Die Asylverfahren sind zu teuer.

Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 19. April 2016.

 

Viele Bürger und Bürgerinnen sind verunsichert. Mit Gefühl verfolgen sie die Medienberichte über die Asylströme auf dem Balkan. Mit einiger Be­klemmung vernehmen sie von einer generalstabs­mässigen «Notfallplanung» für eine allfällige Flüchtlingswelle an der Schweizer Grenze. Auch die Prognosen der zukünftigen Sozialkosten im Asylbereich verunsichern die Leute.

Verwirrend ist das frühe Hickhack um die Asylgesetzrevision, die am 5. Juni zur Abstim­mung kommt. Warum laufen jetzt schon Verbände wie der Hauseigentümerverband (HEV) oder die Demokratischen Juristen gegen die Revision Sturm, bevor die Abstimmungs­unterlagen bei den Stimmbürgern auf dem Tisch liegen?

Die Asylgesetzrevision vom 5. Juni ist die weittragendste der bisherigen Asylreformen. Sie betrifft nicht das international abgestützte Recht auf Asyl, sondern verkürzt die Entscheide für Asylbewerber im Inland, indem die bisher verstreuten und verzögerten Abläufe in Bundeszentren zusammengelegt werden. In den geplanten 16 Zentren sollen alle am Entscheid Beteiligten unter einem Dach konzentriert werden.

Bisher dauerte ein Asylverfahren vom Asylgesuch bis zum rechtskräftigen Entscheid im Durchschnitt 280 Tage oder 9 Monate. Diese Verzögerung ist kostspielig, denn allein der Unterhalt einer gesunden Asylperson kostet 2500 Franken pro Monat, bei Familien natürlich viel mehr. Nicht selten verschleppten sich die Entscheidverfahren allerdings auf drei bis vier Jahre. Mit privaten Rechtsanwälten, oft finanziert von Hilfswerken, werden häufig alle Rechtsmittel mit Rekursen, Eingaben, Neuüber­prüfungsbegehren bis zum Letzten ausgereizt. Die dezentrale Struktur verursacht Zeitverluste und hohe Kosten.

Sogar SP und Grüne stimmen zu

Mit der Beschleunigung soll in Zukunft die ganze Prozedur in 60 Prozent der Fälle in weniger als 100 Tagen ablaufen, in komplizierteren Fällen innert 140 Tagen, und dies, ohne die Rechtssi­cherheit zu beeinträchtigen. Was gibt es Naheliegenderes als die Verfahrensverkürzung, um den Asylpersonen möglichst raschen Bescheid zu geben, um Aufenthaltskosten zu sparen und den Vollzug zu beginnen – nämlich entweder Weg­weisung oder intensive Integration im Inland?

Die SVP hatte früher ständig die langen Verfahrensdauern bemängelt. Jetzt, wo diese Verkürzung gesetzlich vorgesehen ist, ist die Partei trotzdem dagegen. Die Parteileitung und die oberste Führung in Herrliberg haben erkannt, dass ihr Referendum gegen das Gesetz nicht sehr glaubwürdig ist. Nun wollen sie auf Inserate, Plakate und Hauswurfzeitungen für ihr Referendum verzichten. Sie verlegten ihre Kritik auf Nebenpunkte wie die Anwaltsfinanzierung und die Plangenehmigungsverfahren für die Bundeszentren.

Alle bürgerlichen Parteien ausser der SVP unterstützen die Asylgesetzrevision. Erstmals in der jüngeren Geschichte der Eidgenossenschaft konnten sich auch die SP und die Grünen für eine Asylgesetzrevision entscheiden, die Delegierten­versammlung der SP sogar einstimmig. HEV macht Asylpolitik für die SVP

Wie kommt der Schweizerische Hauseigentümer- Verband dazu, das Asylgesetz in einer teuren Zeitungskampagne mit ganzseitigen Inseraten zu kritisieren? Auf den ersten Blick ist dies unerklärlich. Der HEV unter dem Präsidium des SVP-Nationalrats Hans Egloff kritisiert die Mög­lichkeit des Bundes, zeitlich befristet Land für die Errichtung von Bundesasylzentren zu enteignen. Stellvertretend für die SVP führt jetzt der HEV eine Kampagne gegen das Asylgesetz.

