Wie weiter ohne Bankgeheimnis?

Die letzte Verteidigungslinie für das Bankgeheimnis ist eingebrochen: Luxemburg und Österreich haben ihren Widerstand gegen den innereuropäischen Austausch von Bank- und Steuerdaten aufgegeben. Nicht freiwillig, sondern weil sie ihr Bankgeheimnis gegenüber den USA preis- geben müssen – und weil im Gefolge die EU-Länder gleichwertiges Recht in Europa einfordern.

Jahrelang hatte die Schweiz ihre Steuerfluchthilfe an Ausländer hartnäckig verteidigt mit der Rechtfertigung, Luxemburg und Österreich täten dasselbe. Auch das clevere Liechtenstein hat sich mittlerweile vorausschauend für die Übernahme des automatischen Informationsaustauschs von Bankdaten (AIA) ausgesprochen.

Die mächtigen Regierungs- und Staatschefs der G-20 haben die OECD beauftragt, innert Monaten die Bekämpfung der Steuerflucht durch einen weltweiten Informationsaustausch entscheidungsreif zu machen.

In nur einem halben Jahr sind also die Verteidigungslinien der Schweiz zur Verteidigung ihres Mythos, des Bankgeheimnisses, zusammengebrochen:

  • Die Abgeltungssteuer wurde vom wichtigsten und entscheidenden Nachbarland Deutschland zurückgewiesen – nicht zuletzt wegen der schweizerischen Schlaumeierlösung mit einer 15-monatigen Abschleichfrist für nicht deklarierte Vermögen.
  • Die Weissgeldstrategie ist implodiert, weil klar geworden ist, dass die dabei vorgesehene Selbstdeklaration der Bankkunden von den G-20-Staaten ebenso wenig als glaubwürdig akzeptiert wird wie von den EU-Regierungen.

Die USA verlangten von der Schweiz wie von allen wichtigen Bankenländern mit den sogenannten Fatca-Abkommen eine (einseitige) Lieferung von steuerrelevanten Bankdaten. Diese Abkommen haben in ganz Europa den Anpassungsschub ausgelöst. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hatte bereits im Dezember 2012 vom luxemburgischen Finanzminister die vertrauliche Botschaft entgegennehmen müssen, dass Luxemburg auf die amerikanische und die EU-Linie umschwenken würde.

Vielleicht war die Bundesrätin zu ehrlich, vielleicht auch zu naiv, als sie aufgrund dieser Aussichten anregte, bei uns Alternativen zu prüfen. Jedenfalls bekam sie Schelte von bürgerlichen Parteichefs, von Kampfbankern und von NZZ-Wirtschaftsredaktoren, die alle ein bisschen unter Realitätsverweigerung leiden.

Die «eingebetteten» NZZ-Redaktoren dreschen seither besserwisserisch auf die Bundesrätin ein, unterstellen ihr Opportunismus, Einknicken, Anpassermentalität. Dabei hat die Finanzministerin nur eines versucht: die helvetische Elite auf die neue Realität behutsam vorzubereiten und den erneuten Handlungsbedarf für die Schweiz aufzuzeigen. Die Preisgabe eines Mythos durch die Politiker ist halt ein schmerzhafter Prozess.

Nach dem Einbruch der Verteidigungslinien hören wir von der Bankenszene eine Kakofonie von Ansichten und divergierenden Interessen:

  • Die beiden Grossbanken UBS und CS hatten schon 2009 respektive 2011 vom Bund die Aufhebung des Bankgeheimnisses ultimativ gefordert, damit sie durch Bankdatenlieferungen dem Würgegriff der amerikanischen Justiz entkämen. Sie kämpfen jetzt für das Fatca-Abkommen, das den quasiautomatischen Datentransfer an die USSteuerbehörden festschreibt. Bei der Vermögensverwaltung haben sie sich längst auf ein neues Geschäftsmodell ohne Bankgeheimnis mit institutionellen Anlegern (also Pensionskassen, Versicherungen, Auslandbanken, Notenbanken) eingestellt.
  • Die Privatbanken, die jahrzehntelang auf die Steuerfluchthilfe für Privatkunden ausgerichtet waren, liessen durch ihren Präsidenten Nicolas Pictet Anfang Mai verlauten, der Bundesrat solle möglichst rasch «mit der EU einen ernsthaften Dialog eröffnen » und «mit ihr eine institutionalisierte Partnerschaft suchen». Denn «die Unsicherheit» sei «unerträglich geworden».
  • Die Inlandbanken, Kantonalbanken oder auch die Raiffeisenbank sind längst auf die Linie eines Bankdatenaustauschs geschwenkt.
  • Es bleibt eine Gruppe von «Kampfbankern » – der SVP-Politiker und Bankier Thomas Matter etwa. Oder der Financier Martin Janssen, der sich als Uniprofessor zitieren lässt, aber eine der grössten Assetmanagement-Gesellschaften mitbetreibt.
  • Die Schweizerische Bankiervereinigung ist bloss noch ein Phantomverein, der um die eigene Anerkennung kämpft und die Kakofonie der Banken längst nicht mehr im Griff hat.

Die Verteidigungslinien sind eingebrochen – die Bankenszene ist auseinandergefallen – was nun? Wie soll eine Strategie aussehen, die eine nachhaltige Beruhigung bringt?

Die Interessen der Banken sind längst nicht mehr gleichzusetzen mit den Interessen der Schweiz. Bankgeheimnis und Steuerflucht schaden dem Ruf der Schweiz nachhaltig. Weil die Steuerflucht und die Holdingbesteuerung andere Staaten direkt schädigen, sind deren Forderungen an die Schweiz politisch und moralisch berechtigt.

Denn Steuerflucht ist in der Weltwirtschaft wettbewerbszerstörend. Wer von der Globalisierung profitieren will, muss auch deren Spielregeln einhalten. Zu dieser strategischen Einsicht braucht es keine Expertenkommissionen mehr. Wenn der Bericht der Expertengruppe Brunetti gedruckt und übersetzt vorliegt, wird er wohl durch die internationalen Entwicklungen überholt sein.

Die Schweiz braucht jetzt eine aktive Flucht nach vorn auf zwei Verhandlungsschienen: Sie muss aktiv in der OECD mitmachen, dort die neuen globalen Spielregeln des Bankdatenaustauschs mitgestalten und übernehmen. Und gleichzeitig muss die Schweiz im Interesse des Marktzugangs in Europa auch mit Brüssel kooperieren. Allerdings darf sie gegenüber der EU auch auf Gegenleistungen beharren, zum Beispiel bei der Regularisierung der Altvermögen oder bei der von der EU geforderten automatischen Übernahme des Personenfreizügigkeitsrechts.

Es lässt sich voraussehen: Mit der zukünftigen europäischen Finanzmarktrichtlinie Mifid II werden nur noch jene Banken und Finanzgesellschaften den Zugang zum europäischen Markt erhalten, die in den EU-Ländern auch die EU-Informationsstandards einhalten.

Man muss nicht Prophet sein, um dies vorauszusagen: Banker werden erneut nach Bundesbern pilgern und vom Bund aus Eigeninteresse die Übernahme der europäischen Datenaustauschregeln verlangen. Das bisherige Steuerfluchtgeheimnis wird von den Bankern selber beseitigt werden.

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