Weshalb SVP-Blocher und SP-Pardini recht haben

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 17. September 2013

Stellen Sie sich vor, sie wollten ein Geschäft eröffnen und bräuchten dazu nur 2,5 Prozent eigenes Kapital. Den grossen Rest von 97,5 Prozent würden Ihnen andere beisteuern. Und der Staat würde Ihnen erst noch die Garantie abgeben, dass Ihr Geschäft nicht in Konkurs gehen kann.

Eine solche Wirtschaft gibt es nur in Schlaraffia. Bei uns muss ein Firmengründer nicht 2,5 Prozent, sondern das Zehn- oder Zwanzigfache davon an Eigenkapital aufbringen, wenn er darauf Bankkredite in Anspruch nehmen will.

Doch bei den beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sind solch unrealistisch tiefe Quoten von nur 2,5 Prozent an risikotragendem Eigenkapital – gemessen an der Bilanzsumme – Realität. Mit 2.50 Franken Eigenkapital nehmen sie 97.50 Franken an Kundengeldern entgegen und leihen sie wieder aus. Kein Wunder, dass sie mit einem so kleinen Puffer bei Zahlungsausfällen grosser Kunden selber stark gefährdet sind. Bei den Kantonalbanken, Raiffeisenbanken, der Migros- und der Coop-Bank beträgt die Eigenmittelquote dagegen 7 bis 10 Prozent oder mehr.

Seit dem Beinahe-Zusammenbruch des Weltfinanzsystems vor fünf Jahren wurde bezüglich Bankensicherheit zwar einiges verbessert: Es wurden die zerstörerische Deregulierung teilweise zurückbuchstabiert, das Reporting über die Kreditrisiken verbessert, die Aufsicht durch die Notenbanken in den meisten Ländern verstärkt, gewisse Notfallpläne eingerichtet sowie die Auszahlung der Boni für Bankmanager auf eine längerfristige Risikobetrachtung gestreckt. Doch die Eigenmittelausstattung der grossen internationalen Banken in der Schweiz und in Europa ist nicht besser geworden.

Die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sind kaum sicherer geworden. Sie gehören, gemessen an der Bilanzsumme, heute zu den tiefstkapitalisierten Geschäftsbanken der Welt. Dennoch dürfen sich ihre Chefs in Sicherheit wähnen: Der Staat kann eine Grossbank, bei der hunderttausend KMU-Betriebe ihr Konto für die Lohnzahlungen unterhalten, gar nicht fallen lassen. Grossbanken sind «too big to fail», – zu gross, um zu scheitern. Ihr Garant ist letztlich der Steuerzahler.

Was sich verändert hat, ist die Täuschungskultur. Basierend auf den – von der Lobbyarbeit der internationalen Bankkonzerne geprägten – «Basler Empfehlungen», werden die Eigenmittel heute nämlich nicht in Prozent der absoluten Bilanzsumme, sondern in Prozent von sogenannt risikogewichteten Ausleihungen dargestellt. Die Risikoeinschätzung liegt im Ermessen der Banken. Die Finanzmarktaufsicht kann sie kaum nachprüfen. Pro 100 Franken Bankdarlehen für die Hypotheken-Grundfinanzierung werden zum Beispiel nur 35 Franken eingesetzt. Damit verdreifachen sich rechnerisch die Eigenmittel in Prozent der risikogewichteten Anlagen. Aus den 2,5 Prozent absoluter Eigenmittelquote nach internationalem Standard (Leverage Ratio) entsteht mit solchen Rechentricks bei der UBS eine publizierte risikogewichtete Eigenkapitalquote von 11,2 Prozent. Die Risikobewertung ist eine reine Ermessensfrage und öffnet der Manipulation Tür und Tor.

Nun kommt die Frage der Krisenfestigkeit der Grossbanken endlich wieder aufs politische Tapet. Alt-Unternehmer Christoph Blocher (SVP) und Gewerkschafter Corrado Pardini (SP) schlagen nach wochenlanger vertraulicher Vorbereitung eine grundsätzlichere Lösung für die Grossbankenrisiken vor.

Mit zwei gleichlautenden Parlamentsmotionen und später allenfalls mit einer Volksinitiative fordern sie gemeinsam eine Auftrennung der Grossbanken in eine Geschäftsbank, die die Volkswirtschaft mit Krediten versorgt, und eine Investmentbank, die spekulative Geschäfte mit Derivaten und Devisengeschäften abwickelt. Ein solches Trennbankensystem ist kein Schreibtischmodell, sondern international erprobt: Die USA praktizierten von 1933 bis 1999 dieses System. In diesen sechs Jahrzehnten hatte Amerika keinen namhaften Bankenzusammenbruch. Jetzt wird es in Amerika wieder gefordert. Deutschland und andere Länder mit starken Finanzplätzen haben neulich den Wechsel zum Trennbankensystem definitiv beschlossen.

Laut jüngster Erhebung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich werden auf dem Finanzplatz Schweiz täglich Devisengeschäfte und Zinsderivate von umgerechnet 230 Milliarden Franken umgesetzt – wohlverstanden: 230 Milliarden Franken Finanztransaktionen pro Tag! Dies entspricht mehr als dem gesamten Exportvolumen in einem Jahr. Wenn solche hoch riskanten spekulativen, kurzfristigen (und kurzsichtigen) Transaktionen schieflaufen, genügt der Eigenkapitalpuffer von zwei bis drei Prozent bei den Grossbanken niemals.

Praktisch alle unabhängigen Finanzwissenschafter von links bis rechts halten heute die Eigenmittel der Grossbanken für gefährlich tief. Die Nationalbank betätigte bereits Mitte 2012 die Alarmglocke. Der ehemalige Präsident der Expertenkommission zur Vorbereitung der geltenden Eigenmittelregelung, Peter Siegenthaler, hatte jetzt die Grösse, die Mängel des Systems einzuräumen: «Ich habe den Glauben an die risikogewichteten Eigenkapitalvorschriften etwas verloren», sagte er in einem Interview. Und an anderer Stelle: «Wir müssen nochmals über die Bücher.» Doch die Finma, die laut Bankengesetz die Eigenmittelvorschriften eigentlich durchsetzen sollte, sondert nur Beschwichtigungen ab. Der zuständige Chef der Bankenaufsicht in der Finma, Mark Branson, war selber UBS-Banker und ist gefangen in der Bankenlogik. Meines Erachtens wäre die gesetzliche Grundlage vorhanden, die ungewichtete Eigenmittelquote jetzt schon anzuheben.

Es braucht jetzt Leute, die den Mut aufbringen, die immer noch bestehende Hochrisikosituation bei den Grossbankkonzernen öffentlich zu benennen und die nötigen politischen Initiativen zu ergreifen. Blocher und Pardini haben die Brandgefahr erkannt. Man sollte den Brandschutz jetzt einrichten, nicht erst, wenn es wieder brennt.

Download als PDF

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.