Unternehmenssteuerreform-III: Der Mittelstand zahlt

Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 31. Mai 2016.

Es hätte die längst fällige Steuerreform mit einer Gleichstellung von inländischen Unternehmen und ausländischen Holdinggesellschaften entste­hen sollen: gerecht, ertragsneutral, Europa- und OECD-konform. Doch aus der Reformvorlage ist ein unübersichtliches Steuersenkungsprogramm geworden, das die Milliardenausfälle durch den Mittelstand bezahlen lässt.

Es geht um die dritte Unternehmenssteuerreform, abgekürzt UStR-III, die in dieser Juni-Session wahrscheinlich verabschiedet und wohl nächstes Jahr zur Abstimmung kommen wird. Ein so einschneidendes – man darf ruhig sagen: schamloses und einseitiges – Steuersenkungsprogramm hat die Eidgenossenschaft noch nie erlebt.

Ich gestehe, dass es mir schwerfällt, in kurzer, verständlicher Form den komplexen Sachverhalt korrekt und glaubwürdig darzustellen. Viele Fachgespräche mit Akteuren und die eigene dreizehnjährige Erfahrung in der Wirtschafts­kommission (WAK) waren nötig, um die Einschätzungen zu erhärten.

Ursprung dieser Reform war die extreme steuerliche Bevorzugung von internationalen Unternehmen in nur fünf, sechs Kantonen: Holdinggesellschaften oder ähnliche Statusgesell­schaften, also Hauptsitze von internationalen Konzernen, müssen dort nur ihre Gewinne aus den innerschweizerischen Verkäufen versteuern, aber nicht oder nur marginal die Gewinne aus ihren weltweiten Umsätzen. Dieses Holdingprivi­leg führte dazu, dass rund 24 000 Sondergesell­schaften mit verschiedenen Holdingkonstruktio­nen ihren Sitz in die Schweiz verlegten, und zwar hauptsächlich in Steuerprivileg-Kantone wie Zug, Schwyz, Genf, Waadt, Nidwalden. Mit ihren steuerbegünstigten Konzernsitzen und Villenbesitzern in Seenähe weisen sie mittlerweile eine Monaco-ähnliche Wirtschaftsstruktur auf.

Seit 2005 verlangte die EU eine Korrektur; später auch die OECD, in der die Schweiz Mitglied ist. Lange Jahre ignorierte man diese berechtigten Forderungen. Doch der Druck der OECD wurde immer unausweichlicher. Man hätte einfach die Steuersätze der ausländischen Gesellschaften auf das Niveau der schweizeri­schen Unternehmenssteuern anheben können. Doch die Gegner drohten – wie üblich – mit dem Killerargument der Abwanderung. Als Kompro­miss hätte man die Steuersätze für die Schweizer Unternehmen leicht senken und jene der ausländischen anheben und beide auf mittlerem, ertragsneutralem Niveau angleichen können. Auch dagegen wehrten sich die monacoisierten Steuerdumping-Kantone. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf suchte verzweifelt nach einem Ausweg, die Steuerausfälle der UStR-III durch eine Kapitalgewinnsteuer zu kompensieren. Auch dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung durch die Wirtschaft abgeschmettert.

Nun liegt eine Vorlage für die UStR-III vor, die dem Staat jedes Jahr 1,5 bis 2 Milliarden Steuer­ausfälle bringt. Und das zu einer Zeit, in welcher der Bund über zwei Milliarden in drei Jahren sparen muss und 20 von 26 Kantonen sowie fast alle Städte Defizite budgetieren. Wegen dieser finanziellen Osteoporose der öffentlichen Hand sind Kürzungen und Gürtel-enger-Schnallen bei Schulklassen, öffentlichen Diensten, Bauten und im Sozialen derzeit die Regel. Einen Teil der verursachten Steuerausfälle der UStR-III will der Bundesrat den Kantonen vergüten, indem er ihnen rund 21 statt 17 Prozent der direkten Bun­dessteuer überlässt. Konkret bedeutet das: Der Mittelstand zahlt mit der direkten Bundessteuer für die Steuergeschenke an die Unternehmen!

