Wandel und Irrungen im Bankensystem – die Rolle einer aussergewöhnlichen Bank

Referat Rudolf Strahm zum 25-Jahr-Jubiläum der ABS Alternativen Bank der Schweiz

Zürich, 25. April .2015.

 

Wandel und Irrungen im Bankensystem –

die Rolle einer aussergewöhnlichen Bank

Von Rudolf Strahm

 

  1. ABS – die Vorreiterin

25 Jahre jung, aber schon extrem reich an Erfahrungen ist die Alternative Bank Schweiz AG, – gestählt in der ständigen Anpassung an die Finanzwelt. Und immer noch fit!

Was haben wir in den letzten 25 Jahren in der Bankenwelt nicht alles erlebt an ökonomischen Dogmen und Finanztheorien, immer mit Imponiergehabe vorgetragen, dann von willfährigen Finanzjournalisten kolportiert und danach irgendwann schleichend versenkt oder gar kollapsartig beseitigt! Was haben wir auf dem Finanzplatz Schweiz nicht alles an Krisen, Strukturwandel und Beerdingungen alter Bankiersdogmen erfahren müssen!

1990, bei der Gründung der ABS, war die internationale Finanzwelt noch stabil. Die schweizerische Bankenlandschaft galt noch halbwegs als „in Ordnung“, verkrustet zwar im Dogma der geheimnisgeschützten Täuschungskultur und fest verankert in unerschütterlicher Arroganz der Macht.

Schon 1990 gab es andere Nachhaltigkeitsprojekte, etwa im Handelsbereich mit Fair Trade in Dritte-Welt-Läden oder mit ethischem Wirtschaften in Nischenunternehmen. Aber in der Geldwirtschaft war die Alternative Bank Schweiz das erste und in der Schweiz einzige ernstzunehmende Projekt, das ethische Prinzipien ins klassische Bankgeschäft brachte. Die früheren historischen Experimente der Freigeld-Wirtschaft der 1920er und 1930er Jahre hatten sich längst verflüchtigt oder waren von den Nachkriegskonjunkturen überrollt worden.

Die ABS hat in der Tat die wirtschaftshistorische Rolle einer wahren Pionierin. Sie hat sich mit ihren ethischen Prinzipien, mit der angestrebten ganzheitlichen und rücksichtsvollen Anlagestrategie eine Vertrauensbasis geschaffen: mit nachhaltigem Geldanlegen, mit korrektem, sozialem, solidem Verhalten. Sie war ein Korrektiv zur tief verwurzelten Täuschungskultur des Swiss Banking. Und das alles hat die ABS als Unternehmen praktiziert und unternehmerisch vordemonstriert. Sie wollte nicht als gemeinnützige, gutmenschliche Hilfsanstalt auftreten.

Aber, die Kehrseite: Die ABS wurde von jenem Schicksal ereilt, das auch viele andere Vorreiter der Alternativökonomie erfahren mussten. Sie wurde von Newcomern und Nachahmern konkurrenziert. Grössere kommerzielle Banken stiegen auch ins Geschäft ein mit nachhaltigen Anlagen, mit Ökofonds und ethischer Werbesprache. Nachahmer, wie etwa die Sarasin Bank, sind eine Zeitlang mit cleverem Zeitgeist-Marketing mit Oekofonds aggressiv ins Anlagegeschäft des ethischen Bankings vorgestossen war. Jetzt ist diese Bank Teil eines brasilianischen Finanzkonglomerats.

Es gehört zum Vorreiter, dass er eingeholt oder gar überholt wird. Vieles von den Nachahmungen überlebt dann allerdings nicht. Doch die ABS hat den Herausforderungen stets standgehalten – als Unternehmen! Die ABS ist nie mit Skandalen von Fluchtgeldoperationen, Geldwäscherei oder krummen Finanzgeschäften ins Gerede gekommen. Das Anfangsvertrauen ist geblieben, – und nach 25 Geschäftsjahren ist es gefestigt.

