Kolumne von Rudolf Strahm in TA-Media, 22. 3. 2022
Das Werben um Rohstoffkonzerne und intransparente ausländische Holdinggesellschaften hat sich nicht ausbezahlt. Vielmehr schadet es der Reputation der Schweiz.
«Das sind Eure Banken, die das Geld all derer aufbewahren, die diesen Krieg losgetreten haben», rief der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski uns Schweizern am Samstag in Erinnerung. 180 Milliarden Franken Privatvermögen von megareichen Russen liegen bei Schweizer Banken. Und 80 Prozent aller Rohstoffexporte Russlands laufen über russische und internationale Firmen mit Sitz in der Schweiz. Dies ist das Resultat von drei Jahrzehnten Lockvogelpolitik zugunsten von Rohstoff-Oligarchen. Die Quittung dieser Willkommenskultur für russische Kleptokraten und andere Kreml-Sympathisanten holt uns jetzt ein.
Der hierzulande prominenteste Oligarch und Putin-Vertraute Viktor Vekselberg ist ein symptomatischer Fall: Erst auf Druck der USA verpflichtet sich die Schweiz nun zur Mitwirkung bei den Sanktionen gegen ihn.
Laut der Reichen-Statistik der «Bilanz» verfügt Vekselberg über ein Vermögen von 8 bis 9 Milliarden Franken. Er kontrolliert als beherrschender Aktionär weitgehend den Sulzer-Konzern, die OC-Oerlikon, die Swiss Steel-Gruppe, den Züblin-Baukonzern. Diese sehen sich jetzt durch ihren Hauptbesitzer international in die Schmuddelecke gestellt.
«Klein-Moskau Zug»
In Russland ist Vekselberg zudem an Metallfirmen, Flughäfen, Telecomkonzernen, am Ölkonzern TK-BP, am Aluminiumkonglomerat Rusal sowie an weiteren Investitionen in Südafrika, Zypern und USA beteiligt. Nachdem der Kanton Zürich die Pauschalbesteuerung von Ausländern abgeschafft hatte, verlegte Vekselberg seinen Wohnsitz von Zürich nach Zug. Die NZZ am Sonntag frotzelte danach über das «Klein-Moskau Zug», das sich bei der Beherbergung von Räuberholdings als Europameister herausstellt.
Blenden wir zurück: Vekselberg hat seine Eroberungsstrategie an der Börse in den Nuller Jahren gegen alle Widerstände mit einem Heer von Rechtsanwälten durchgezogen. Gleichzeitig praktizierte Vekselberg auch hierzulande die russischen Methoden der Geschichtskorrektur. Als das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» in einer dreiteiligen Reportage von Jörg Becher aufgrund seiner Moskau-Recherchen die Bereicherungspraktiken des kleinen Laborleiters Vekselberg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion veröffentlichte (Teil I in Bilanz Nr. 3/2007), mussten die betreffenden Artikel nach rechtlichen Interventionen aus dem öffentlich zugänglichen Online-Bilanzarchiv entfernt werden. Sie fehlen dort heute noch.
Nachdem der Schreibende am 6. Juli 2010 in dieser Zeitung eine Kolumne mit dem Titel «Der lange Arm der russischen Finanzoligarchie» zu Vekselbergs Börsentricks und Vorgeschichte publizierte, wurde auch ich vom langen Arm des Oligarchen eingeholt: Schon tags darauf intervenierte der beim Bund ausgeschiedene ex-Botschafter Thomas Borer mit seiner «Dr. Borer Consulting» bei der Chefredaktion scharf gegen mich. Vekselbergs Beteiligungsholding Renova verlangte ultimativ Korrekturen. Und von mir forderte sie eine Entschuldigung, die ich allerdings umgehend mit neuen Quellenbelegen konterte.
Parlamentarische Untersuchungskommission wäre gerechtfertigt
Vekselberg war dank seinen Anwälten und Russland-Beziehungen in der Lage, seine Position zu festigen. Nach der Eroberung von OC-Oerlikon verfügte das Eidgenössische Finanzdepartement zwar eine Busse von 40 Millionen Franken wegen seiner Börsenmanipulation – was er sofort mit einem Rekurs beantwortete. Im Vorfeld des Prozesses im Herbst 2010 gab es gemäss Zeitungsberichten eine Intervention auf höchster Ebene durch den damaligen russischen Präsidenten Dimitri Medwedew (er hatte Putin als Präsident zeitweilig abgelöst) bei der Bundespräsidentin. Andere taten das direkt bei der Bundesverwaltung.
Als der Rekurs gegen die 40-Millionen-Busse vor dem Bundesstrafgericht verhandelt wurde, schickte das Finanzdepartement unter Hans-Rudolf Merz nicht einmal mehr seinen Rechtsvertreter zum Prozess und signalisierte damit – zur Konsternation der anwesenden Gerichtsjournalisten – dass der Departementschef die zuvor von seiner Verwaltung verfügte Busse nicht mehr verteidigen wollte. Vekselberg obsiegte. Noch vor seinem Rücktritt beantragte dann Hans-Rudolf Merz, die Maximalbussen bei Börsenvergehen dieser Art generell auf 500‘000 Franken zu limitieren. Von 40 Millionen auf 0.5 Millionen.
Seither wurden in Erwartung neuer Steuereinnahmen neue Schlupflöcher im Steuer- und Börsenrecht eingebaut – Privileg um Privileg für megareiche Oligarchen und Rohstoffschieber. Über 200 von ihnen, die heute ihren Wohn- oder Firmensitz in der Schweiz ausnützen, sind jetzt auf der internationalen Sanktionsliste. Eigentlich würde die strukturelle Lockvogelpraxis längst eine PUK, eine Parlamentarische Untersuchungskommission, rechtfertigen!
Heute machen uns diese oft verdeckt gewährten Steuervorzüge und Schlupflöcher einiger Kantone wie etwa Zug und Genf politisch viel Bauchweh. Man denke an die bevorstehende, globale Umsetzung der neuen OECD-Mindestbesteuerung. Die Willkommenskultur für Oligarchen, Rohstoffkonzerne und intransparente ausländische Holdinggesellschaften hat sich nicht ausgezahlt. Sie schadet der Reputation und bringt die Schweiz in Verruf.
(publiziert 22. 03. 2022 in Tages-Anzeiger, Der Bund, TA-Online)