Das Geld muss hierbleiben

Kolumne vom 02.05.2017 im Tagesanzeiger/Bund

Mit einer Ablehnung würde ausgerechnet die von der Gegnerschaft angedrohte Versorgungslücke näher rücken.

Die Wirrnis um die Energievorlage, über die wir bald abstimmen, ist gross. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Wirtschaftsverbände bei einer wichtigen wirtschaftspolitischen Vorlage intern je so gespalten waren.

Economiesuisse verzichtete wegen interner Meinungsdifferenzen auf eine Abstimmungsempfehlung. Der Schweizerische Gewerbeverband wirbt für die Annahme. Denn auf dem Werkplatz Schweiz sind in den Branchen Gebäudetechnik, Energieeffizienz, Cleantech Zehntausende von gewerblichen Arbeitsplätzen geschaffen worden.

Die Swissmem-Verbandsspitze propagiert zwar ein Nein, aber die Grossen der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie wie ABB, Stahl Gerlafingen, Siemens Schweiz, Landis & Gyr sind dafür. Der Verband Scienceindustries der Pharma und Chemie, in dessen Vorstand Magdalena Martullo-Blocher das grosse Wort führt, sagt zwar Nein, aber die Grossen Novartis und Roche enthalten sich der Stimme. Die FDP Schweiz beschloss zwar die Ja-Parole, aber einige Kantonalparteien scheren aus. Die SVP bekämpft die Vorlage fundamental. Aber alle andern bürgerlichen Parteien und das ganze links-grüne Lager empfehlen klar ein Ja.

Diese Gespaltenheit findet ihre Personifizierung in der Figur des Albert Rösti. Als SVP-Präsident war er treibende Kraft zur Lancierung des SVP-Referendums. Als Pöstchensammler der Nation wirkt der SVP-Präsident gleichzeitig als Präsident des Atom-Lobbyverbandes Aves, als Präsident des Dachverbands der Brennstoffhändler Swissoil und als Präsident des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV). Der letztere Verband kämpft heftig für mehr Bundessubventionen für die derzeit defizitären Grosswasserkraftwerke. Die Landwirte, die von der Förderung von Solardächern und Biogasanlagen und von der Holzschnitzel-Wirtschaft profitieren, werden – einer Empfehlung des Bauernverbands folgend – ein Ja in die Urne legen. Ebenso die gewerblich-mittelständische Wählerbasis. Das Referendum ist in der SVP über die Köpfe der Basis durch­gedrückt worden. Die Unterschriftensammlung verlief deshalb harzig.

Atomausstieg: Fakten unbestritten

Die Energiestrategie 2050 ist komplex und langfristig angelegt. Woran soll sich der Stimmbürger halten? Wir bemühen uns hier um ein Ordnen von Fakten und Fake-News. Drei Tatsachen sind dabei unbestritten.

Erstes Faktum: Die Zeit der Atomkraftwerke ist am Auslaufen. Die Energievorlage gibt kein Abschaltdatum vor. Aber die technisch bedingte Materialversprödung wird die bestehenden AKW spätestens in den 2030er-Jahren zur Abschaltung bringen.

Zweites Faktum: In den nächsten Jahrzehnten ist ein AKW-Neubau nicht denkbar. Nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch weil der Bau und Betrieb schlicht nicht wirtschaftlich wäre. Dies wird nach vierzigjährigem Hoffen auf neue Atomtechnologie auch von den hartgesottensten Atomgläubigen heute eingeräumt.

Drittes Faktum – und dieses führt zum Zerwürfnis: Die zwangsläufige Abschaltung der AKW führt irgendwann, vielleicht in den 2030er-Jahren, zu einer Stromlücke. Die Energiestrategie, über die wir abstimmen, will vorausschauend diese lange Zwischenzeit nutzen. Den einen gehen die vorgesehenen Massnahmen gegen die Versorgungslücke zu weit, den anderen genügen sie nicht.

Für die dannzumalige Stromversorgung nach der Abschaltung der AKW gibt es ja bloss drei Möglichkeiten: Entweder importieren wir mehr Strom, oder wir nutzen durch Effizienzverbesserungen die Geräte besser, oder wir erzeugen mehr Strom im Inland.

