihrer Versicherten in solche Hedgefonds investiert, handelt nicht nur risikoreich, sondern auch unethisch und unmoralisch.

Schäbig ist die Haltung des Schweizerischen Bauernverbands, der nach der politischen Intervention von EconomieSuisse einfach auf Stimmfreigabe zur Spekulationsstopp-Initiative ausweicht. Dabei strebt diese Initiative nur das an, was der Staat den Bauern im Inland seit jeher zugesteht. Die Nutzniesser von staatlichen Krücken denken nur an sich.

Der Bundesrat bekämpft mit konstanter Rücksichtnahme auf die Interessen des Finanzbusiness die Initiative. Mit einer abgeschwächten Alternative hätte er die Nahrungsmittelspekulation mit sogenannten Positionslimiten für den Terminhandel per Verordnung begrenzen können, wie die EU dies bereits vorsieht. Auch diesen Kompromiss hat Bundesrat Schneider-Ammann abgeschmettert.

Bei den Risiken der Rohstoffmärkte wird uns die Zukunft einholen. Das Reputationsrisiko für unser Land wird einmal mehr mit der gleichen Kurzsichtigkeit und Interessenabhängigkeit unterschätzt, wie die politische Elite jahrzehntelang das Bankgeheimnis verbissen gegen aussen verteidigt hatte. Ob die Stimmbürgerschaft wenigstens mehr Weitsicht aufbringt und sich auf die gutschweizerische Ethik der Nahrung besinnen wird?

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