Präzision – Zuverlässigkeit – Qualität Vom Wert der dualen Berufsbildung

Ballenberg. 3.Mai 2014. –
Eröffnungsrede. Auftakt zum Jahresthema :“Handwerk – heute“

Ein bekannter und schlauer Werbeprofi in Zürich unterscheidet schon lange die A-Schweiz von der B-Schweiz.

Die A-Schweiz sind die multinationalen Konzerne, die Grossen Banken, die Globalisierer, – diejenigen, die in seinen Augen den Reichtum heranschaffen.

Die B-Schweiz ist für ihn die Ballenberg-Schweiz, das Handwerk, die Kleinbetriebe, das „Hinterland“ der drei Metropolitanregionen, wie diese neudeutsch heissen.

Und was ist Ballenberg?  Für die Modernisierungselite ist es rückwärtsblickende Museumskultur, nostalgische Memorierkultur. Man schätzt sie bestenfalls, damit unsere Jungen auf der Schulreise mal illustriert sehen, wie es früher war.

Wie ist das traditionellen Handwerk heute einzuschätzen:
die Schnitzer ?
die Küffer und Schindelmacher?
die Drechsler?
die Holzbildhauer?
die Sattler?
die Goldschmiede und Hufschmiede?
die Seiler, Handweber, Seidenweberinnen?
die Töpfer und Töpferinnen?
die Steinhauer und Steinmetze?
oder die Orgel- und Geigenbauer?

Es sind alles schwindende Berufe, aber immerhin eidgenössisch anerkannte Berufe, die man noch kennt und zum Glück auch erlernen kann.

Daneben gab es früher unzählige Spezialberufe, die längst verloren sind, die Leimsieder und Bleicher, die Torfstecher und Eissäger, die Vogelfänger, Stumpendreher oder Besenbinder. Der technische Fortschritt und wirtschaftlicher Strukturwandel haben sie überflüssig gemacht.

(Doch kein Beruf ist vor dem technischen Fortschritt geschützt. Ich habe ab 1959 in der Basler Chemie eine Laborantenlehre absolviert – Chemielaborant war damals der modernste Beruf – danach das Technikum (Ingenieurschule) besucht. Aber vor einigen Jahren erhielt ich die Einladung zur Schliessung der Chemieabteilung des Technikums (heute Fachhochschule) Burgdorf. – Innert eines Menschenlebens kann ein neuer Beruf aufsteigen und wieder untergehen!)

Aber nun zum Kleinhandwerk.
Zu dieser kleinhandwerklichen Tradition rücke ich hier zwei Fragen in den Vordergrund:

Die erste Frage lautet:

Was ist die wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung dieser Berufe, wie wirkt diese Handwerkstradition  in die heutige Zeit hinein?

Eine nachwirkende Wichtigkeit ist die, dass rund um diese Berufe starke Berufs- und Handwerksvereinigungen entstanden sind, ohne die es das heutige erfolgreiche duale Berufsbildungssystem nicht mehr gäbe. Sie haben sich weiterentwickelt bis zum heutigen Schweizerischen Gewerbeverband.

Im deutschsprachigen Raum waren es seit dem 16. Jahrhundert die Zünfte, die die Ausbildung und technologische Entwicklung in der Gesellschaft sicherstellten. Man ging zu einem Meister in die Lehre, man war als junger Mann bei der Meisterin zu Tische, bekam einen Lehrbrief und nach drei bis vier Jahren wurde man Geselle. Als Geselle musste man mindestens fünf Jahre im deutschen Sprachraum herumwandern, von Ort zu Ort, von Meister zu Meister. Frühestens nach fünf Wanderjahren als Geselle konnte man sesshaft werden, ein eigenes Geschäft eröffnen, Meister werden, in die Zunft eintreten, und erst dann konnte man heiraten. Aus diesem zünftischen Ausbildungswesen hat sich die duale Berufsbildung herausgebildet und gerettet, und zwar nur in der deutschen Schweiz, in Deutschland, Oesterreich und ein bisschen im benachbarten Holland und Dänemark. Das sind heute die reichen und industriell konkurrenzfähigsten Länder Europas.

Die Bedeutung der Berufs- und Handwerksvereinigungen besteht historisch darin, dass die zivilgesellschaftliche Trägerschaft der Berufsbildung und Berufsqualifikation bildeten – und es bis heute sind!  In moderner Oekonomensprache war das die Herausbildung von „Industrial Commons“, also einer unverzichtbaren öffentlichen Trägerschaft für eine industriebezogene Ausbildungs-Community, eine Clusterbildung  – gemeint ist das Verbandswesen, das Berufsbildungswesen, auch die gemeinsamen Qualitätsstandards, ohne die es keine starke, konkurrenzfähige Industrie gibt. Fast alle schweizerischen Exportindustrien sind aus Handwerksbuden hervorgegangen und zu multinationalen Industriekonzernen geworden.

