Vom Totalversagen des Stromföderalismus

KOLUMNE VON RUDOLF STRAHM IN TA-MEDIA 27.9.2022..

Internationaler Stromhandel und interne Versorgungssicherheit wirken gegensätzlich. Man kann nicht beides haben. Das zeigt das Axpo-Debakel. Die Kantone als Eigner müssen nun handeln.

Die Erschütterung des Elektrizitätsmarktes bewegt emotional alle im Land. Ein Jahr vor den Nationalratswahlen überstürzen sich die wohlfeilen Vorschläge, Vorstösse und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Man verliert dabei den Überblick.

Zur Bewältigung einer möglichen Strom- und Gasknappheit im kommenden Winter hat der Bundesrat die kurzfristig möglichen und sofort anwendbaren Massnahmen bereits ergriffen. Es gibt einen mehrstufigen Notfall-Sparplan Strom und einen Notfallplan Gas. Es wurden dieselbetriebene Notkraftwerke für Strom gekauft, und im Lande haben Private Tausende von Notstromaggregaten installiert. Der Bundesrat hat mit Notrecht vorsorglich bei den grossen Elektrizitätswerken Wasserspeicherreserven für den Spätwinter sichergestellt. Er reserviert dafür bis zu 750 Millionen Franken, um die Elektrizitätskonzerne dafür zu entschädigen. Das sind Kosten der Strommarktliberalisierung, die niemand versteht.

Was allerdings gescheitert ist, ist jeder Verlass aufs Ausland. Das in Aussicht gestellte Solidaritätsabkommen für Gaslieferungen aus Deutschland ist bisher nicht abgeschlossen. Die Schweizer Gaswirtschaft hat nicht mal die Garantie, ihr eingekauftes, in ihren ausländischen Gasspeichern eingelagertes Gas in die Schweiz zu leiten. Die Schweizer Energiekonzerne dürfen den Strom aus ihren eigenen Grosskraftwerken für Fotovoltaik in Spanien und für Windkraft in Nordeuropa nicht in die Schweiz importieren. In einer Energiemangellange schaut jedes Land für sich! 

Das ist ein Totalversagen des Kantonsföderalismus!

Per Notrechtsbeschluss hat der Bundesrat 10 Milliarden Franken Bundesgelder als Rettungsschirm für Elektrizitätskonzerne reserviert, falls diese sich an der Strombörse verrechnet haben und mit Kautionen zahlungspflichtig werden. Als der Bundesrat im Mai nach Beginn des Ukrainekrieges den Rettungsschirm in die Vernehmlassung gab, gab es harsche Kritik und Widerstand von allen Seiten. Die Stromkonzerne verweigerten die Offenlegung ihrer Handelsgeschäfte. Die Kantonsregierungen legten sich als willfährige Sprecher ihrer Stromfirmen quer.

Trotz aller Widerstände arbeitete ein Team im Bundeshaus an einer Notverordnung für den schlimmsten Fall. Und siehe da, Anfang Oktober musste die Axpo buchstäblich übers Wochenende mit einer Staatskrücke von vier Milliarden Franken abgesichert werden. Weil die Axpo systemrelevant ist, man kann man sie nicht in Konkurs gehen lassen. Sie ist «too big to fail»!

Links: AboUmstrittene HandelsgeschäfteAxpo handelt in grossem Stil mit Gas und Öl

AboKommentar zum StromkonzernWarum die Axpo zerschlagen werden muss

Erst jetzt wird das Ausmass des Stromhandels der Axpo und ihrer Risikopositionen transparent: Ihre Spekulationsabteilung wirkte insgeheim als Stromhändlerin mit Termingeschäften in 21 Ländern. Sie hatte bis März 2022 ihre Bilanz auf 65 Milliarden aufgebläht. 32 Milliarden Derivate mussten aufgebaut werden. Mindestens 16 Trader (spekulative Stromhändler) bezogen laut «Inside Paradeplatz» je eine Million Franken pro Jahr. 

Der beredte Axpo-Chef Christoph Brand, der mit seiner Rhetorik alle kritischen Fragen ins Leere laufen lässt, rechtfertigte das Axpo-Begehren um vier Milliarden Franken mit einem «Schwarzen Schwan». Genau mit diesen Ausflüchten rechtfertigte die Bankenszene nach 2008 den globalen Finanzkollaps. Der Axpo-Verwaltungsrat hatte die riskanten Handelsgeschäfte schlittern lassen. Der VR-Präsident Thomas Sieber, der Brand zur Axpo geholt und vorher schon mit ihm geschäftet hatte, sah weg oder verstand das Geschäft nicht. Die Kantone als Eigner schwiegen und weigerten sich, sofort Sicherheiten für Ihre Firma zu mobilisieren, obschon Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga sie schon im März schriftlich gewarnt hatten. Die Banken wollten nicht zusätzliche Risiken eingehen. Nun musste der Bund einspringen. Das ist ein Totalversagen des Kantonsföderalismus!

Es braucht jetzt Mut zum Personalwechsel! 

Allen Akteuren ist jetzt bewusst geworden: Die Stromunternehmen sind ein Service public, und letztlich trägt der Staat für sie das Risiko – und die ganze Wirtschaft den Schaden. Für die Eignerkantone der Axpo gibt es jetzt nur zwei Möglichkeiten:

Entweder muss der Axpo-Konzern aufgespalten werden in ein Stromproduktionsunternehmen zur direkten Belieferung der Ostschweizer Kantone, wie dies der Zuger Regierungsrat Heinz Tännler vorschlägt, und in eine abgetrennte Stromhandelsfirma ohne Staatsgarantien. Oder die Axpo braucht ein gänzlich neues Business-Modell mit einem fundamentalen Wechsel zu einer Stromversorgungsstrategie. Dieser ist mit dem heutigen CEO und dem Verwaltungsratspräsidenten, der ihn protegiert, nicht mehr möglich. Es braucht jetzt Mut zum Personalwechsel! 

Internationaler Stromhandel und interne Versorgungssicherheit wirken gegensätzlich. Man kann nicht beides haben. Es braucht deshalb bei zukünftigen oder erneuerten Wasserkraftkonzessionen der Kantone und Gemeinden eine Verpflichtung zu einer bestimmten Wasserreservehaltung in jedem Werk. Ein Ausbau der Wasserkraft ist zu befürworten, aber das primär für die eigene Stromversorgung. Hoffentlich nehmen die Kantonsregierungen endlich ihre Verantwortung für ihren Kanton und für das Land wahr und entfernen nach diesem systemischen Debakel die Blender von ihren Schalthebeln.