 

  1. Blick zurück: Fehlende Kraft zur inneren Reform

Die Schweizer Bankenpolitik der letzten Jahrzehnte ist keine ruhmreiche Geschichte. Sie ist ein Fanal für eine langjährige Realitätsverweigerung und danach, als der Druck nach der Finanzkrise 2008 losging, für das Hinter-der-Realität-herrennen. Das Bankgeheimnis, angeblich zum Schutz der Menschenrechte und der Anleger im ersten Bankengesetz von 1934 verankert und danach immer mehr zur Steuerhinterziehung missbraucht, war zum Businessmodell des helvetischen Bankers geworden. Man könnte heute auch sagen: zur historischen Selbstlüge des schweizerischen Bürgertums.

Nur auf Druck des Auslandes gab es Korrekturen. Diese waren nie aus eigener Kraft möglich. Hier einige historische Episoden:

1972 musste die Schweiz erstmals das Bankgeheimnis gegenüber den USA mit einem Rechtshilfeabkommen lockern, und zwar im Fall von Mafia-Fluchtgeldern, von „Organized crime“, weil die Nixon-Regierung mit Retorsionsmassnahmen bei Schweizer Uhren und Käse gedroht hatte.

1985/1987 wurden erstmals eine Insiderstrafnorm und eine Strafnorm gegen Geldwäscherei eingeführt – beides de facto nur zum Zwecke der Rechtshilfe an die Amerikaner, lange Zeit nicht für die Anwendung gegenüber Schweizern gedacht. Beide Gesetzesvorlagen entstanden nicht freiwillig, sondern weil die USA mit Gegenmassnahmen gegen die damalige Volksbank im Silberskandal und gegen andere Schweizer Bankhäuser gedroht hatten.

1997 wiederum bequemten sich die Banken erst nach starker Gegenwehr zur Offenlegung der Konti von nachrichtenlosen Geldern und danach zur pauschalen Zahlung von 1.9 Milliarden Franken an Nachkommen von Holocaust-Opfern. Es brauchte allerdings den Druck oder die „Erpressung“, je nach Lesart, mächtiger amerikanischer Finanzkreise und der Clinton-Administration (Eizenstat), die mit einem Boykott auf dem amerikanischen Anlagemarkt gedroht hatten.

Auch 2001 mussten sich alle Banken dem USA-Programm des „Qualified Intermediary“ unterziehen und fortan dem amerikanischen Fiskus Quellensteuern oder Daten liefern. Wer dem Programm nicht Folge leisten wollte, wurde vom amerikanischen Markt ausgeschlossen.

Interne innerschweizerische Bemühungen zur Lockerung des Steuerhinterziehungs-Geheimnisses prallten ab am Widerstand des Paradeplatzes. Die Bankeninitiative, nach dem Chiasso-Skandal 1977 von der SP und Dritte-Welt-Kreisen lanciert, zerschellte an der helvetischen Lüge von der Selbstdeklaration der Steuern und der Selbstverantwortung und scheiterte 1984 mit schmählichen 73%-Neinstimmen (für mich als Sekretär dieser Initiative eine schmerzvolle Erfahrung). Diese Initiative ging bezüglich Datenlieferung längst nicht so weit wie das, was jetzt die Banken an Informationsaustausch OECD-weit entgegen kommen müssen.

Auch ein EU-Begehren nach einer umfassenden Zinsbesteuerung wurde nach 2003 durch so viele Schlupflöcher und Finanztricks unterlaufen, dass die EU-Finanzminister schon lange vor der Finanzkrise bei passender Gelegenheit Sanktionen gegen die Schweiz ins Auge gefasst hatten. Auch das vom Bundesrat aufgegleiste bilaterale Dienstleistungsabkommen Schweiz – EU wurde 2003 durch den Einfluss der Bankenlobby vom Bundesrat zurückgezogen – der mächtige Vorkämpfer dagegen hiess Marcel Ospel, heute zeigt er sich nur noch auf den Golfplätzen. Die Banken pfiffen damals die Regierung zurück, weil sie mit dem EU-Abkommen eine Aufweichung des Bankgeheimnisses befürchteten. Doch heute betteln die gleichen Banken beim Bundesrat, er möge Ihnen den zukünftigen Marktzugang in die EU mit einem Abkommen sicherstellen.

