Zähes Ringen um die Hochpreisinsel.

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 21. Januar 2014

Der Einkaufstourismus im Ausland wird für Schweizer zur Gewohnheit. 38 Prozent der Basler und 31 Prozent der Genfer fahren regelmässig über die Grenzen zum Einkaufen ins nahe Ausland. Bei den Aargauern sind es 29 Prozent, bei den Zürchern 17 Prozent und den Bernern 7 Prozent. Gesamtschweizerisch tätigt ein Fünftel aller Haushalte regelmässig, nämlich 2,2-mal pro Monat, ihre Einkäufe im Ausland, was zusammengezählt eine Einkaufssumme von 8,9 Milliarden Franken im Jahr ausmacht.

Zwar sind einige wenige Prozente der Währungsgewinne in den letzten zwei Jahren an die Konsumenten weitergegeben worden, aber die grossen Preisdifferenzen Inland/ Ausland bleiben. Der Einkaufstourismus etabliert sich weiter. Der Schweizer Detailhandel verliert dadurch schätzungsweise 3 Milliarden Franken pro Jahr an Wertschöpfung im Inland. Erstaunlich, dass das Wirtschaftsestablishment diesen Missstand so locker hinnimmt und Konsumenten ebenso wie KMU im Stich lässt.

Ein Missverständnis taucht immer wieder auf: Die Hochpreissituation für internationale Produkte und Markenartikel hat wenig mit den hohen Schweizer Löhnen zu tun. Sie entsteht zu 80 Prozent dadurch, dass ausländische Konzerne die Schweiz über ihre Filialen oder Alleinimporteure teurer beliefern und dabei gleichzeitig verhindern, dass die Schweizer Detailhandelsfirmen und KMU im Ausland direkt einkaufen können – ein klarer Verstoss gegen den Wettbewerb

Diese Geschäftspraktiken der grossen ausländischen Konzerne treffen nicht nur die Schweizer Konsumenten, sondern zu Tausenden auch die KMUWirtschaft, die Gewerbler, die Handwerker wegen teurer Werkzeugmaschinen, die Spitäler und Universitäten beim Einkauf von Laborgeräten, die Wirte und Hoteliers wegen der überteuerten Importbiere und Coca-Cola- Getränke. Es gibt unzählige Beschwerden von KMU-Inhabern, weil sie bei Importprodukten benachteiligt werden. Der Basler Wirteverband schrieb an SP-Nationalrat Corrado Pardini, der immer noch nicht weiss, ob er für die Konsumenten oder für die Konzerne stimmen will: «Wir schreiben Sie als Gewerkschafter und WAK-Mitglied an. Wie wir vernommen haben, sind Sie gegen den Art. 7a des Kartellgesetzes, so wie er vom Ständerat beschlossen wurde. Sie nehmen in Kauf, dass Schweizer KMU durch ausländische Unternehmen abgezockt werden. Das gefährdet sehr viele Arbeitsplätze in der Schweiz!» Die Basler Wirte zahlen nämlich fast das Doppelte für das Bier wie ihre Kollegen jenseits der Landesgrenze; und die Bierkonzerne verhindern, dass sie en gros vom Ausland aus beliefert werden können.

Die grossen multinationalen Schweizer Firmen, die ein Standbein im Ausland haben, sind dieser Preisdiskriminierung längst ausgewichen. Sie benützen ihre ausländischen Filialen zum Direkteinkauf. Die KMU können das nicht.

Man erinnert sich: Im August 2011 organisierte Bundesrat Johann Schneider- Ammann, aufgeschreckt durch Medienschlagzeilen, einen runden Tisch zur Hochpreisproblematik und versprach danach vor der Kamera rasche Abhilfe. Im Ständerat bekämpfte er dann doch vehement jenen Antrag von FDP-Ständerat Hans Hess, der im Interesse der KMU-Wirtschaft im Kartellgesetz mehr Wettbewerb und offene Importmärkte verlangte. Trotz Schneider-Ammans Opposition erklärte es der Ständerat für unzulässig, dass ein ausländischer Lieferant einen Besteller aus der Schweiz nicht zu gleichen Preisen oder gar nicht beliefert (man spricht von «Lex Nivea»).

Das heutige Kartellgesetz hat nämlich eine grosse Lücke: Man kann eine Preisabrede oder Verpflichtung zur Nichtbelieferung der Schweiz nur bestrafen, wenn diese Praxis schriftlich in einem Vertrag festgehalten und dies danach entdeckt wird. Dieser Beweis war nur in zwei Einzelfällen möglich: gegenüber BMW, das den deutschen Händlern schriftlich verbot, BMW-Fahrzeuge in die Schweiz zu liefern, sowie beim Lieferverbot des Elmex-Zahnpasta- Herstellers, der einer österreichischen Handelsfirma schriftlich die Belieferung von Denner Schweiz verboten hatte. In Hunderten anderer Fälle sind solche unsauberen Geschäftspraktiken nach dem heutigen Kartellgesetz nicht beweisbar.

Wo harzt es denn bei der Gesetzesanpassung? Im Vordergrund stehen die Lobbyisten von Economiesuisse und der Markenartikelproduzenten. Sie hielten geheime Sitzungen mit ausge- wählten Nationalräten ab. Erstaunlich ist, dass der sonst so kämpferische Schweizerische Gewerbeverband wegen einer Absprache mit Economiesuisse seine KMU-Mitglieder in der Hochpreisfrage im Regen stehen lässt.

So ist es halt in der Wirtschaft: Die Grossen rufen nach Wettbewerb, wenn er ihnen nützt. Und sie verhindern ihn durch Marktaufteilung und Lieferverbote, wo immer es möglich ist. Sie fordern zwar «offene Märkte» und laufend Freihandelsabkommen, aber das Gleiche verweigern sie den KMU, dem Detailhandel und den Konsumenten im Inland. Hoffentlich erinnert sich der neu gewählte Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer an seine Zeit als Chef der Firma Intersport, als er die meisten Sportartikel im Ausland sündhaft viel teurer beschaffen musste. Wird er sich gegen die Interessen der Konzerne und gegen seine Verbandsbürokratie durchsetzen können?

Die Wirtschaftskommission des Nationalrats wird sich nächste Woche und der Nationalrat im März erneut mit dieser Hochpreisproblematik befassen. Die traditionell konsumenten- und wettbewerbsfreundlicheren Parteien CVP, SP und Grüne, die seinerzeit das moderne Kartellgesetz geschaffen hatten, werden sich zu einer Lösung zusammenraufen müssen. Die FDP ist mehrheitlich in Konzerninteressen befangen und befolgt die Anordnungen des viel schreibenden, konzernnahen NZZ-Kampfjournalisten Hansueli Schöchli. Und die SVP stimmt wohl mehrheitlich aus Nein-Reflexen dagegen, selbst wenn es gegen die Interessen ihrer Landwirte und Gewerbler geht. Die Kartellgesetzrevision des Ständerats steht auf Messers Schneide. Sie wird zum Politkrimi werden.

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