Zweite Säule: Vertrauen bauen!

Tages-Anzeiger – Dienstag, 1. März 2011

Mit 73 Prozent Nein-Stimmen-Anteil zur BVG-Revision hat das Volk vor einem Jahr die Pensionskassenvorlage versenkt. Für die wenigsten war die Senkung des technischen Umwandlungssatzes ausschlaggebend. Vielmehr war die überwältigende Ablehnung ein Ventil für den aufgestauten Vertrauensverlust gegenüber der zweiten Säule – und zwar bei Arbeitnehmenden und Arbeitgeberkreisen gleichermassen.
Das überwältigende Nein war eine Art Demonstration gegen die Berater- und Anlegerszene, die unsere Pensionskassen und BVG-Sammelstiftungen mit ihren rund 750 Milliarden Franken an zwangsersparten Vermögen seit langem als Selbstbedienungsladen ausnutzte – und heute noch benützt. Ihre undurchsichtigen Beraterhonorare, Management-Gebühren, Banken-Courtagen, Kickbacks und Hedgefonds-Spekulationsgeschäfte hatten schon lange zuvor Anstoss erregt.
Seit dieser Volksabstimmung sind die Spielregeln für die Pensionskassenanlagen unverändert geblieben. Doch jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Gestern ist die Vernehmlassungsfrist für die sogenannte BVG-Strukturreform abgelaufen. Und gleichzeitig ist die verdeckte Lobby-Maschinerie der Anleger- und Bankenszene gegen die strengeren Aufsichtsregeln angelaufen.
Schon vor Ablauf dieser Frist hatte der Pensionskassenverband (Asip), welcher vor allem von der Privatassekuranz finanziert wird, hinter den Kulissen bei einer organisierten Begegnung mit Parlamentariern mit einem breiten Sperrfeuer gegen schärfere Aufsichtsregeln und gegen das Bundesamt für Sozialversicherungen intrigiert. Dabei ist die Oberaufsicht vom Parlament mit der Strukturreform im BVG ausdrücklich gewünscht worden.
Der Pensionskassenverband müsste eigentlich die Versicherten und die gemeinnützigen Kassen vertreten. Doch die Asip und der Verband der BVG-Sammelstiftungen KGAST verfolgen verbissen die Deregulierungsdoktrin zum Vorteil von Banken und Privatassekuranz gegen die Versicherteninteressen. Der Schlüssel zur Umsetzung dieser Strukturreform liegt nun bei Bundesrat Didier Burkhalter. Bis jetzt sind ihm allerdings noch keine Würfe und keine Reformen in der Sozialgesetzgebung gelungen. In drei Bereichen gibt es bei der zweiten Säule Regelungsbedarf zur Vertrauensbildung.
Da ist erstens einmal die fehlende Kostentransparenz bei Vermögensanlagen. Niemand weiss genau, wie viel die administrativen Kassenverwaltungskosten und Beratungskosten wirklich ausmachen und wie viel Vermögensverwaltungskosten und dahinter versteckte Fondskosten, Transaktionskosten, Stempelsteuern und Retrozessionen zulasten der Pensionskassenvermögen an die Anleger- und Bankenszene abfliessen.
Viele dieser Verwaltungs- und Börsenhandelskosten sind versteckt. Ein echter Kostenvergleich unter den Kassen ist praktisch unmöglich.
Unter allen diesen Titeln versickern jährlich mindestens vier Milliarden Franken als Kosten: Offiziell ausgewiesen sind nur die rund 900 Millionen Franken Kosten der technisch-administrativen Verwaltung. Die Kosten der Vermögensverwaltung von mindestens 0,4 Prozent oder zusätzlichen 3 Milliarden Franken sind nicht transparent ausgewiesen. Das Bundesamt für Statistik nennt 2,3 Milliarden Franken Verwaltungskosten, gibt aber zu, dass dabei nicht alles gemeldet wird.
Der Bundesrat muss mit einem Kostenraster das Reporting aller Pensionskassen und Sammelstiftungen einfordern, damit die BVG-Einrichtungen vergleichbar werden. Transparenz ist die wichtigste Massnahme zur Vertrauensbildung. Die bisherigen Verwaltungsvorschläge zur Kostentransparenz sind ungenügend.
Ein zweiter Bereich betrifft die Retrozessionen oder Kickbacks, die die Anlageberater und Vermögensverwalter von den Banken und Fonds versteckt unter dem Tisch durch erhalten. Die Auswertung der Vermögensverwaltungs-Offerten im eben publizierten Banken-Rating der Zeitschrift «Bilanz» hat ergeben, dass nur gerade 6 von 45 Schweizer Banken die Kickbacks offenlegen. (Der Schreibende ist dort Jurymitglied.)
Nach der neuen BVG-Gesetzgebung müssten diese nun unaufgefordert offengelegt und der Pensionskasse zugeschrieben werden. Doch nun will die Schweizerische Bankiervereinigung mit ihrer Stellungnahme vom 7. Februar eben gerade diese unethischen, wettbewerbsverzerrenden Köder- und Anfütterungsgeschenke im Anlagebusiness wieder zulassen.
Diese Forderungen der Bankiers sind derart unverfroren formuliert, man könnte meinen, das Parlament hätte dazu nichts beschlossen. Auch hier liegt der Ball bei Bundesrat Burkhalter.
Ein dritter Bereich betrifft die Anlagevorschriften für unsere Pensionskassengelder. Die Limiten sind 2008 kurz vor der Finanzkrise auf Begehren der Anleger- und Beraterszene in unverständlichem Ausmass liberalisiert worden. Zum Beispiel sind Hedgefonds-Anlagen bis 15 Prozent des Pensionskassenvermögens zulässig.
Hedgefonds tätigen spekulative Geschäfte. Sie unterstehen keiner öffentlichen Aufsicht und eignen sich nicht für langfristige und sichere Pensionskassenanlagen. Damit Vertrauen entsteht und der Beratungsaufwand zum Risikomanagement wieder kleiner wird, sind Hedgefonds- Anlagen für zwangsersparte Pensionskassengelder zu verbieten.
Ebenso sind Pensionskassenanlagen in aktivistische Anlagefonds – also Fonds, bei denen ständig Aktien gekauft und wieder verkauft werden – zu unterbinden, weil bei diesen durchschnittlich jährlich 1,5 Prozent des Kapitals mehr zu den Banken und Fonds abfliesst als bei den passiv verwalteten Anlagefonds (sogenannte ETF). Investitionen in ständig abwertungsgefährdete Dollaranlagen sind ebenfalls einzuschränken.
Bei der Liberalisierung 2008 sind die Anlagen der Pensionskassen in Wohnungen und Liegenschaften von 50 auf 30 Prozent reduziert worden. Diese Anlagegrenze ist wieder auf 50 Prozent anzuheben. Jetzt kommt mit der Verordnungsänderung BVV-2 und dem Vollzug der vom Parlament beschlossenen Strukturreform, wie gesagt, die Stunde der Wahrheit. Der Tatbeweis zur Wiederherstellung des Vertrauens liegt beim Bundesrat. Eigentlich müssten die Pensionskassen und Sammelstiftungen selber das grösste Interesse an Kostentransparenz und vertrauensbildender Oberaufsicht haben. Denn mehr Transparenz, eine unabhängige Aufsicht und der Verzicht auf spekulative Hedgefonds- Anlagen sind für den Aufbau neuen Vertrauens in unsere Pensionskassen entscheidend. Vertrauen ist nie gratis.

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