Professional Bachelor: Der Titel ist entscheidend

Kolumne in Handelszeitung vom 27. Juni 2024 ,  Seite 16

Fachkräfte mit viel Berufserfahrung und eidgenössischen Diplomen sind auf dem Arbeitsmarkt sehr begehrt.

Ein 32-jähriger Experte in Rechnungslegung und Controlling mit KV-Abschluss, anschliessend Höherer Fachschule und zuletzt  höherer eidgenössischer Fachprüfung – dem höchsten Diplom in der Bilanztechnik -, arbeitet bei einer grossen Zürcher Versicherungsgesellschaft in der Konzernbuchhaltung. Nach drei Jahren wird ihm ein 23-jähriger deutscher Bachelor in Betriebswirtschaft, direkt aus der Uni und ohne Berufspraxis, als Chef vor die Nase gesetzt. Die deutsche HR-Verantwortliche, die diesen Bachelor als Teamchef auswählte, wollte partout jemand mit akademischem Titel in der Kaderposition platzieren.

Eine Gastro-Betriebsleiterin mit eidgenössischem Fachausweis und einer höheren Berufsprüfung als diplomierte Gastro-Unternehmerin bewirbt sich in Abu Dhabi bei einem internationalen Hotel. Doch der englische Hotelmanager wählt einen jungen Bachelor direkt von einer zweitklassischen englischen Privatuniversität.

Der erstgenannte „Experte in Rechnungslegung und Controlling“ wird vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung, Innovation SBFI nach dem nationalen Qualifikationsrahmen NQR fachlich auf der Stufe 8 eingereiht, als äquivalent wie ein Uni-Doktorat. Die „diplomierte Gastro-Unternehmerin“ auf NQR-Stufe 7, – wie ein Uni-Master.

Die Fachkräfte mit einer Höheren Berufsbildung sind heute statistisch die vom privaten Arbeitsmarkt am meisten begehrten Fachkräfte. Sie hatten mit einer Berufslehre begonnen und dann zäh nach mehrjährigen, berufsbegleitenden Kursen eine Berufsprüfung BP oder eine Höhere Fachschule oder sogar einer Höhere Fachprüfung HFP absolviert. Sie sind die meistbegehrten Techniker, Teamchefs und mittleren Kader in der Privatwirtschaft. Sie sind für Führungsfunktionen  mehr gefragt als Uni-Abgänger, weil sie sowohl über Berufspraxis (Skills) als auch über das innovativste höhere Fachwissen (Knowledge) verfügen.

Diese Kaderkarriere, die für unser Land matschentscheidend ist, hat leider ein Stigma: Die Branchen kennen zwar die technischen Berufsbezeichnungen – es gibt 430 solcher Abschlüsse. Aber es gibt keinen übergeordneten Titel. Deshalb ist seit Jahren der Ruf im Raum, als übergreifenden Titel den „Professional Bachelor“ und den „Professional Master“ zusätzlich zu den Berufsbezeichnungen anzuerkennen. Beim entscheidenden Berufswahlgespräch fragen die Eltern für ihren Sohn oder die Tochter: Was ist man nach dem Abschluss? Wie lautet dann der Titel? Titel sind für die gesellschaftliche Reputation und das Prestige heute oft berufswahl-entscheidend.

Deutschland hat die Titel „Professional Bachelor“ seit 2020 anerkannt; Österreich kurz danach. Jetzt erst soll auch in der Schweiz die Titeläquivalenz eingeführt werden. Seit diesem Monat läuft ein Bundes-Vernehmlassungsverfahren für die gesetzliche Anerkennung. Die Wirtschaftsverbände sind alle dafür. Hingegen wehren sich die Hochschulen vehement. Professoren sprechen von „Vermischung“ oder von „Verwässerung“ ihrer Hochschultitel. Aber im Grunde sind es rein standespolitische Interessen.

Der Nationalrat hat bereits zwei Mal die Anerkennung des „Professional Bachelor“ eingeleitet, im Ständerat haben jüngst zwei von Swissuniversities montierte Votanten die Zustimmung erneut verhindert. Die Vernehmlassung wird die Wirtschaft und die Bildungspolitik zwingen, jetzt Farbe zu bekennen.

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Der Gastautor Rudolf Strahm ist ehemaliger Preisüberwacher und Ex-SP-Nationalrat.