Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 23. April 2013
Im Sommer 2011 ist die politische Fieberkurve in unserem Lande hochgeschnellt. In allen politischen Lagern gab es Ärger über die überhöhten Preise von Importprodukten. Bundesrat Johann Schneider-Ammann versprach nach einem runden Tisch zur Hochpreisinsel im August rasche Abhilfe gegen die schädlichen Lieferpraktiken ausländischer Hersteller.
Seither sind 20 Monate verstrichen, die grossen Preisdifferenzen zwischen der Schweiz und Deutschland haben sich nur unwesentlich zurückgebildet, aber in Bundesbern passierte nichts.
Bloss ein verunglücktes Preisbarometer wurde durch das staatliche Büro für Konsumentenfragen ins Internet gestellt. Keine griffige Massnahme, keine konkreten Vorschläge, nur vollmundige Ankündigungen durch die Wettbewerbskommission (Weko), aber keine rechtswirksamen Entscheide.
In der Zwischenzeit ist der Einkaufstourismus von Schweizern im benachbarten Ausland auf 8,9 Milliarden Franken im letzten Jahr angestiegen. Er ist jetzt dreimal so hoch wie vor fünf Jahren. Der Einkauf im Ausland ist mittlerweile nicht bloss eine Spielerei von Schnäppchenjägern. Familien in engen finanziellen Verhältnissen tun sich zusammen und fahren zu zweit oder zu dritt zum Wocheneinkauf über die Grenze.
Der Einkaufstourismus über die Grenze beschert dem Handel in der Schweiz einen Wertschöpfungsverlust von gegen 3 Milliarden Franken. Gewerkschafter, Wirtschaftsdachverbände und Bundesbürokratie nehmen das in Kauf und begnügen sich mit Beschwichtigungsformeln. Bloss die Konsumentenorganisationen, die preissensiblere Migros und vereinzelte Gewerbeverbände in Grenznähe wie der Basler Wirteverband stören sich an diesem Missstand der überhöhten Warenbeschaffungskosten für Importprodukte.
Wie kommt diese Hochpreissituation bei Importprodukten und Markenartikeln zustande? Es sind nicht die höheren Löhne und Mietkosten im Inland, wie oft rechtfertigend gesagt wird; sondern die ausländischen Produkte werden schon teurer in die Schweiz geliefert. Migros, Denner, Gastrowirtschaft erhalten Kosmetika, Waschmittel, Getränke, Non-Food-Artikel vom ausländischen Hersteller zu einem Lieferpreis, der sogar über dem deutschen Endverkaufspreis liegt (eingeschlossen die deutsche Mehrwertsteuer von 19 Prozent und die dortigen Vertriebsmargen).
Diese Produkte werden ausschliesslich über einen Alleinimporteur oder eine Alleinvertriebsfiliale in der Schweiz an den Detailhandel bei uns ausgeliefert – und zwar mit dem üblichen «Zuschlag Schweiz». Und die schweizerischen Detailhändler können diese Produkte nie direkt im Nachbarland zu dortigen Lieferpreisen beschaffen. Diese Marktabschottung mit selektiven Vertriebskanälen ist eine klare Lieferverweigerung und eindeutig ein Verstoss gegen das Wettbewerbsrecht.
Der ausländische Konzern oder Markenartikelhersteller betreibt eine missbräuchliche Kaufkraftabschöpfung. Und zwar nicht nur zulasten der hiesigen Konsumenten, sondern auch auf Kosten von Gewerbebetrieben. Die Basler Wirte können Carlsbergoder Heineken-Biere und Coca-Cola nur über den Schweizer Vertriebskanal dieser multinationalen Konzerne beziehen; und zwar nur viel teurer. Sie erleiden einen Konkurrenznachteil gegenüber den Wirten auf der andern Seite der Grenze. Deshalb fordern sie vom Schweizerischen Gewerbeverband, von der Weko und vom Parlament griffige Massnahmen gegen diese Wettbewerbsverzerrung.
Handwerksbetriebe können ihre Bohrmaschinen, Autogaragen ihre benötigten Ersatzteile nur über den schweizerischen Alleinimporteur einkaufen, und das meist 30 bis 40 Prozent teurer. Auch die Schweizer Bauern zahlen für ihre Zulieferungen (Dünger, Schädlingsbekämpfungsmittel, Landmaschinen) eine Milliarde Franken mehr als die Bauern im benachbarten Baden-Württemberg.
Die Politik tut sich schwer beim Vorgehen gegen die Hochpreisinsel. Zwar hat der Nationalrat dem Bundesrat bereits im Dezember 2011 mit der Motion Birrer-Heimo – mit starkem Mehr – den Auftrag erteilt, eine griffige Gesetzgebung gegen die Hochpreisimporte vorzulegen. Doch die Verwaltung reagierte nicht, und der Bundesrat stellte sich taub. Erst der Ständerat beschloss, gegen den Willen von Bundesrat und Economiesuisse, eine gegenüber der Motion abgeschwächte und helvetisierte Verschärfung des Kartellgesetzes gegen die Hochpreisimporte.
Nach diesem Beschluss würden in Zukunft jene ausländischen Firmen bei uns gegen das Kartellgesetz verstossen, wenn sie ihre Produkte massiv teurer in die Schweiz liefern und gleichzeitig den schweizerischen Bestellern die Lieferung vom Ausland aus verweigern. Der Ständerat will indes keine «staatlich verordnete Preissenkung» (Wirtschaftsprofessor Silvio Borner), wie die konzernnahen Wettbewerbsgegner behaupten. Sondern er will bei Importprodukten wettbewerblich gleich lange Spiesse für Detailhandel und KMU-Wirtschaft in der Schweiz.
Nun kommt im Parlament die Stunde der Wahrheit: Demnächst beschliesst der Nationalrat über das Kartellgesetz. Es handelt sich um die wichtigste wirtschaftspolitische Vorlage in dieser Legislatur. Und die Bekämpfung der Hochpreisproblematik ist die Schicksalsfrage für diese Gesetzesrevision und für den Volkswirtschaftsminister, der im August 2011 dem Volk Remedur versprochen hatte und seither zaudert.
Die Economiesuisse bekämpft diesen Artikel gegen Hochpreisimporte mit dem gleichen ideologischen Dogmatismus, mit dem sie gestern die Boniwirtschaft verteidigt hat und heute fundamental gegen die bundesrätliche Energiepolitik opponiert. Grundsätzlich bekennen sich ja alle für den Wettbewerb: Am Sonntag predigen sie Wettbewerb und Marktwirtschaft, und von Montag bis Freitag tun sie alles, um den Wettbewerb zu behindern. So sind sie, die Sonntagsliberalen!
Wenn die Hochpreisproblematik in der Kartellgesetzrevision nicht angegangen wird, lohnt sich keine weitere Gesetzeskosmetik. Dann werden die Schweizerinnen und Schweizer mit den Füssen oder mit dem Auto abstimmen und noch mehr zum Einkaufen ins Ausland fahren. Volkswirtschaftlich und ökologisch ist das bedauerlich.
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