Provokationen gegen KMU

 

Essay in  Unternehmerzeitung UZ Nr. 10  vom Oktober 2013.

 

Jüngste Publikationen von AvenirSuisse führten zu einem skurrilen Streit mit dem Schweizerischen Gewerbeverband. Die Bedeutung der KMU für die Schweizer Wirtschaft werde zugunsten der Multis heruntergespielt, so die Kritik an AvenirSuisse.

Von einem „Machwerk mit vielen Denkfehlern“, einem „Gefälligkeitselaborat“, von „15 krassen Denkfehlern“ war die Rede. Solche Schelte gegen den neoliberalen Think Tank AvenirSuisse las man nicht in einer linken Zeitschrift, sondern in der Schweizerischen Gewerbezeitung, redigiert von einem Mitglied der Direktion des Schweizerischen Gewerbeverbands SGV. Der Think Tank habe in seiner Kernkompetenz versagt, nämlich im Denken. Der SGV habe die Gründung der Ideologiefabrik AvenirSuisse seinerzeit sehr begrüsst, doch jetzt sei er „nach einigen Vorkommnissen in der jüngeren Vergangenheit auf sehr kritische Distanz“ gegangen. Die jüngere Vergangenheit heisst im Klartext: Seit der Übernahme der Direktion von AvenirSuisse durch Gerhard Schwarz, den vormaligen Leiter der NZZ-Wirtschaftsressorts.

Anlass zu dieser Schelte war ein „Diskussionspapier“, in welchem „AvenirSuisse“ die Bedeutung der KMU-Wirtschaft herunterspielt und die Wichtigkeit der Multis, der wichtigen Geldgeber der Ideologiefabrik, hochstilisiert. Schon zuvor hatte ein Avenir-Buch, geschrieben von einem Bankökonomen ohne bildungspolitische Vorkenntnisse,  die Bedeutung der Berufslehre heruntergemacht und damit das Gewerbe als wichtigsten Träger der Berufsbildung verärgert.

Noch vorher hatte AvenirSuisse eine einseitige Wirtschaftsgeschichte der Schweiz herausgegeben, in der die gesamte schweizerische KMU-Wirtschaft, aber auch die Genossenschaften und die volkswirtschaftlich wichtigen Service-Public-Unternehmen kaum vorkommen. Vielmehr werden die multinationalen Konzerne und deren Gründer willfährig herausgestellt. Dieser 400-seitige, farbig bebilderte Luxusband unter dem Titel „Wirtschaftwunder Schweiz. Ursprung und Zukunft eines Erfolgsmodells“, wird nicht nur auf deutsch, sondern auch in einer französischen, englischen, chinesischen und  japanischen Fassung herausgebracht. Herausgeber der einäugigen Wirtschaftsgeschichte sind Gerhard Schwarz und R.James Brading.

Wie bedeutend sind die Multis – und die KMU ?

Auslöser des jüngsten Ärgers in der KMU-Wirtschaft ist aber das Avenir-Diskussionspapier „Multis: Zerrbild und Wirklichkeit“ vom Juni 2013. Dessen Zielsetzung ist niemandem klar geworden. Laut seinen Autoren soll es „die unvermindert grosse Bedeutung multinationaler Unternehmen für die schweizerische Volkswirtschaft“ hervorheben, „worüber sich viele in der Politik und Öffentlichkeit zu wenig Rechenschaft geben“. Wenn man die Schlagzeilen und Firmenberichterstattung in den Zeitungen und elektronischen Medien in Betracht zieht, müsste man eher zum Gegenteil neigen, nämlich die Vernachlässigung der KMU-Berichterstattung.

Sehr solid kommt das Avenir-Diskussionspapier nicht daher: Den Anteil der Multis an der volkswirtschaftlichen Bruttowertschöpfung beziffern die Avenir-Autoren mit 16-36% des BIP, den Anteil der Multis an den Warenexporten mit 30-60 %. Mit dermassen breiten Spannen verkommt die Darstellung zum blossen astrologischen Kaffeesatz-Lesen.