Landenteignungen des Bundes – übrigens meist mit Landersatz – gibt es schon lange für Armeeanlagen, Bahnen und Bahnanlagen, Nationalstrassen, Grenzschutzeinrichtungen, Stromleitungen, Atomkraftwerke oder Atomend­lager. Nie zuvor hat der HEV solche Enteignungs­rechte des Bundes infrage gestellt. Nur jetzt, ausgerechnet für Asylzentren, wirft er das Geld seiner Mitglieder in eine Inseratenkampagne. Das ist reine Instrumentalisierung durch SVP-Politiker. Dabei ist, wie der Bundesrat versichert, bei den 16 geplanten Bundesasylzentren in keinem einzigen Fall eine Enteignung vorgesehen. Das Enteignungsrecht soll nur die Rekurs wütigen SVP-Lokalpolitiker von Verzöge­rungsrekursen abhalten.

Wie kommt der Schweizerische Gemeindeverband dazu, die Asylgesetzrevision nicht mehr zu unterstützen? Im Vorverfahren hatte der Verband nämlich die Revision befürwortet, weil ja die Gemeinden entlastet werden. Der derzeitige Präsident des Gemeindeverbandes, SVP-Ständerat Hannes Germann, verhinderte im Vorstand eine Parolenfassung. Auch hier eine Instrumentalisierung durch SVP-Politiker. Die Zivilverbände unseres Landes sollten sich in Zukunft besser überlegen, wie sie solche Fehlbesetzungen mit ungeeigneten Politikern vermeiden können.

Desinformation um «Gratisanwälte»

Wie kommen die Rechtsanwälte der Demokrati­schen Juristen Zürich dazu, die Asylgesetzrevision zu bekämpfen? Auch hier geht es um Interessen. Bisher konnten Rechtsanwälte mit immer neuen Rekursen und Einsprachen die Verfahren verzö­gern, verschleppen und Hilfswerken oder Priva­ten nach dem Anwaltstarif Rechnung stellen. Rekurse sind ein legitimes und zu schützendes Mittel im Rechtsstaat. Aber auch im Asyl- und Sozialhilferecht ist in aller Stille ein Business für Rechtsanwälte und Berater gewachsen. Im Wirtschafts- und Steuerrecht blüht indes eine noch mächtigere Phalanx von Anwaltskanzleien, die jede behördliche Massnahme mit Rekursen und Einsprachen unterhöhlen.

Mit dem neuen Asylrecht sollen in Zukunft unabhängige Rechtsvertreter von den Flücht­lingsorganisationen wie Caritas, HEKS, Heilsarmee oder Flüchtlingshilfe selber ausgesucht und angestellt werden. Der Bund zahlt den Hilfswerken pro Asylperson eine Fallpauschale von 1361 Franken. Diese Pauschali­sierung wird in Zukunft davon abhalten, die Verfahren bis zum Letzten auszureizen. Wenn die SVP von «Gratisanwälten» spricht, sind diese 1361 Franken Bundesvergütung anvisiert – eine böswillige Desinformation der Bürger. Die bisherige Rechtspraxis kennt viel höhere Anwaltskosten – bezahlt von den Hilfswerken!

Alles spricht für diese Beschleunigung und Zentralisierung der Asylverfahren. Die Vorlage vom 5. Juni ist ein realistischer Schritt. Doch viele andere Probleme wird sie nicht lösen – da braucht es brutale Ehrlichkeit. Die häufige Unmöglichkeit, Asylpersonen ohne Bleiberecht zurückzuschaffen, ist damit nicht beseitigt. Die Kosten für die arbeitsmarktliche Integration der Personen mit Bleiberecht bleiben eine Mammutaufgabe der Zukunft. Und die interkulturelle und interreligiöse Konfrontation ist damit nicht vom Tisch.

Die Gegner der Asylgesetzrevision haben allerdings für diese langfristigen Aufgaben der Gesellschaft schlicht keine Lösung! Ihre «Lösung», die 1899 Kilometer lange Schweizer Grenze mit WK-Soldaten vor Asylbewerbern zu schützen, zeugt von einem Anfall leichter Hilflosigkeit.

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