Preisprivilegien für die Pharmariesen.

Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, wird in Bundesbern wieder einmal ein Interessenkrieg um Medikamentenpreise ausgefochten. Die Arzneimittel fallen bei den Gesundheitskosten stark ins Gewicht, saugen gut 20 Prozent der obligatorischen Krankenversicherungsprämien auf. Es geht um eine Streitsumme von 240 Millionen Franken im ersten Jahr, die bis 2014 auf drei Viertelmilliarden Franken pro Jahr anschwellen wird.

Das Ringen um die Medikamentenpreise würde sich als Staatskunde- Lehrstück über verdeckte Interessenlobbys, verschleierte Meinungsmache und schmutziges Sponsoring eignen. Die stärkste Interessengruppe ist in der Lage, ihre politische Macht bei der staatlichen Marktordnung ungebremst zur Geltung zu bringen.

Die Preise der kassenpflichtigen Medikamente in der Schweiz richten sich nach dem Durchschnitt dessen, was die entsprechenden Präparate in sechs Hochpreisländern kosten: in Deutschland, Österreich, Dänemark, England, Frankreich und Holland. Die staatlich festgelegten Medikamentenpreise in diesen Ländern werden in Schweizer Franken umgerechnet. Bisher wurde mit einem Wechselkurs von 1.56 Franken pro Euro gerechnet. Das ist gegenüber dem aktuellen Wechselkurs um 30 Prozent zugunsten der Pharmaindustrie überhöht. Zudem werden billigere südeuropäische Länder bei der Preisbestimmung völlig übergangen.

Nun hat der Bundesrat die Kalkulation per 1. Mai dem neuen Wechselkurs angepasst. Die Pharmalobby hatte sich im Vorfeld dagegen gewehrt und einen privilegierten Umrechnungskurs von 1.40 statt 1.20 Franken pro Euro gefordert – also einen staatlich garantierten Aufpreis.

Nach langwierigen Verhandlungen zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der geballten Pharmalobby kam ein Kompromiss zustande, welcher den Pharmaproduzenten und -importeuren gleich mehrfach entgegenkommt:

  • In Zukunft soll grundsätzlich der Wechselkurs der letzten zwölf Monate als Basis dienen, dies ist momentan 1.23 Franken pro Euro.
  • Auf alle Medikamente kommt jedoch ein Toleranzzuschlag von 5 Prozent, macht einen Umrechnungskurs von 1.29 Franken.
  •  Die Preissenkung mit dem neuen Wechselkurs erfolgt nicht sofort, sondern wird in drei Schritten gestaffelt bis 2014 vollzogen. Das bedeutet für viele Arzneimittel vorläufig noch um bis zu 30 Prozent überhöhte Preise.
  • Auf neu zugelassene Medikamente kommt vorübergehen ein Innovationszuschlag von in der Regel 8 Prozent.
  • Der Wirksamkeitsvergleich von neuen mit bisherigen Medikamenten entfällt, wenn ein Auslandpreisvergleich möglich ist. Nach Gesetz dürften eigentlich nur höhere Preise bei therapeutisch wirksameren Medikamenten zugelassen werden. Denn unzählige, angeblich neue Medikamente sind nur Scheininnovationen: teurer, aber nicht wirksamer.
  • Aufgrund eines früheren Kompromisses bleiben alle Parallelimporte patentierter Medikamente verboten. Im benachbarten Lörrach (D) zum Beispiel sind Medikamente von Schweizer Pharmafirmen gut 20 Prozent billiger als in Basel zu haben. Auch den Spitälern ist es untersagt, Grosspackungen «for hospital use only» im Ausland einzukaufen. Sie sind wegen dieser Protektion der Pharmariesen zur teuren Inlandbeschaffung verpflichtet.

Rational betrachtet ist der Staat den Pharmaproduzenten und Medikamentenimporteuren weit entgegengekommen. Wer, abgesehen von den Grossbanken und der Landwirtschaft, geniesst einen derartigen Politschutz wie Big Pharma? Die Branche müsste mit dem Erreichten zufrieden sein. Doch das Lobbying folgt eigenen Gesetzen. Interpharma-Chef Tomas Cueni, der «sämtliche Radarschirme der Demokratie unterfliegt», wie es ein freisinniger Parlamentarier einmal ausdrückte, liess die PR-Walze auf Bundesbern zurollen. Er versorgte den Journalisten Victor Weber wiederholt mit Exklusivinformationen, bearbeitete die Basler Parlamentarier und schickte den basel-städtischen Gesundheitsdirektor vor.

Nun droht Cueni im Namen der Pharmaindustrie dem Bundesrat: Wenn die Regierung nicht nachgebe, werde jede einzelne Medikamentenpreisverfügung des BAG beim Bundesverwaltungsgericht angefochten. Das antiquierte Rekursverfahren erlaubt es, jede einzelne der Tausenden von Preisverfügungen gerichtlich anzufechten und so den Staatsapparat lahmzulegen. (Wenn Asylbewerber oder Steuerflüchtlinge ihre Rekursmöglichkeiten ebenso extensiv ausreizen, wird das mit Recht kritisiert.)

Der Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti kritisiert den Bundesrat und fordert höhere Medikamentenpreise für die Pharmaindustrie. Er verwechselt die Basler Interessenlage mit seiner Rolle als Präsident der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz. Es ist noch nicht lange her, dass er verbissen für die Fallpauschalen mit den zu erwartenden (Lohn-)Kostensenkungen in den Spitälern gekämpft hat.

Die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer, Mitinhaberin einer Apotheke, hat in der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) eine Motion durchgebracht, die den Bundesrat zu einer noch pharmafreundlicheren Preisgestaltung zwingen will. Jetzt muss sich der Nationalrat mit dem Lobbygeschäft befassen. Die Schweiz sei teurer wegen der hohen Löhne und Forschungskosten, behaupten die Pharmalobbyisten. Was sie verschweigen: Nur 1,5 Prozent der in der Schweiz hergestellten Medikamente werden im Inland verkauft. Sollen die Schweizer Konsumenten die Forschungskosten fast alleine tragen? Dass die hohen Schweizer Preise im Ausland als verbindliche Referenz gelten und somit der hiesigen Industrie nützen, ist eine unbewiesene Behauptung der Pharmalobbyisten.

Von unserem gesamten Medikamentenverbrauch werden notabene 70 Prozent aus dem Ausland importiert. Die hohen Schweizer Preise sind folglich zu über zwei Dritteln ein Geschenk an die ausländischen Pharmakonzerne.

Gesunder Menschenverstand wie ökonomischer Sachverstand müssten unabhängigen Parlamentariern eigentlich sagen: Der von Bundesrat Alain Berset ausgehandelte Kompromiss genügt. Diesem ist zuzustimmen. Doch das Geheimnis dieses Lobbyerfolgs von Big Pharma ist wohl weniger in rationellen Argumenten zu suchen als in verdeckten Parteispenden unbekannter Grösse. Dort hören Unabhängigkeit und Rücksicht

Preisprivilegien für Pharmariesen. Politschutz. Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 8.Mai 2012.

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