Die Energiestrategie 2050 will massiv verstärkte Stromimporte vermeiden. Vielmehr will sie erstens eine weitere Effizienzsteigerung von Verbrauchsgeräten und Anlagen. In dieser technologischen Revolution sind wir mittendrin. Die LED-Beleuchtung braucht 90 Prozent weniger Strom als die Glühbirne. Die Solarpanels sind seit 2010 80 Prozent billiger geworden.

Intelligente Stromnetzsteuerungen vermeiden Engpässe. Mein Reihenhaus konnte mit einer Wärmepumpenanlage 64 Prozent Gesamtenergie­verbrauch einsparen. Vor zwanzig Jahren hätte man solches nicht für möglich gehalten. Diese stille Effizienzrevolution soll mit der Energie­vorlage gefördert werden und wird sicherlich weiter gehen.

Die Energiestrategie 2050 will zweitens die Produktion von Strom und Wärme aus Solarenergie, Wind und Biogas im Inland stärker fördern. Da haben wir im Vergleich zu andern europäischen Ländern einen Nachholbedarf.

Der stärkere Ausbau dieser dezentralen Stromproduktion indes kostet. Er wird gefördert, indem den Investoren eine (im Zeitablauf sinkende) kostendeckende Einspeisevergütung für ihre dezentrale Stromerzeugung garantiert wird. Die Energievorlage, über die wir abstimmen, will zu diesem Zweck den Strompreiszuschlag von bisher 1,5 auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde erhöhen. Diese 0,8 Rappen mehr bringen einer vierköpfigen Familie im Durchschnitt Mehrkosten von 40 Franken pro Jahr. Wer es nicht glaubt, rechne selber aufgrund seiner Stromrechnung nach.

Inlandinvestition statt Importausgaben

Die Propaganda gegen die Abstimmungsvorlage behauptet, sie bringe Mehrkosten von 3200 Franken pro Haushalt. Dies sind Fake-News, eine ungeheuerliche Irreführung. Diese Propaganda verwechselt die Ohnehin-Kosten, die in der Energiewirtschaft in den nächsten dreissig Jahren zur Erneuerung des bestehenden alten Wasserkraftwerkparks und der Stromanlagen ohnehin nötig sind, mit der Energievorlage. Die früher vorgesehene, rückerstattbare Energiesteuer ist zudem bereits gestrichen worden.

Um bei den Fakten zu bleiben, muss man allerdings redlicherweise auch dies einräumen: Mit der Abstimmungsvorlage wird die Stromlücke nach dem Auslaufen aller Atomkraftwerke in den 2030er-Jahren nicht gänzlich geschlossen. Die vorgesehenen neuen erneuerbaren Energien ersetzen etwa die Hälfte. Die andere Hälfte muss durch effiziente Zukunftstechnologien oder durch mehr erneuerbare Energien oder durch sparsame Gaskombiheizkraftwerke geleistet werden. Über diese Technologien soll die nächste Generation entscheiden.

Wir zahlen derzeit rund 10 Milliarden Franken jährlich für Energieimporte, namentlich für Heizöl, Benzin und Erdgas. Jede Energiestrategie kostet. Entweder zahlen wir Kosten für energetische Investitionen im Inland, die hochwertige Cleantech-Arbeitsplätze bringen – oder für die Importkosten ans Ausland. Wirtschaftlich vernünftiger ist, dass das Geld hierbleibt und bei uns beschäftigungswirksam wird!

Die Energiestrategie löst nicht alle Probleme. Sie ist ein in fünfjährigem Ringen erarbeiteter parlamentarischer Kompromiss. Dieser wird eigentlich nur von der SVP-Spitze in Fundamentalopposition und von praxisfernen, ideologischen Marktgläubigen bekämpft.

Eine Ablehnung schafft auf Jahre hinaus keine bessere Alternative. Die Gegner der Vorlage haben schlicht keine Alternativen präsentiert. Man sollte die Zeit nutzen. Mit einer Ablehnung würde ausgerechnet die von der Gegnerschaft angedrohte Versorgungslücke nur näher rücken.

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