Kolumne Rudolf Strahm, in: Schweizerische Gewerbezeitung SGZ, Januar 2012
Die Kampagne der Privatassekuranz war orchestriert. Von Spätherbst bis Weihnachten 2011 wurde uns in zahlreichen Interviews und Zitaten panikartig die Botschaft übermittelt: Die Zweite Säule steht ohne die sofortige Senkung des Umwandlungssatzes und des Mindestzinssatzes vor dem Kollaps. Der Swiss Life-Chef verstieg sich in die unbelegte Behauptung, die heutige Rentnergeneration klaue durch zu hohe Renten den Jungen jährlich 600 Millionen Franken.
Ausgerechnet die Swiss Life! Die Chefs der früheren Rentenanstalt (1857 als Genossenschaft von Alfred Escher begründet) hatten es nach ihrer Umwandlung zur Aktiengesellschaft Swiss Life fertig gebracht, das während 140 Jahren angehäufte Versicherungskapital 2001 bis an den Rand des Ruins zu verspekulieren und den Konzern 2008 nachmals an den Abgrund zu führen.
„Rentenklau“ bei der Privatassekuranz
Das Problem der bei den privaten Lebensversicherungsgesellschaften angegliederten BVG-Sammeleinrichtungen ist der ständige Ressourcenabfluss in die Konzernkassen. Gegen den Willen des Gesetzgebers wird die Gewinnentnahme (sog. Legal Quote) der Zweiten Säule jährlich auf 10% der Bruttoeinnahmen garantiert, nicht etwa auf 10% des Nettoertrags oder Gewinns. Diese 10% fliessen jährlich, ungeachtet von der Leistung und Fähigkeit der Versicherungsverantwortlichen. Jährlich werden dadurch 600 Millionen Franken Zweite-Säule-Gelder in die Konzernkassen der Privatassekuranz abgesogen – bei Swiss Life macht dies ein Drittel des Konzerngewinns aus.
Jeder fünfte Rentenfranken versickert
Allerdings versickern ebenfalls bei den autonomen Pensionskassen, die als Stiftungen keine Gewinne abführen dürfen, Jahr für Jahr enorme Summen für die Vermögensverwaltung und Verwaltung. Dank zwei im Jahr 2011 veröffentlichten Studien des Bundesamts für Sozialversicherung BSV wissen wir mehr darüber: Insgesamt versickern jährlich 5,7 Milliarden Franken aus den Pensionskassen: nämlich 3,9 Milliarden Fr für die Vermögensverwaltung in Form von Bankengebühren, Courtagen, Management Fees, Stempelsteuern und Entschädigungen der Asset Manager. Die Sanierungsbeiträge durch Anlageverluste sind nicht mitgezählt. Und zusätzlich entstehen Verwaltungskosten und Beraterhonorare von 1.8 Milliarden Fr bei den über 2270 (viel zu vielen!) Pensionskassenverwaltungen.
Wer hätte dies vor dem Vorliegen der Studien geahnt? Die 5,7 Milliarden Franken an jährlichen Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten der autonomen Pensionskassen entsprechen rund 19% aller jährlichen Renten- und Kapitalauszahlungen aller Kassen. Jeder fünfte Rentenfranken versickert! Die Zweite Säule ist zu einem Selbstbedienungsladen des Anlagebusiness und der Beraterszene verkommen.
Nebenbei bemerkt, verursacht die Abrechnung der BVG-Beiträge den KMU drei mal höhere Administrativkosten als die Abrechnung der AHV-Prämien. Dies geht aus der vom Schweizerischen Gewerbeverband in Auftrag gegebenen „Messung“ der Regulierungskosten vom Mai 2010 hervor.
Misstrauen berechtigt
Bereits vor der Veröffentlichung der Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskostenstudien war das Misstrauen gegenüber den Pensionskassenszene vorhanden. Ich hatte in meiner Funktion als Preisüberwacher aus Einzelfällen bereits Verdacht über hohe Bankgebühren und Courtagen geschöpft, mir fehlte aber eine Gesamtsicht der Kosten. Nun hat sich das Misstrauen mehr als bestätigt und die zwei Studien signalisieren Handlungsbedarf. Weder die Gewerkschafts- noch die Arbeitgebervertreter in der BVG-Kommission hatten den Anlagekosten die nötige Beachtung geschenkt. Man stritt lieber über ein Viertelprozent mehr oder weniger Mindestzinssatz. Im Vergleich dazu betragen allein die jährlichen Vermögensverwaltungskosten (ohne die Administrationskosten) 0,7 Prozent des Kapitals.
