Was uns der Denkmalschutz für das Bankgeheimnis kostet

Kolumne im Tages-Anzeiger vom Dienstag, 14. Februar 2012

Nach dem Zusammenbruch der Bank Wegelin ist es in nationalkonservativen Kreisen klar, wo der Schuldige sitzt: in Bundesbern. «Das Ende von Wegelin ist die jüngste Quittung für die leisetreterische Politik des Bundesrats gegenüber den USA», behauptet die «Weltwoche». «Die Regierung schützt die schweizerische Rechtsordnung nicht mehr. Der Bundesrat muss dafür sorgen, dass Amerika den Rechtsweg befolgt», sagt Alt-Bundesrat Christoph Blocher feldherrenmässig. Amerika soll sich gefälligst an unsere Gesetze halten – das ist die alte Reduit-Weltsicht, die jedes Unrechtsbewusstsein bezüglich Steuerflucht vermissen lässt.

Dabei sind es die Banken selber, die vom Bundesrat und vom Parlament dringend grünes Licht für die Lieferung unverschlüsselter Bankdaten an die USA verlangen. Als das Justizdepartement wegen fehlender Rechtsgrundlage und möglicher Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht nur die Lieferung vorläufig verschlüsselter Bankdaten an die US-Behörden zuliess, erhielt es Schelte – ausgerechnet von den betroffenen Banken. Zehn von elf Instituten im Würgegriff der US-Justiz sind an der sofortigen Aufhebung des Bankgeheimnisses interessiert, damit sie sich aus der Zwangslage befreien können.

Der Bundesrat steht vor der seltsamen Wahl, von welcher Seite er sich Kritik einhandeln will: Wenn er die Daten der amerikanischen Bankkunden im Interesse der bedrohten Banken an die USA ausliefert, wird er der Willfährigkeit und Verletzung des schweizerischen Bankgeheimnisses bezichtigt. Wenn er die Daten nicht liefert oder wenn der Nationalrat Ende dieses Monats nicht grünes Licht für weitere Gruppenanfragen durch die US-Justiz erteilt, wird sicher Bundesbern die Schuld für eine nächste Klage gegen eine schweizerische Bank und möglicherweise deren Stilllegung zugeschoben.

Der Staat soll am Debakel schuld sein! Und nun soll er jenen aus der Patsche helfen, die den Staat lange verunglimpft haben. Das ist die Ironie dieser vertrackten Geschichte. Einer, wenn auch nicht der einzige dieser Maulhelden, war Konrad Hummler, geschäftsführender Teilhaber der Bank Wegelin. Seine Sprüche: «Wer nicht Steuern hinterzieht, ist dumm», Deutschland ist ein «Räuberstaat», «die Kapitalflucht geschieht in Notwehr», «das Bankgeheimnis ist ein Asylrecht». Auf dieser Haltung gründeten das Geschäftsmodell und die verbreitete Täuschungskultur in der Bankenbranche. Eine Fehleinschätzung und besserwisserische Arroganz, welche die Wegelin-Bank die Existenz kostete. Die Verantwortlichen liefern der US-Justiz jetzt noch ein Katz-und-Maus- Spiel – der ersten gerichtlichen Anhörung blieben sie fern –, wohl zum Schaden der anderen betroffenen Schweizer Banken.

Seit 44 Jahren bin ich Abonnent der «Neuen Zürcher Zeitung». Und seit den Pogromaufrufen des NZZ-Redaktors und späteren Bankiers Ernst Bieri im Kalten Krieg war nie mehr eine solch journalistische Fehlleistung in dieser Zeitung zu lesen wie die Lobhudelei von NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann Ende Januar auf Konrad Hummler, der den NZZ-Verwaltungsrat präsidiert. Ganz im hummlerschen Interesse verteidigt auch der Chef der NZZ-Wirtschaftsredaktion die Steuerfluchtkultur und erteilt dem Bundesrat besserwisserisch Lektionen. Konrad Hummler hat jetzt zwar das VR-Präsidium abgegeben, aber nur vorübergehend, wie er betont. Aller Welt zeigt er damit, dass er seinen interessenorientierten Einfluss in dieser Zeitung nicht abgeben will.

Nichts hat die Schweiz bei Regierungen befreundeter Länder derart in Verruf gebracht, wie diese Ignorierung der neuen globalen Spielregeln. Jetzt steht die Schweiz mit dem Rücken zur Wand, weil die Weichen falsch gestellt wurden: 2001 verhandelte Bern mit Brüssel über ein Zinsbesteuerungsabkommen. Chefunterhändler war Michael Ambühl, der Schreibende war Präsident der Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats. Die lauteste Opposition gegen das Abkommen kam von Konrad Hummler und Marcel Ospel. Sogar der Bankiervereinigung warf Hummler Nachgiebigkeit vor. Aus Protest trat er aus und reaktivierte die Vereinigung der Privatbankiers, die fortan die Steuerkooperation mit dem Ausland entschieden bekämpfte. Das Zinsbesteuerungsabkommen kam doch noch zustande, allerdings mit vielen Schlupflöchern. 2009 prahlte Konrad Hummer mit deren Ausnützung: «Wir sagten, die Quellensteuer (im Zinsbesteuerungsabkommen) sei eine Massnahme gegen Steuerhinterziehung. Das war (…) gelogen, weil man die Anlagen so strukturieren konnte, dass man die Steuer nicht zahlen musste.» Diese Schlaumeierei blieb den EU-Finanzministern nicht verborgen. Schliesslich überwiesen die Schweizer Banken nur ein Zehntel jener Zinssteuererträge an die Nachbarländer, die man aufgrund der Vermögensschätzungen erwarten konnte. Der deutsche Ex-Finanzminister Hans Eichel konstatierte aufgrund dieser Erfahrungen 2010 bedauernd, man könne der Schweiz nicht mehr trauen. Und heute haben die europäischen Finanzminister so wenig Vertrauen in die ehrliche Kooperationsbereitschaft der Schweiz im Kampf gegen Steuerflucht wie in die Sparanstrengungen der griechischen Regierung.

Der Bundesrat steht vor der Wahl, ob er weiterhin einen mühsamen, defensiven Zermürbungskampf mit jedem Land einzeln und gegen die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die G-20 und die EU-Behörden führen will oder ob er die Steuerflucht und Geldwäscherei mittels Kontrollen im Inland und erleichterter Amtshilfe mit zivilisierten Staaten generell und glaubwürdig bekämpft.

Seit zwei Jahren verkündet der Bundesrat eine «Weissgeldstrategie» für die Banken. Doch Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat diese Zeit nicht genutzt, um eine gesetzliche Verankerung zu konkretisieren. Die «Weissgeldstrategie » ist Beruhigungsvokabel geblieben. Auch die von den Bankern propagierte Abgeltungssteuer wird, wenn sie ohne gleichzeitig beschleunigte Amtshilfe jemals in Kraft tritt, die Hinterziehung von Einkommenssteuern im Ausland weiter zulassen und sich bald einmal als Schlaumeierlösung entpuppen. Und unser Land weiteres Vertrauen kosten.

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