KOLUMNE Strahm 15. 6. 2021
Das vergangene Abstimmungswochenende war ein Sieg der konservativen Schweiz. Es war auch, was keiner sagt, ein Triumpf des grossen Geldgebers im Hintergrund. Ich kann mich nicht erinnern, dass je zuvor globale Konzerne mit ihrer Kampagnenfinanzierung derart massiv in einer schweizerischen Volksabstimmung eingewirkt hatten.
Bereits bei der Konzernverantwortungsinitiative war die Finanzierung durch Glencore und Co. offensichtlich. Doch bei den beiden Pestizidinitiativen haben nun Syngenta, Bayer und Co. die Nein-Kampagne mit Inseraten aufgebläht. Der Bauernverband und Fenaco hätten diese Nein-Walze nie derart massiv finanzieren können.
Beim CO2-Gesetz waren Shell, BP, Agrola und weitere im Erdöl-Verband Avenergy Suisse vereinigte Ölkonzerne die Hauptfinanzierer der Nein-Kampagne. Die SVP, der nun der Sieg zugeschrieben wird, und der Hauseigentümerverband hätten diese Inseratemillionen niemals selber aufbringen wollen.
Wir erleben schleichend eine Entdemokratisierung der Abstimmungskultur durch das grosse Geld. Es findet eine Art Refeudalisierung der plebiszitären Machtverhältnisse durch solche Konzernfinanzen statt.
Bei dieser starken Polarisierung spielten der einkommensbezogene Status, der Vertrauensverlust und die sozialen Identitäten eine ebenso entscheidende Rolle. Wir erlebten einen Aufstand der weniger gut Betuchten und der ländlichen Bevölkerung.
Bei den beiden Pestizid-Initiativen argumentierten die Befürworter mit Wasserqualität, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit – und die Gegner schlicht und einfach mit dem Mehrpreis der Nahrungsmittel.
Beim CO2-Gestz sprachen die Befürworter über Gletscher, Klima und Weltrettung, – und ihre Gegner nur von den Mehrkosten für Automobilisten, Mieter, Hauseigentümer und Mallorca-Fliegende. Schon im Vorfeld zeigten die Meinungsumfragen, dass sich eine Stimmenmehrheit nur gerade bei Stimmberechtigten mit über 7000 Franken Monatseinkommen abzeichnen würde; bei den darunterliegenden Einkommen eine Ablehnung.
Mit der Ablehnung dieser CO2-Vorlage ist nun das Ziel einer Halbierung der Treibhausgase bis 2030 nicht mehr erreichbar, und jenes einer CO2-neutralen Schweiz bis 2050 gründlich gefährdet. War die Vorlage zu komplex und kumulierte dies die Opposition von zu vielen Seiten? Blieb die Rückerstattung von Energiesteuern als Kompromiss an die staatsquotenversessenen Liberalen unverstanden und ein Flopp? Hatten die Klimaaktivisten der akademischen Jugend mit ihrer Weltuntergangsrhetorik und der Lifestyle-Moral viele Bürger in der Spätphase eher abgeschreckt oder zumindest demobilisiert? Am Schluss fehlten jedenfalls die Spenden für einen letzten öffentlichen Appell zugunsten des Gesetzes.
Aus diesen jüngsten Volksabstimmungen liessen sich soziologisch Parallelen zu andern Vorlagen ziehen. Ich wage hier einen Analogieschluss zum jüngsten Bundesrats-Entscheid über das Rahmenabkommen mit der EU. Eine ähnliche Mehrheit, aber noch mehr dazu, hätten das Rahmenabkommen sicher zu Fall gebracht. Diese Konstellation hätte nicht bloss „Alle gegen die SVP“ geheissen. Vielmehr wäre es nicht nur eine Abstimmungsvorlage gegen die SVP, sondern zusätzlich ein Kampf gegen Gewerkschaften, Gewerbler, Autonomiesuisse und Kompass Europa, sowie gegen Teile von SP, FDP und Mitte geworden. Das komplexe und schwer verständliche Rahmenabkommen hätte im Lichte der jüngst erlebten Stimmung nie eine Chance gehabt!
Angesichts dieser Realitäten hat der Bundesrat richtig entschieden. Die Eurotroubadours sollten froh sein, dass die Landesregierung die Verantwortung zu einem Verhandlungsabbruch selber übernommen hat. Denn ein negativer Volksentscheid hätte eine viel nachhaltigere Blockadewirkung nach sich gezogen.
Die Gehässigkeiten, die der Bundesrat nach seinem Entscheid zum Beispiel über die SRF-Kanäle einstecken musste, war nach meiner Einschätzung ungerecht und realitätsverweigernd. „Die liberale Elite war es sich gewohnt, die politische Debatte zu gewinnen. Nun verliert sie, was sie mächtig ärgert.“ Diese Zitierung des Historikers Oliver Zimmer aus Grossbritannien lässt sich eins zu eins auf die Schweiz übertragen.
Mario Stäuble hat in seinem Abstimmungskommentar im Tages-Anzeiger nach seiner Reise durchs schweizerische Hinterland das tiefe Malaise bei der Landbevölkerung treffend beschrieben: „Da war noch etwas anderes, eine tiefe Kränkung: Ihr, liebe Städter, habt uns nicht zu sagen, wie wir büezen.“ Ich würde beifügen, diese Kränkung ist auch bei den weniger gut Situierten in den Schlafstädten der Agglomeration vorherrschend. Wie in ganz Europa wendet sich auch bei uns die konservative Stimmung gegen den idealistischen Internationalismus und den akademischen Kosmopolitismus.
Die Linkskonservative Sarah Wagenknecht hat in ihrem Buch über die “Selbstgerechten” eine tiefgründige, realistische und für un-schmerzliche Situationsanalyse. Sie ist lesenswert. Anstelle von Prügel gegen die vorsichtige Regierung und eine dauernder Ächtung der “Populisten” vielleicht wir alle über die Bücher gehen. Die Lage der Einkommens- und Bildungsschwächeren lässt sich nicht mehr ignorieren.............................................................................................................................................................................................................................................................................. KOLUMNE 15. 6. 2021