Rechte Kampfjournalisten

Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom 14.10.2015

Nationalkonservative Medien wiederholen unablässig die These vom linken Bundesrat. In Wahrheit ist nicht die Regierung nach links, sondern die Presse nach rechts abgedriftet.

Der Wahlkampf geht dem Ende entgegen. Über die Parteien und Kandidaten ist genug geschrieben worden. Ihr Wahlkampf war mehrheitlich inhaltsleer. Sogar der SVP-Auftritt kam zuletzt handzahm daher. Der Grund dafür ist klar: Bei allen Parteien ist die breitere Wählerbasis in zentralen Fragen wie Europa, Migration, mehr oder weniger Staat, gespalten. Überall steckt die Wählerschaft selber in einem inneren Entscheiddilemma fest.

Nein, hier ist nicht mehr von Parteien und Kandidaten die Rede. Vielmehr muss man auch mal über die Strippenzieher in den Medien und in der Auftragspolitologie nachdenken, die wie nie zuvor mit Behauptungen und Prognosen die Wählermeinung zu beeinflussen suchten. Naturgemäss hat niemand in der Medienszene Lust auf Kollegenschelte.

Seit langem hämmert die Blocher-Presse – gemeint sind die mithilfe von blocherschem Kapital umgepolten Blätter «Weltwoche» und «Basler Zeitung» sowie einige lokale Winkeljournalisten – der Leserschaft die These vom linken Bundesrat in die Köpfe. Der Bundesrat sei eine Mitte-links-Regierung, und das Parlament sei seit 2011 nach links abgedriftet.

Seit Anfang dieses Jahres hat sich den nationalkonservativen Kampfjournalisten auch die «Neue Zürcher Zeitung» hinzugesellt. Sie ist seit ihren internen personellen Wirren voll auf den rechten Kampfjournalismus eingeschwenkt. Den Bundesrat bezeichnet sie als Kniefallgremium, er sei links abgedriftet Mit 5:2-Abstimmungen würden Maurer und Schneider-Ammann im Gremium ständig überstimmt. Dies ist eine unbelegte, tatsachenwidrige Behauptung; in der Realität gibt es wechselnde Mehrheiten. Die Mitteparteien im Parlament würden, so tönen Blocher-Medien und NZZ vereint, mehr und mehr mit der Linken kooperieren.

Was treibt denn «Weltwoche», BaZ und NZZ zu solchen Behauptungen? Sie bereiten mit ihrer Stimmungsmache die Abwahl der bürgerlichen Bundesrätin Widmer-Schlumpf vor.

Bundesrat glaubwürdigstes Gremium

Im Gegensatz zu dieser Meinungsmache des Kampfjournalismus stehen die Befunde mehrerer Wählerbefragungen. Sie zeigen, dass der Bundesrat im Urteil der Bürger noch nie so glaubwürdig dastand. Nach dem «Index des Vertrauens in öffentliche Institutionen», den der ETH-Sicherheitsbericht mit repräsentativen Befragungen jährlich nachführt, geniesst die Regierung derzeit das seit 1995 höchste Vertrauen in der Bevölkerung. Am tiefsten war der Vertrauensindex, als Merz und Blocher den Bundesrat kujonierten.

Auch nach einem OECD-Rating hat in den 34 OECD-Mitgliedsländern keine Regierung so viel Vertrauen in der eigenen Bevölkerung wie der schweizerische Bundesrat. Das nervt natürlich die Rechten. Objektiv beurteilt, hat der Bundesrat in den letzten vier Jahren eine beachtliche Arbeitsleistung erbracht, während das Parlament ineffizienter, geschwätziger und leerläufiger geworden ist.

Was ist anders geworden in dieser vergangenen Legislaturperiode 2011–2015? Nicht der Bundesrat ist linker geworden, sondern die Blocher-Presse und die NZZ haben sich in die rechte Ecke bewegt. Wer rechts aussen steht, sieht natürlich alle anderen nur noch links!

