Ein Sieg der Konkordanz . Nach den Bundesratswahlen 2023

Rudolf Strahm  in Weltwoche vom 21. 12. 2023

Die Wahl von Beat Jans ist eine gute Nachricht für die SP und die Schweiz. Sofern er das Problem der irregulären Einwanderung anpackt                                                       

Die vergangenen Bundesratswahlen haben das Ticketsystem mit dem Zweiervorschlag von Kandidaten konsolidiert. Damit wurde indirekt auch das Konkordanzsystem weiter verfestigt.

Das seit über einem Jahrzehnt praktizierte und respektierte Ticketsystem mit einem Zweiervorschlag der betroffenen Fraktion ist nirgends gesetzlich verankert. Es hat sich bei den Bundessratsparteien – nicht zuletzt wegen früherer traumatischer Erfahrungen – als selbstauferlegte Verfahrensregel herausgebildet. Wenn Daniel Jositsch – jüngst erneut in der NZZ – behauptet, der Zweiervorschlag sei „verfassungswidrig“, ist dies eine ichbezogene, abenteuerliche Interpretation und eines Rechtsprofessors unwürdig. Die 70 Stimmen, die er jüngst in aller Heimlichkeit erhalten hat, haben klar die Wahlfreiheit der Parlamentarier bewiesen.

Ich attestiere der SP-Parteileitung und allen Fraktionspräsidien (auch jenen der Grünen), dass diesmal die Auswahlverfahren der Kandidaten und die Wahlen korrekt und transparent abgewickelt worden sind.

Als problematisch muss man indes das statutarisch zwingende Parteiauschluss-Verfahren nach der Wahlannahme eines wilden Kandidaten beurteilen, wie es die  SVP verankert hat. Ebenso war die Geschlechter-Vorschrift für die Kandidatenwahl des damals unsensiblen SP-Präsidiums im Jahr 2022 (es sollten sich nur Frauen melden) grenzwertig. Hätte damals die SP-Parteileitung, wie zuvor üblich, den SP-Kantonalparteien die freie Kandidatenmeldung überlassen, wäre die Opferrolle des Daniel Jositsch gar nie zum Tragen gekommen. Er pflegte allerdings schon zuvor das bewährte Profilierungsmotiv: Leg‘ dich quer, so bist du wer. Das gesamte Bundesratsgremium hätte mit dem Einzelkämpfer Jositsch in der Regierung wohl ebensolche Turbulenzen zu bewältigen gehabt.

Wer in der SP-Fraktion die erste Priorität auf Regierungskompetenz und Durchsetzungsfähigkeit gelegt hatte, hat wohl die Berner Regierungsrätin Evi Allemann aufs Ticket gesetzt. Unter den sechs Kandidierenden war sie die erfahrendste und durchsetzungfähigste Regierungsfrau. Doch sie wirkte sachlich und bescheiden und hatte kein starkes Netzwerk in der Fraktion. Es braucht heute eine eingeübte Blender-Rhetorik, um sich politisch durchzusetzen.

Auch dem Bündner Jon Pult ist Durchsetzungsfähigkeit und Innovationskraft zuzutrauen, aber über ihm schwebte das Stigma des früheren Juso-Aktivisten.

Nun ist Beat Jans der neue SP-Bundesrat. Seine Wahl ist das folgerichtige Resultat des Auswahlverfahrens. Jans war nie ein extremer Linker, wie ihn die „Weltwoche“ zu positionieren versuchte. In der Bundeshausfraktion war er kein kreativer Inspirator, er suchte den Ausgleich. Und als Basler Regierungspräsident war er ein erfolgreicher Vermittler und galt als eloquenter Repräsentant seines Kantons.

Die SVP wird in der Asylpolitik den Justizminister Jans absehbar zum Prügelknaben knütteln. Der SVP wird er es wohl nie recht machen können. Aber die Mehrheit im Volk und genauso die SP-Basis erwarten von ihm mehr Durchsetzungsvermögen gegen die irreguläre Einwanderung. Denn heute wird die Asylpolitik mit den grossen Ermessensspielräumen faktisch auch von den Richtern gesteuert. In der Demokratie sollte gelten: Keep politics in command.

Ich persönlich habe Bedenken gegenüber Beat Jans‘ voreilige Positionierung für neue EU-Abkommen. Die „Regio Basiliensis“ ist nicht die Schweiz. Diese mangelnde Einsicht ist schon Eva Herzog zum Verhängnis geworden. Wenn Jans seine bisher ignorante Haltung gegenüber den Lohnschutzanliegen der Gewerkschaften durchzieht, wird er die SP spalten – und absehbar scheitern.

Nun wird also Elisabeth Baume-Schneider neue Innenministerin! Ihre bisher eher schlechte Performance versuchte sie durch Flucht aus dem EJPD zu überwinden und ihre Selbstüberschatzung mit Rhetorik zu überspielen. Sie wird, wie ihre Vorgänger im EDI, in der Gesundheitspolitik rundum auf Granit beissen. Der 90-Milliarden-Gesundheitsmarkt mit rund neunzig eingetragenen Parlamentarier-Lobbyisten, welche die gegensätzlichen Interessen von Ärzten, Apothekern, Krankenkassen, Big Pharma, Generika-Firmen, Spitälern und Kantonen vertreten, lässt keine grossen Reformsprünge zu.

Die Alterung der Bevölkerung und die Mengenausweitung durch den medizinischen Fortschritt werden die Gesundheitskosten weiterhin um real 2 bis 4 Prozent pro Jahr ansteigen lassen. Dem Staat bleibt nichts anderes, als die wirklich Einkommensschwachen mit mehr Prämienverbilligungen zu stützen. Aber die Kostensteigerung wird ein Kampffeld der Populisten aller Lager bleiben.

Der zweimalige SVP-Bundesratskandidat Jean-François Rime sagte einmal, er würde jedes Departement gerne führen wollen, mit Ausnahme des EDI. Dort könne man (auch aus der eigenen Partei) nur Prügel ernten.