Wettbewerb nur dort, wo er den Konzernen passt?

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 30. September 2014

Es war im August 2011 ein Schock: Der Kurs des Frankens explodierte, der Euro stürzte ab. Die Schweiz litt unter der raschen Frankenaufwertung und den eingebrochenen Ausfuhrzahlen. Die Exportmöglichkeiten schrumpften dramatisch, und die Aufwertungsgewinne bei den Importen flossen den ausländischen Lieferanten zu. Bundesrat Johann Schneider-Ammann rief einen runden Tisch zusammen und proklamierte danach über alle Kanäle hoffnungsfroh, jetzt werde umgehend gegen die Hochpreisimporte vorgegangen

Diese «unverzüglichen» Massnahmen gegen Hochpreisimporte hätten im Kartellgesetz verankert werden sollen. Doch die vorgesehene Revision des Gesetzes ist vom Nationalrat in der letzten Session still beerdigt worden. Das federführende Volkswirtschaftsdepartement hatte den vorberatenden Parlamentskommissionen gar nie konkrete Vorschläge zur Bekämpfung der Hochpreisimporte unterbreitet. Die Pläne für eine «Lex Nivea» kamen immer vom Parlament.

Die gescheiterte Revision des Kartellgesetzes war die wichtigste und weitreichendste wirtschaftspolitische Vorlage dieser Legislaturperiode. Sie war sieben Jahre lang vorbereitet, dreimal einer Vernehmlassung unterzogen und dabei immer weiter verkompliziert worden. Den Todesstoss versetzte der Vorlage, dass die Interessenvertreter der Wirtschaftsverbände in der Wettbewerbskommission (Weko), die über die Kartelle und Absprachen wie ein neutrales Gericht urteilen sollte, ihre Weko-Pöstchen nicht räumen wollten.

Bei klarer Führung mit geschickten Kompromissvorschlägen hätte die Vorlage gerettet werden können. Doch nun wird wohl kaum ein Versprechen des Wirtschaftsministers noch ernst genommen werden. Schneider- Ammann ist gesetzgeberisch, was man in den USA als «lahme Ente» bezeichnen würde.

Kein Wunder, stimmen mehr und mehr Konsumenten mit den Füssen oder mit Rädern ab. Im laufenden Jahr wird der Einkaufstourismus im benachbarten Ausland ein Volumen von rund 10 Milliarden Franken erreichen.

Der Beiersdorf-Konzern, der Nivea herstellt, liefert seine Kosmetika weiterhin 50 bis 70 Prozent teurer an Schweizer Detaillisten als an den Handel in Deutschland und Österreich. Die überhöhten Preise in Schweizer Läden sind also nicht auf höhere Löhne in unserem Land zurückzuführen, sondern auf einen «Zuschlag Schweiz» der ausländischen Markenartikelhersteller. Er hat zur Folge, dass Schweizer Konsumenten und KMU wie Restaurants, Hotels, Gewerbebetriebe für diese Importe 15 bis 20 Milliarden pro Jahr mehr zahlen.

Die preisbewussten Schweizer Grossverteiler Migros, Denner und Otto’s prangern den Missstand der überhöhten Importpreise seit langem an. Die Konsumentenorganisationen und die geschädigten Wirte, Hoteliers und Detaillisten protestieren dagegen. Aber sie sind alle machtlos, weil Bundesbern den Status quo akzeptiert. Das Hochpreisproblem ist auf die Marktabschottung zurückzuführen: Die Schweizer Detailhändler können ihre Kosmetika und Markenartikel, die Restaurateure ihre Biere und Softdrinks nicht direkt im Ausland einkaufen, sondern müssen sie über die inländischen Alleinimporteure mit einem «Preiszuschlag Schweiz» beziehen. Diese sogenannten selektiven Vertriebsverträge sind ein klarer Verstoss gegen den freien Wettbewerb.

Man sollte meinen, die Befürworter des freien Marktes müssten eine Marktöffnung verlangen, damit Schweizer Konsumenten und Detaillisten von europäischen Konzernen nicht benachteiligt werden. Aber nein, die Hohepriester des Wettbewerbs haben sich zusammengetan und durch unablässiges Lobbying eine zeitgemässe Revision des Kartellgesetzes abgeblockt.

Die Phalanx der Verhinderer reichte von der Economiesuisse über den Markenartikelverband Pro Marca bis hin zum Gewerbeverband, vom konzernnahen NZZ-Wirtschaftsredaktor über den Stab von Bundesrat Schneider-Ammann bis zu jenen neoliberalen Basler Professoren, die nach dem Willen der Pharmaindustrie tanzen. Zu diesen Neinsagern gesellten sich einige wirtschaftspolitisch verirrte Gewerkschafter, die fest an Karl Marx’ Doktrin glauben, dass «Wettbewerb schadet», und locker in Kauf nehmen, dass die Leute an ihrer Basis samstags zum Wocheneinkauf ins Ausland fahren.

So ist es mit dem Wettbewerb: Er wird zwar in jeder wirtschaftspolitischen Sonntagspredigt als Glaubensdogma neu verkündet. Aber eigentlich will man Wettbewerb und Marktöffnung nur, wenn es um den Arbeitsmarkt geht: Man will Personal im Ausland rekrutieren können. Sobald auch die Konsumenten und Wirte den Wettbewerb zu ihrem Vorteil nutzen und direkt Güter importieren wollen, gibt es eine Wettbewerbsblockade – durchgesetzt von Interessenvertretern der Konzerne.

SVP-Nationalrat Hans Fehr, der am 17. September gegen die Kartellgesetzrevision gestimmt hat, ärgert sich über den Einkaufstourismus jenseits der Schweizer Grenze. Er verlangt allen Ernstes vom Bundesrat, man solle alle vaterlandslosen Einkaufstouristen bestrafen, indem man ihnen die deutsche Mehrwertsteuer von 19 Prozent nach Ausfuhr in die Schweiz nicht mehr zurückerstattet.

Einen ernsthafteren, geschickt formulierten Vorschlag hat vergangene Woche der freisinnige Ständerat und Werkzeugfabrikant Hans Altherr eingereicht: Mit einer parlamentarischen Initiative fordert er eine Mini-Kartellgesetzreform. Mit bloss einem Artikel – ohne weiteren Regulierungsballast – sollen die hohen Preise von Importgütern kartellrechtlich angegangen werden. Eine solche parlamentarische Initiative oder – falls sie in Bern auflaufen sollte – eine Volksinitiative mit derselben Stossrichtung würde den Weg zu einer zielstrebigen Wirtschaftspolitik, einem Neubeginn nach der Ära Schneider-Ammann weisen.

In der Zwischenzeit geht das Drama der überhöhten Importpreise allerdings weiter.

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