Freilich hat das Mittelager (CVP, GLP, EVP, BDP) in der vergangenen Legislaturperiode um einige Prozente häufiger gleich wie die Linke abgestimmt und ist dem Bundesrat gefolgt. Jetzt berufen sich die besagten Kampfjournalisten auf eine Auszählung des Politgeografen Michael Hermann. Seine Einordnung ins Links-rechts-Schema ist subjektiv. Sie entspricht der Einschätzung der NZZ-Redaktionen, die bei ihm die politologische Fliegenbeinzählerei in Auftrag gegeben hatten.

Zum Beispiel die unzähligen Abstimmungen in Finanzmarktfragen: Da hat doch im Parlament keine Bewegung nach links stattgefunden! Diese schrittchenweise Aufhebung des Bankgeheimnisses, die Bekämpfung von Steuerflucht und Geldwäscherei, die verstärkte Bankenaufsicht, die Rechtshilfe bei Wirtschaftskriminalität, die Amtshilfe bei Steuerhinterziehung: All diese Beschlüsse sind doch nicht zustande gekommen, weil das Parlament nach links gerutscht ist, sondern weil es mit Murren dem Druck der OECD mit ihren Schwarzen Listen und den Sanktionsandrohungen der USA nachgeben musste!

Zähneklappern im Parlament

Die Übernahme dieser globalen Spielregeln wurde nach der Finanzmarktkrise unausweichlich, zumal im Hintergrund häufig UBS und Credit Suisse auf Konzessionen gegenüber den USA drängten. Da hat der Bundesrat schlicht rational und pragmatisch operiert, und die Parlamentsmehrheit ist ihm bloss mit Zähneklappern gefolgt. Von sich aus hätte die Schweiz ja niemals die Kraft gehabt, das Haus auf dem Finanzplatz in Ordnung zu bringen; ebenso wenig hätte sie ohne den amerikanischen Druck je diesen Korruptionsstall Fifa ausmisten können.

Den Bundesrat und das Parlament deswegen des Kniefalls zu bezichtigen, wie dies die NZZ tut, ist reiner Kampfjournalismus zur unterschwelligen Stimmungsmache.

Zum Beispiel auch die Energiepolitik: Mit Ausnahme der Glaubensfrage um die Atomkraft, die traditionell dem Links-rechts-Schema folgt, ist die Energiewende längst auch ein Anliegen des Bürgertums geworden. Denn von den Investitionsprogrammen für erneuerbare Energien, von Energieeffizienz, moderner Gebäudetechnik und Gebäuderappen profitieren mittlerweile Tausende von gewerblichen KMU-Betrieben mit über 100’000 Beschäftigten.

Internationale Themen häufen sich

Ich denke, die Behörden in Bundesbern müssen sich für die Legislaturperiode 2015–2019 warm anziehen. Denn unzählige Themen werden uns vom Ausland, ausgerechnet von den kapitalistischen Grossmächten, neu aufgezwungen werden und die Meinungen bei uns spalten: etwa die international ultimativ geforderte Unterbindung von Steuertricks der Konzerne in der Schweiz (Beps), die Liberalisierung von internationalen Dienstleistungen (Tisa), der Investitionsschutz von Konzernniederlassungen (TTIP), erweiterte Steuerauskünfte an noch mehr Staaten (AIA), der Klimaschutz, ein neuer Milliardenkredit für Osteuropa, die Personenfreizügigkeit oder die Unterwerfung des Binnenmarktrechts unter die EUGH-Rechtssprechung. Der Internationalismus ist nicht am Ende, wie es Blochers «Basler Zeitung» herbeiwünscht.

Drei angestrebte Ziele stehen quasi bei uns ständig im gegenseitigen Widerspruch, nämlich unsere nationale Souveränität, die Abstimmungsdemokratie und die Übernahme globaler Spielregeln. Jedes dieser drei Ziele ist uns wichtig, aber keines kann allein zu hundert Prozent realisiert werden.

Die Politik muss in diesem Trilemma, also dem dreifachen Dilemma, pragmatische Wege finden. Es wird wechselnde Mehrheiten geben und das Links-rechts-Schema der politologischen Kaffeesatzleser noch viel mehr durcheinanderbringen. Ein solches Schema ist nicht nur unwissenschaftlich, es ist zunehmend auch anachronistisch.

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