Im Jahr 2008 empfahl die BVG-Kommission die Erhöhung der Limite für Hedgefonds-Anlagen (sog. alternative Anlagen) auf 15% des Pensionskassenkapitals. Treibende Kraft dieser Erhöhung war eine mit Bankern erweiterte Subkommission unter dem Präsidium von Dominique Ammann, seines Zeichens Chef und Mitbegründer von PPCmetrics, der grössten Beratungs- und Asset-Management-Firma im Pensionskassenbereich. In seiner Doppelfunktion als Experte in der BVG-Kommission und als Beteiligter in den Anlagepraktiken spielte er eine zwiespältige Rolle.
Heute weiss man aus der BSV-Vermögensverwaltungsstudie, dass die 6% Hedefonds-Anlagen der Pensionskassen rund ein Drittel aller Vermögensverwaltungskosten auffressen. Hedgefonds und Dachhedgefonds sind nicht nur extrem teuer und kostenintransparent. Sie sind auch extrem risikobehaftet, weil die Verluste bei Termingeschäften naturgemäss meist unwiederbringlich anfallen.
Politische Herausforderungen
Es ist das Verdienst der Abteilung über die Berufliche Vorsorge im BSV unter Martin Kaiser, dass durch externe Expertisen die effektiven Kosten der BVG-Einrichtungen ermittelt worden sind und nun auch eine Gesamtschau vorliegt. Erst dank dieser Analysen lässt sich rational über den zukünftigen Kurs diskutieren. Allerdings hat das BSV mit seinen Transparenzstudien und mit den Verordnungsentwürfen auch Argwohn bei Kassen und Vermögensverwaltern ausgelöst. Kostentransparenz ist im Vermögensverwaltungsbusiness naturgemäss nicht die höchste Wunschidee.
In aller Stille und ohne die in der Bundesverwaltung übliche Bekanntgabe von Personalmutationen ist der BVG-Chef Martin Kaiser, der früher auch Direktor der Postreg war, im Herbst 2011 von der BVG-Abteilung in die AHV-Abteilung verschoben worden. Neu für die Pensionskassen ist die Juristin und ehemalige Gewerkschaftsekretärin Colette Nova als Abteilungschefin zuständig. Sie ist erfahrene Juristin; doch bezüglich ihrer Wirtschaftskompetenz hatte sie in der SP-Fraktion eher als Sorgenkind gegolten. In der Frage der Kostentransparenz und der Anlagelimiten hatte sie sich immer an den Mann von PPC-metrics, Dominique Ammann, angelehnt. Als ich nach meinem Rücktritt als Preisüberwacher aufgrund meiner Erfahrungen Zweifel gegen dessen problematische Doppelrolle als BVG-Experte und Nutzniesser im Anlage- und Beratungsgeschäft anmeldete, schlug sich Colette Nova als erste zu dessen Verteidigung in die Bresche.
Neues Vertrauen aufbauen
Im März 2010 ist die BVG-Revision mit 73% vom Volk verworfen worden. Auch eine grosse Mehrheit der KMU-Chefs hatte dagegen gestimmt. Bei den meisten ging es nicht um den Umwandlungssatz, sondern um das verlorene Vertrauen bei die Anlagepolitik in den Finanzmärkten, um die hohen Kosten und die Selbstbedienungspraxis der Beraterszene.
Vertrauen lässt sich nur herstellen, wenn (1) die Gewinnentnahme (Legal Quote) der Privatversicherungen neu geregelt wird, wenn (2) in Zukunft mit einer standardisierten Vergleichsgrösse für alle (aggregierten) Kosten volle Transparenz und eine Vergleichsmöglichkeit für alle Pensionskassen hergestellt werden, wenn (3) spekulative Anlagen in Hedgefonds und andere strukturierte Produkte für Pensionskassengelder gänzlich verboten werden, und wenn (4) die
sicheren, spekulationsfreien Anlagenlimiten für Liegenschaften wieder erhöht werden.
Zuerst sind die Sickerlöcher bei der Zweiten Säule zu stopfen, bevor man über den Umwandlungssatz und die Mindestzinssätze neue Regeln einführt. Auch für die KMU-Chefs kann vorrangig wohl gelten: Das Vertrauensproblem muss als erstes gelöst werden!
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