Offiziell heisst es, die UStR-III verursache etwa 1,5 Milliarden Franken Steuerausfälle. Die gleiche Steuerverwaltung, die solches beschönigend vorrechnet, hatte schon bei der vorangehenden Unternehmenssteuerreform-II unter Hans-Rudolf Merz einen Verlust von 80 bis 90 Millionen Franken jährlich vorausgesagt. In der Realität wurden es zehnmal mehr. Das verantwortliche Schlupfloch mit der sogenannten Agio-Besteue­rung bleibt weiterhin wirksam. Das Bundesge­richt hat in seinem Urteil vom 11. Dezember 2011 festgestellt, dass damals die Abstimmungsunter­lagen dem Stimmbürger «die unerlässliche Transparenz nicht vermittelten» und «eine sachgerechte Meinungsbildung und -äusserung verunmöglichten». Diese Erfahrung sollte einem skeptisch machen.

Wenn sich der Nationalrat mit seinen Zusatzschlupflöchern durchsetzt, werden sich die Steuerausfälle noch weiter erhöhen. Er hat gegen den Willen des Bundesrats nämlich eine sogenannte zinsbereinigte Gewinnsteuer eingebaut, die ein dynamisches Moment in sich birgt: Grosse Aktiengesellschaften sollen den steuerbaren Gewinn um einen fiktiven Zinsbetrag auf dem überschüssigen Eigenkapital reduzieren können. Dieses neue Schlupfloch wird zur Folge haben, dass die Steuerberatungsfirmen und professionellen Steuerschlupfloch-Ingenieure die Konzernbilanzen so ummodeln, dass von Jahr zu Jahr mehr Zinsabzüge auf dem überschüssigen Eigenkapital ermöglicht werden. Namhafte Spezialisten in der Verwaltung und im Revisions­business warnen eindringlich vor dieser Steuersenkungsdynamik; und auch vor neuen politischen Schwierigkeiten mit der OECD. Kantone und Städte seien vor dieser versteckten Steuersenkungsdynamik gewarnt.

Die UStR-III steht unter einem schlechten Stern. Eingeleitet hat sie noch der glücklose Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Danach wurde sie von den Finanzdirektoren der reichsten Steuersenkungs­kantone fast im Alleingang gestaltet; der Zuger Finanzdirektor war Präsident der Finanzdirekto­renkonferenz.

Die jetzige Vorlage ist ein Produkt des sogenannten bürgerlichen Schulterschlusses. Der CVP-Präsident und die FDP-Präsidentin kommen beide aus den Tiefsteuerkantonen Zug und Schwyz. Die SVP wurde eingebunden, indem man die unproduktiven Ausgaben für Landwirt­schaft und Armee vor Kürzungen zu schonen verspricht. Die Bauern wurden ins Boot geholt, indem man ihnen die Baulandgewinnsteuern von 400 Millionen pro Jahr erlassen will. Man hilft sich gegenseitig beim Zuschanzen von Steuerprivilegien.

Die UStR-III ist eine Reform zugunsten der reichsten Kantone. Sie wird unter den Kantonen einen neuen Steuerwettlauf nach unten auslösen. Das untere Niveau von zwölf Prozent Gewinn­steuern wird bald unterboten werden; doch die finanzschwächeren sowie die grösseren Kantone mit Zentrumslasten wie Bern und Zürich werden nie, nie mithalten können. Eine korrekte eidgenössische Lösung bei einer korrigierten Vorlage wäre eine Untergrenze der Steuerbelastung für alle.

Die UStR-III mit dem eingebauten Steuerwett­lauf nach unten wird den Kantonen und Städten Steuersubstrat entziehen, das ans Lebendige geht. Wenn die parlamentarische Steuersen­kungskoalition ihre Vorlage in der Volksabstim­mung durchbringt, wird sie alsbald mit weiteren, vorläufig aufgeschobenen Senkungsforderungen durchmarschieren.

Ich hoffe immer noch, dass die Verantwortli­chen der Kantons- und Städtefinanzen erwachen, bevor sie im Korsett der ihnen aufgezwungenen Sparrunden gefangen werden.

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