Freilich weiss man aus der Wirtschaftsstatistik nicht allzu viel über die Firmenstruktur. Nach Rückfragen beim Bundesamt für Statistik BFS besteht keine verlässliche Aufteilung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nach Unternehmensgrösse. Hingegen kennen wir die BFS-Betriebszählungsergebnisse. Die letzten stammen von 2008.

  • Die KMU-Wirtschaft der Schweiz umfasst 99,6 %      aller Unternehmen.

Die Grossunternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten machen nur 0.4% aus.

  • Die KMU-Wirtschaft umfasst 63% aller      Beschäftigten, die Grossunternehmen haben einen Anteil von 37% und die      multinationalen Firmen noch weniger.
  • Die KMU sind mit schätzungsweise 80% aller      Lehrstellen Hauptträger des

Berufsbildungssystems.

  • Die grossen Konzerne wachsen beschäftigungsmässig      praktisch nur noch im Ausland – die Swatch Group ausgenommen.
  • Von den zehn grössten Konzernen haben deren neun      mehr als 80% der Beschäftigten im Ausland in ihren Tochtergesellschaften,      Betriebs- und Vertriebsstätten. Einzig die Swatch Group hat noch die      Hälfte in der Schweiz.

Freilich leisten die meisten multinationalen Gesellschaften dank ihrer höheren Produktivität einen überdurchschnittlichen Beitrag zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung. Bei gewissn schlagzeilenträchtigen Branchen wird die olkswirtschaftliche Bedeutung ständig überschätzt. Die Banken insgesamt hatten laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (VGR) 2011 einen Wertschöpfungsanteil von nur 6,3% des Bruttoinlandprodukts, die Versicherungswirtschaft einen solchen von 4,5%. Solche Indikatoren fehlen natürlich im Avenir-Diskussionspapier.

Gewiss sind viele KMU-Betriebe auch Zulieferer oder Unterlieferanten von Grossfirmen, sie profitieren von den Multis. Doch ist eines der markantesten Merkmale des Strukturwandels, dass immer mehr KMU auch direkt ins Ausland exportieren – oft als Zulieferer dortiger Konzerne.

Unklare Motive bei AvenirSuisse

Die Gründe, warum AvenirSuisse sich gedrängt fühlte, auf mehreren Ebenen die KMU-Wirtschaft herabzumindern, sind für die meisten unklar. Will sich Gerhard Schwarz als Direktor bei seinen Geldgebern aus der Konzernwelt erkenntlich zeigen? Oder kommen ihm bloss seine ideologischen Doktrinen in die Quere?

Kaum ein Ökonom in diesem Land hat sich in der Vergangenheit so häufig verrannt wie Gerhard Schwarz: In den 1990er Jahren verteidigte er die Maximierung des Shareholder Value – was die Banken danach auch so lange praktizierten, bis sie damit an die Wand fuhren. Im Jahr 2000 wandte er sich mit dem Killerwort von der „Neidökonomie“ (Buchtitel) gegen die Kritiker an der Abzockerei in der Wirtschaft und gegen die Verteidiger des Sozialstaats. Seit Ende 2007, nunmehr sechs Jahre, warnt er als Nationalbankkritiker vor einer hohen Inflation. Die Avenir-Publikationen, die nach einer Privatisierung des Service Public rufen, kommen zwanzig Jahre zu spät. Die lange von Gerhard Schwarz präsidierte Friedrick A. von Hayek-Gesellschaft, die die Jünger des neoliberalen Urvaters Friedrich A. von Hayek vereint und den Antietatismus wie eine Glaubensgemeinschaft hütet, gilt heute in Fachkreisen als eine verirrte Sekte.

Wenn ideologische Doktrinen vorherrschen, resultieren sehr oft skurrile Konflikte. Jener zwischen AvenirSuisse und dem Gewerbeverband ist ein solcher.

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