Auch das Kleinhandwerk entwickelte eine zivilgesellschaftliche Cluster-Bildung. Vor 140 Jahren wurde in Brienz eine Vereinigung zur „Hebung und Förderung der Brienzer Holzschnitzerei“ gegründet. Später wurde daraus die „Allgemeine Schnitzler Vereinigung des Berner Oberlandes“, dann der „Oberländische Holzwaren-Verein“ mit Sitz in Brienz und noch später der „Zentralverband der oberländischen Holzschnitzerei-Industrie“ und der „Kunstgewerbe-Verband“.

Ohne diese verbandlichen Trägerschaften gäbe es die Lehrwerkstätte und die Berufsfachschule für Schnitzerei nicht, wohl auch nicht das Museum für Holzbildhauerei. Aber genereller ausgedrückt: Ohne solche zivilgesellschaftlichen Initiativen gäbe es kein „State of the Art“ – keine Regeln der Berufskunst, keine allgemeinen Standards für Fachwissen, Qualitätsniveau und wechselseitige Lernkultur.

 

Und damit komme ich zur zweiten Frage:

Was von diesen Traditionsberufen hat den Weg in die in die Moderne geschafft?

Was ist geblieben? Es ist nicht in die Technologie; es ist nicht die Materialtechnik, und es ist schon gar nicht die kleingewerbliche Struktur, was den Weg in die Moderne fand. Nein, es ist etwas anderes – etwas, das die meisten modernen Managementlehren ausklammern, etwas, was Akademiker meist nicht kennen und was die Topmanager der sogenannten „A-Schweiz“ schlicht ignorieren. Denn im Durchschnitt aller Schweizer Konzerne werden die Topmanager bekanntlich heute alle vier Jahre ausgewechselt.

Es ist die Qualitätskultur in der schweizerischen Industrieproduktion, die sich aus der kleingewerblichen Handwerkstradition in die Industriekultur gerettet hat! Und natürlich auch in die moderne gewerblich-industrielle KMU-Wirtschaft.

Es sind solche „Soft Skills“, „weiche Faktoren“, wie Exaktheit, Termintreue, Präzision, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Garantiekultur gegenüber dem Kunden. Es ist: „Die Arbeit um ihrer selbst willen gut machen“, sagt Richard Senett in seinem epochalen kultursoziologischen Buch „Handwerk“. Man arbeitet nicht für die Boni; man arbeitet, weil man sich erfüllt in seiner Arbeit; man liebt die Arbeit um ihrer selbst willen. Genau das waren und sind noch heute die Trümpfe der schweizerischen Exportkraft mit ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit!

Die Schweiz ist ein Hochlohnland und Hochpreisland – das weiss der ehemalige Preisüberwacher. Nach

Ökonomielehrbuch wären wir längst weg vom Fenster mit unsern hohen Preisen. Aber pro Kopf der Bevölkerung sind wir dennoch mit Industrieprodukten Weltmeister im Export. Pro Kopf der Bevölkerung sind wir Weltmeister in der industriellen Wertschöpfung. Wir stehen auch an der Spitze im europäischen Innovationsindex und im Rating der internationalen Konkurrenzfähigkeit.

Es braucht zwar Ingenieure, Erfinder, Innovatoren, Manager, – aber es braucht auch Fachkräfte, die die Präzisionsarbeit beherrschen und die Innovationen auch ausführen. Präzision lernt und lehrt man nicht an der Universität. Präzision, Exaktheit, Zuverlässigkeit sind Arbeitswerte die aus der vorindustriellen Handwerkskultur stammen, die sich über die Berufslehre in die Industrie gerettet haben. Es sind genau die Werte, die auch die hohe Konkurrenzfähigkeit der modernen Exportindustrie ausmachen.

„Praktische Intelligenz“ (im Gegensatz zur geprüften, schulisch-kognitiven Intelligenz) heisst, Fachwissen auch anwenden können. Die akademische Welt weiss immer weniger, was praktische Intelligenz ist – sie wird in Examen und Pisa-Ratings ja nicht geprüft. Dadurch werden die Universitäten der A-Schweiz immer arbeitsmarktferner.

 

Ich glaube, – und das ist mein letztes Wort – dass diese vorindustriellen Werte von Präzision, Zuverlässigkeit und Qualität aus den früheren Zeiten der Handwerkstradition, dass genau diese Werte der „B-Schweiz“, wie Klaus Stöhlker sie nennt, heute unsere internationale Konkurrenzfähigkeit und den heutigen Reichtum der Schweiz ausmachen!

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