China stellt die westliche Industrie in den Schatten

Kolumne vom 21. 10. 2017 im Tagesanzeiger/Bund

An der Berufs-WM in Abu Dhabi messen die Industrienationen ihre Leistungsfähigkeit. Die Schweiz behauptet sich gegen eine starke asiatische Konkurrenz an der Weltspitze.

Der Stress war für Marco Michel enorm: Seine Testanlage wollte einfach
nicht funktionieren, dabei tüftelte der gelernte Spezialist für Aviation
Polymechaniker/Automation schon vier Tage daran. Der Kernser, der bei
Ruag Aviation arbeitet, sollte bei den Berufsweltmeisterschaften in Abu
Dhabi eine digitalisierte, automatische Sandförderanlage bauen.
Stundenlang suchte Michel nach dem Fehler – und fand ihn schliesslich:
Ein Relais, das ihm die Veranstalterausgehändigt hatten, war defekt. Es
war also nicht Michels Schuld, dass die von ihm entworfene Förderanlage
streikte. Daher gewährte die Wettkampfleitung dem 20-Jährigen zwei
Stunden zusätzlich. Und belohnte am Ende seine Arbeit mit der
Silbermedaille.

Schweizer Präzision und Stressresistenz wurden bei den
Berufsweltmeisterschaften in Abu Dhabi gleich mehrfach ausgezeichnet: In
36Berufsfeldern holte die Schweizer Delegation elf Gold-, sechs Silber-
und drei Bronzemedaillen sowie dreizehnDiplome. Fünf Medaillen gingen an
Frauen.

Mit diesem Ergebnis wurde die Schweiz erneut mit Abstand Europameisterin
der Berufsbildung. Und weltweit ist sie nach China die Nummer zwei. Mit
diesem Glanzresultat haben die Schweizer Berufsleute auch wieder die
leistungsstarken Asiaten Korea und Taiwan hinter sich gelassen.

«Wir wussten nicht, wie wir uns gegenüber den Asiaten einreihen sollten,
jetzt sind wir erleichtert», sagte Christine Davatz, die Vizedirektorin
des Schweizerischen Gewerbeverbandes, die seit 19Jahren die Schweizer
Wettkampfteilnahme betreut. Denn von Mal zu Mal werden die World Skills
Competitions härter. Die asiatischen Berufsleute – sie dürfen nirgends
älter als 22Jahre alt sein – werden immer besser trainiert und immer
mehr auf den neusten Stand der Digitalisierung gebracht. In China und
Korea kümmert sich gar die Regierung um das Training der Teilnehmer, es
dauert zwei volle Jahre. Und wer in Korea eine Goldmedaille heimbringt,
erhält von der Regierung ein Haus als Siegerprämie geschenkt.

China war an den vorletzten Berufsweltmeisterschaften im Jahre 2013 noch
nirgends. An den letzten World Skills 2015 figurierte es noch hinter der
Schweiz auf Platz5. Jetzt ist es Weltspitze und angesichts der harten
Selektion kaum mehr schlagbar. Für die Regierung Chinas gelten die World
Skills als Gradmesser für internationale Konkurrenzfähigkeit und
Innovation. Und sie sieht ihre Berufsleute als Botschafter für die
Performance der Wirtschaft. «Die chinesischen Wettkämpfer werden
sorgfältig selektioniert und top vorbereitet», meint anerkennend ein
Experte aus der Jury, «in Zukunft werden die Chinesen den Standard setzen.»

Deutschland schaffte es mit nur drei Medaillen dagegen nicht unter die
Spitzenränge. Die deutschen Berufsfachleute werden nicht vom
Zentralverband des Deutschen Handwerks – dem Pendant zum Schweizerischen
Gewerbeverband -, sondern von einer unabhängigen, wirtschaftsferneren
Organisation, Worldskills Germany, vorbereitet. In Deutschland gilt
zudem die Berufsbildung nach der Akademisierungswelle als Art
Karrieresackgasse, in der Schweiz gibt es dagegen die Berufsmaturität
und die Höhere Berufsbildung als Aufstiegsleiter.

Die Schweizer Wettkämpfer werden zudem von den Berufsverbänden
vorbereitet. Die Koordination liegt beim Schweizerischen Gewerbeverband.
Auch die Industrieverbände wie zum Beispiel SwissMem bereiten ihre
Wettkämpfer in den industriellen Berufen selber vor. Die Stärke der
Schweiz liegt in ihrer praxisnahen Ausbildung der Lehrlinge und der
jungen Berufsleute. Sie machen ihre duale Berufslehre meist in
wettbewerbsorientierten Firmen und stellen sich früh der Konkurrenz. Das
zahlte sich in Abu Dhabi aus, dort wurden die Projektaufgaben nur in
Englisch vorgelegt, bloss eine mündliche Übersetzungshilfe war zugelassen.

Die zwei Schweizer Landschaftsgärtner/Gartenbauer Benjamin Räber und
Nils Bucher mussten aufgrund eines Plans einer wohl praxisfernen
japanischen Gartenbauarchitektin eine auf Wüstensand basierte
Gartenanlage mit Mauern, Treppen, echten Palmen und Wüstenpflanzen
errichten. Doch wegen Organisationsfehlern bei der Wettkampfleitung
fehlte die Hälfte des nötigen Sands, es fehlten die Folien und die
Abdeckplatten für die Gartenmauern. Trotz Stress wurden die beiden mit
kreativen Lösungen Vizeweltmeister im Landschaftsgartenbau.

Um die Austragungsorte findet mittlerweile ein hartes Ringen statt. Wie
bei den Olympischen Spielen und den Fussballweltmeisterschaften werden
die World Skills Competitions zum Vorzeige-Event von Potentaten. Diesmal
war es der Scheich der Vereinigten Arabischen Emirate; im Jahr 2019 wird
Wladimir Putin im russischen Kasan die World Skills eröffnen und 2021
der chinesische Staatschef in Shanghai.

Die Schweiz musste, wie schon berichtet, ihre Kandidatur für die World
Skills 2021, die in Basel geplant war, zurückziehen. Bundesrat Johann
Schneider-Ammann hatte einen Bundesbeitrag von 30Millionen Franken
beantragt. Doch der Bundesrat schmetterte den Plan ab. Dagegen will er
die Olympischen Winterspiele mit einer Milliarde unterstützen. Nach der
30-Millionen-Pleite zog es Schneider Ammann vor, seinen geplanten
Wettkampf- und Staatsbesuch in Abu Dhabi wieder abzusagen.

https://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/standarddie-berufswm-wird-zum-prestigeevent/story/23284076