Tribünen-Beitrag im “Bund” 15. 1. 2024, S.10
Von Rudolf Strahm
Neben den AHV-Vorlagen kommt dieses Jahr die Berufliche Vorsorge vors Volk. Diese ist finanziell wieder stabil – aber zu teuer.
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Das Jahr 2024 wird in der Schweiz zum „Jahr der Altersvorsorge“. Denn heuer wird gleich in drei Abstimmungsvorlagen um die Altersrenten gerungen werden. Im März bestimmt das Volk über eine 13. AHV-Rente und über die Anhebung des ordentlichen Rentenalters auf 66 Jahre und darüber hinaus. Und später im Jahr werden wir zur Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG) mit der Zweiten Säule zu den Urnen gerufen.
Den bevorstehenden Streit über die März-Vorlagen überlasse ich den aktiven Politikern. Sie lernen derzeit die Argumentarien der Werbeagenturen auswendig. Ich äussere mich hier zur komplexeren Ausgangslage bei den Pensionskassen, bevor später das Abstimmungsgetöse um die BVG-Vorlage seinen Lauf nimmt. Denn um die Zweite Säule zirkulieren viele Vorbehalte, Mythen und Ängste.
Viele KMU-Chefs beklagen etwa die im Vergleich zur AHV viel zeitaufwändigere Bürokratie bei der Beitragsabrechnung für die Pensionskassen. Oder gewisse Politiker unterstellen, die Jungen müssten bei den Pensionskassen die Renten der Alten finanzieren. Gewiefte Anlageberater wiederum, die an der privaten Dritten Säule mehr verdienen, schüren bei den Leuten Angst, ihre Pension der Zweiten Säule würde dahinschmelzen (was nicht wenige auch glauben).
Die Verunsicherungen lassen sich mit guten Gründen entkräften. Derzeit sind schon sage und schreibe 1300 Milliarden Franken in den BVG-Einrichtungen der Zweiten Säule sicher angespart und staatlich überwacht. Ich kenne kein Volk, das pro Kopf so viel an zukünftigen Renten selber gespart hat. Auch die Zweite Säule ist sicher und stabil, – aber sie ist teurer!
Die Behauptung „die Jungen zahlen für die Alten“ ist heute sogar amtlich widerlegt. Es gab eine Negativzinsphase, da dies zutraf; heute aber nicht mehr. Die Pensionskassen-Oberaufsichtskommission (OAK) des Bundes erfasst jedes Jahr kalkulatorisch die sogenannte Umverteilung zwischen den Altersgruppen für die Gesamtheit aller Pensionskassen. Während der ertragsmageren Jahre mit Negativzinsen der Nationalbank ergab sich tatsächlich kalkulatorische eine Umverteilung von jung zu alt. Im Jahr 2017 wurden noch 6,6 Milliarden Franken so errechnet. Doch seit 2020 ist dank der Zinserhöhungen die errechnete Umverteilung zugunsten der Alten gesunken. 2021 waren es noch minime 0,2 Milliarden, und seit 2022 ist es laut OAK wieder umgekehrt: Die Alten zahlen, kalkulatorisch gutgeschrieben, wieder für die Jungen. Dies erklärt sich daraus, dass über 50-Jährige natürlich ein Mehrfaches an Rentenkapital angespart haben und daraus Zinsen generieren, als die 30-Jährigen am Anfang ihrer Berufskarrieren.
Damit wird auch das Hauptargument für die anstehende BVG-Revision hinfällig, die den Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent senken und damit die Rentenzahlungen im obligatorischen Bereich absenken will. Man könnte sagen, die Zinswende nach der historisch einmaligen Negativzinsphase hat die Situation gerettet.
Es bleibt ein Problem: Mit dieser Wende zu höheren Zinserträgen wird den Niedrigverdienerinnen nicht geholfen. Wer bisher als Teilzeit-Arbeitende oder als Frau mit Berufsunterbrüchen weniger als rund 25‘000 Franken Jahreseinkommen verdiente, erhält keine Rente aus der Zweiten Säule. Die BVG-Revision brächte für sie eine bessere Pensionskassen-Abdeckung. Sollte die BVG-Vorlage an der Urne scheitern, müsste dieses von keiner Seite bestrittene Problem bald wieder angegangen werden.
Neue Berechnungen, die von der OAK ausgegangen sind, haben ein anderes Ärgernis ans Licht gefördert: Es sind die hohen Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten der Zweiten Säule. Die von der Beratungsfirma c-alm im Auftrag der OAK berechneten Kosten zeigen: Bei der Zweiten Säule versickern pro Jahr 8 Milliarden Franken für die Vermögens-Verwaltung und Kassenkosten!
Die Vermögensverwaltungskosten – die neun Zehntel ausmachen – werden beansprucht von Banken, Vermögensverwaltern, Anlagefonds, Hedgefonds, Asset-Managern. 2021 waren es genau 8,15 Milliarden Franken. Das waren im Durchschnitt 0,62 Prozent der Anlagesumme, – mit extremer Streuung zwischen den Kassen von 0,25 bis über 1,2 Prozent. Das ist für Institutionelle viel zu hoch. Pro Versicherten beliefen sich diese Sickerkosten im Durchschnitt auf 1420 Franken pro Jahr! Diese Zahlen sind robust und nach OAK-Standard erhoben.
Bisher konnte sich das zuständige Departement des Innern (EDI) nicht durchringen, mit einer Kennziffer eine jährliche Statistik dieser Kosten für die Kassen einzeln zu publizieren, was die Kostenkonkurrenz stärken würde.
Die Berufliche Vorsorge war vom Gesetzgeber ursprünglich als nichtgewinnorientierte, Sozialversicherung konzipiert worden. Doch unter dem Radar der gemeinnützigen Pensionskassen hat sich ein privates, lukratives Finanz-Business eingerichtet, das Jahr für Jahr fast jeden fünften Franken der jährlich ausbezahlten Renten-und Kapitalsumme aus der Zweiten Säule für sich abzweigt.
Nach der Volksabstimmung zur BVG-Revision wird man dem „Selbstbedienungsladen Zweite Säule“ mehr Transparenz verschaffen müssen.
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