Die jüngste Entwicklung beim Bankgeheimnis muss ich Ihnen nicht in Erinnerung rufen. Noch 2009 galt es als Granit, „an dem sich das Ausland die Zähne ausbeissen würde“ (Bundesrat Hans Rudolf Merz im Parlament). Und heute, vier Jahre später, sind die offizielle Schweiz und die Banking Community für einen automatischen Informationsaustausch. Globales Wirtschaften erfordert eben auch die Einhaltung globaler Spielregeln!

Nie, nie hatte die Schweiz die Kraft, ihr Haus des Finanzplatzes von sich aus in Ordnung zu bringen. Für Reformen brauchte es immer – bis zum heutigen Tag – den Druck des Auslandes. Die Schweiz ist eine wunderbare Demokratie, aber in Bankenfragen sind wir eine Oligarchie geblieben. Und mit unserem Schutz der Fluchtgelder von Potentaten, Oberschichten, korrupten Eliten haben wir mehr Unterentwicklung in der Dritten Welt entwickelt als mit unserer Hilfe Entwicklung gefördert.

Ich sage dies nicht mit polemischer Absicht, sondern aus Erfahrung und historischem Wissen. Der Historiker Peter Hablützel hat mit seinem Buch „Die Banken und ihre Schweiz“ (eines der wenigen Bücher, das nicht aus Bankenkreisen stammt) diese Entwicklung 2010 detailliert nachgezeichnet.

 

III. Blick ins System: Währungspolitische Verirrungen

Nicht nur in regulatorischen Fragen des Banking haben wir Irrungen und Wirrungen erlebt. Auch die Geld- und Währungspolitik der Schweizerischen Nationalbankverlief mit Dogmen, Dogmenbrüchen, Polarisierungen und grossen volkswirtschaftlichen Kosten kurvenreich. Kein Fachgebiet der Ökonomie ist so stark mit Glaubensdoktrinen, Ideologien und Mythen besetzt wie die Geld- und Währungspolitik. Denken Sie etwa an die jüngste Goldinitiative, an die schillernden Falschmünzerei-Vorwürfe, an die hängige Vollgeldinitiative.

In den 1990er Jahren verfolgte die damalige Nationalbankleitung unter Markus Lusser eine harte monetaristische Strangulationspolitik – Sie erinnern sich an Hypothekarzinsen von 7 und 8 Prozent und den dadurch ausgelösten Kollaps der Bauwirtschaft und des Liegenschaftsmarktes. Fast sieben Jahre Nullwachstum, im höchsten Punkt über 200‘000 Arbeitslose und in der Folge 50 Milliarden (kumuliert) zusätzliche Staatsverschuldung waren die Konsequenzen. Der IWF hat im Nachhinein diese Fehlleistungen der Schweizerischen Nationalbank dokumentiert. Erst nach dem Eintritt des neuen SNB-Direktoriumsmitglieds Bruno Gehrig (ab 1996) wurde das Steuer herumgerissen und ab 1998 mit einer pragmatischeren Politik wieder Wachstum ermöglicht. Mit der neuen Geldpolitik ab 1998 nahm die SNB neu auch Rücksicht auf die Situation der Realwirtschaft, also auf Kapazitätsauslastung, Beschäftigung und Wirtschaftserwartungen (sog. Taylor-Regel). Damit ist sie gut gefahren.

Die jüngste Entwicklung seit 2008 ist bekannt: Dem starken Aufwertungsdruck des Schweizer Frankens ab 2010 begegnete das SNB-Direktorium mit einer pragmatischen, angelsächsisch inspirierten Politik, ab September 2011 sogar mit einem festen Wechselkurs. Dabei nahm sie eine Ausdehnung der SNB-Bilanz und der Franken-Geldmenge in Kauf. Das war zwar ungewöhnlich, aber diese Policy (in Anlehnung an die amerikanische, englische, japanische und später auch europäische Notenbankpolitik) brachte entgegen den Warnungen der monetaristischen Glaubensbrüder keine Inflation, keinen Schaden und keine Schocks. Sie diente der Gesamtwirtschaft und gab den Unternehmen mit einem festen Wechselkurs Planungssicherheit.

Mit dem Schock-Entscheid vom 15. Januar 2015 hat das dreiköpfige SNB-Direktorium einen dogmatischen Paradigmenwechsel vollzogen: Weg vom pragmatischen, angelsächsischen Kurs des Philipp Hildebrand, wieder zurück zur monetaristisch geprägten Berner Schule, zum monetaristischen Dogma, welches ohne Rücksicht auf Verluste die Geldmenge und die Notenbank-Bilanz im Röhrenblick hat.

Ich hoffte im Januar schon, und hoffe heute noch, ich hätte mit meiner Kritik, die sich aus den Erfahrungen der 1990er Jahre ableitet, unrecht. Aber schon nach drei Monaten zeigen die vorlaufenden Wirtschaftsindikatoren bedenklich nach unten, und zehntausende Firmen planen eine Sortimentsverengung in der Schweiz und eine Produktionsverlagerung ins Ausland. Und es passierte über Nacht noch etwas, was die Nationalbankökonomen ignorieren: Sie haben die zuvor recht positive Stimmung im Lande schlagartig nach unten gekehrt, eine politische Polarisierung wie in den neunziger Jahren ausgelöst und die optimistischen kurzfristigen Zukunftserwartungen unnötigerweise zerstört.

Das ist eben auch eine Krankheit der akademischen Nationalökonomie: Sie klammert sich ans Schema von Lehrbuchmodellen und ist oft blind gegenüber der Realwirtschaft, den Menschen und deren Stimmungsbarometer.

Nachdem nun zum Schutz der SNB-Bilanz der Wechselkurs frei gegeben worden ist, bleibt nur eine zweitbeste Lösung – die erleben wir heute mit dem Negativzins und dessen Folgen. Wahrscheinlich durchläuft auch die Alternative Bank Schweiz derzeit eine der schwierigsten Phasen ihrer Geschichte, weil nämlich die aktuelle Zinssituation fast alle Spielräume einengt oder aufhebt. Auch eine Negativzinspolitik hat ihren Preis.

 

 

  1. Zum Schluss: Ein Ausblick

Meine Damen und Herren, ich wollte mich in dieser Festrede nicht einfach in wohlfeilen philosophischen oder ethischen Formulierungen, zu denen alle nicken können, ausflüchten. Deshalb habe ich auch den Blick in die Aktualität zu werfen versucht.

Wenn ich an den Anfang meiner Ausführungen zurückkomme, dann bleibt für mich primär die Vorreiterrolle der ABS. Wir kennen die Herausforderungen der Zukunft nicht. Es wäre gewagt, jetzt einen Katalog dessen aufzuführen, was noch alles zu tun wäre im Finanzplatz und im Banking Business. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren vom ABS-Management, auch in Zukunft schwer fallen, einen guten, verantwortungsvollen Kompromiss zwischen ethischen Ansprüchen und Business-Zwängen zu finden. Und es wird auch Ihnen, meinen Damen und Herren Bankkunden, in Zukunft die Aufgabe auferlegt sein, die alternativen, ethischen, nachhaltigen, sozialen Prinzipien ihrem Ertrag gegenüber zu stellen.

„Das Neue hat es schwer, sich als Besseres zu erweisen“, sagt der greise, weise Dichter Kurt Marti. Das wird auch in Zukunft gelten! Den Mut zu diesem Neuen, zum Alternativen weiter zu suchen und zu leben, wünsche ich uns allen, Ihnen von der Bankleitung besonders und auch Ihnen, werte Kundinnen, Kunden und Teilhaber der ABS!

 

Rudolf Strahm

Dr.h.c., ehemaliger Preisüberwacher, alt Nationalrat

3037 Herrenschwanden, www.rudolfstrahm.ch

 

 

 

  1. 4. 2015.