Oligarchen-Milliarden im Labyrinth der Finanzmärkte

Die Kombination von absichtlich konstruierten Schlupflöchern und Umgehungsregeln macht den Finanzplatz Schweiz für die Superreichen attraktiv.


Kolumne von Rudolf Strahm im Tages-Anzeiger, Bund, TA-Online 19.4.2022

Die russischen Vermögenswerte auf dem schweizerischen Finanzplatz wurden von der Bankiervereinigung auf 150 bis 200 Milliarden Franken beziffert. Doch nach fünf Wochen Recherchen konnte das Seco nur gerade 7,5 Milliarden an arrestierten Vermögen vermelden. Ein Rätsel schwebt über unserem Lande, das Oligarchen-Rätsel.

Das für die Sanktionen zuständige Seco beschwichtigt und hat valable Argumente: Nicht alle russischen Vermögen in der Schweiz seien jenen zuzuordnen, die auf der EU-Sanktionsliste stehen. Nur «eine Handvoll» sanktionierter Russen seien derzeit in der Schweiz wohnhaft.

Die grosse Unbekannte des Oligarchen-Rätsels: Es zeigt sich jetzt, dass die Suche nach russischen Oligarchenvermögen eine unheimliche Herkulesaufgabe darstellt. Denn diese kosmopolitischen Superreichen lagern ihre Milliarden nicht auf identifizierbaren Bankkonti. Auch wenn im Ausland wohnhaft, haben sie mithilfe von Genfer, Zürcher oder Luganeser Anwaltskanzleien mit Offshore-Schachtel-Konstrukten über Briefkasten-Firmen in Panama, Bahamas oder Jungferninseln ihr Vermögen anonymisiert und versteckt.

Die Millionen von Dokumenten in den Panama Papers und Pandora Papers haben Hunderte solcher klandestiner Finanzimperien von Oligarchen und andern Megareichen offengelegt und dokumentiert

Diese Zeitung hat letzte Woche in einer exzellenten Recherche am Beispiel des Luzerner Falls Kerimov aufgezeigt, wie ein Russen-Financier über Konten von uninformierten Strohmännern Hunderte von Millionen Dollar in die Karibik und zurück verschieben konnte. Die Millionen von Dokumenten in den Panama Papers und Pandora Papers haben Hunderte solcher klandestiner Finanzimperien von Oligarchen und andern Megareichen offengelegt und dokumentiert. 

Die offizielle Schweiz wollte als einziges Land von diesen Panama Papers nichts wissen. Das deutsche Bundeskriminalamt BKA in Wiesbaden hatte die Millionen an Panama-Dokumenten nach involvierten Ländern sortiert und im September 2018 die Kriminalbehörden von 17 Staaten zu einer Konsultation eingeladen. Den Länderbehörden wurden die sie betreffenden Datensätze zur Weiterverfolgung angeboten. 16 Länder bezogen diese Speichersticks, ein Land verzichtete: die Schweiz. Die Vertreter der Fedpol (Bundespolizei) durften das Angebot nicht annehmen. Die Bundesanwaltschaft warnte vor der Benützung der Panama-Daten. Man will es gar nicht wissen!

Auf die Rückfrage nach Begründung dieser Daten-Rückweisung war die zynische Antwort: «Die haben doch Schiss vor Lüscher und Co.» Gemeint war der freisinnige Genfer Nationalrat und Advokat Christian Lüscher. Er gilt dank seinem Netzwerk im Parlament als einflussreichster Vorkämpfer für die Privilegien der Wirtschaftsanwälte. Bei uns machen die Anwälte im Parlament ihre Gesetze und Schlupflöcher selber. 

Die Wirtschaftsanwälte kennen all die politisch gewollten Ausnahmeregeln und sind unter Geheimnisschutz die Einzigen, die den wahren Berechtigten, den «real owner», hinter den Offshore-Finanzkonstrukten der Oligarchen kennen. Die Kombination all dieser absichtlich konstruierten Schlupflöcher und Umgehungsregeln ist das, was den Finanzplatz Schweiz für die Superreichen attraktiv macht:

  1. Die Anwälte unterstehen dem Anwaltsgeheimnis. Im Gegensatz zu den Banken sind sie aufgrund des Geldwäschereigesetzes nicht zur Auskunft verpflichtet. Da läuft aber momentan ein Streit: Das Seco ist der Auffassung, das Embargogesetz gehe vor und das Anwaltsgeheimnis sei bei Sanktionen nicht anwendbar. Doch das Finanzdepartement wehrt sich derzeit erfolgreich gegen diese Auskunftspflicht. Peinlich, wie die Anwälte-Vereinigung mit allen Registern des politischen Lobbyings gegen diese spezielle Auskunftspflicht bei Sanktionen kämpft.
  2. Das Seco, das die Sanktionen aufgrund des (veralteten) Embargogesetzes vollzieht, hat keine polizeilichen Durchsetzungskompetenzen und arbeitet nicht proaktiv. Es kann die Banken und die andern Akteure bloss um Auskunft und Kontensperrung ersuchen. 
  3. In den Kantonen mit Pauschalbesteuerung, wie etwa Zug, Waadt, Genf, dürfen die kantonalen Steuerämter die realen Vermögensverhältnisse ihrer pauschalbesteuerten Superreichen gar nicht kennen. Jene zahlen ja nur einen vereinbarten Pauschalbetrag. 
  4. Die hier von superreichen Russen gegründeten Stiftungen sind ein weiteres Vehikel zum Anonymisieren von Vermögenstransfers. Die eidgenössische Stiftungsaufsicht verlangt von den Stiftungen keine Offenlegung ihrer Anlagen in Trusts und dergleichen. Auch der Einsatz von Strohmännern ist hier nicht verboten.
  5. Die Banken sind zwar zu Konten sanktionierter Oligarchen auskunftspflichtig, und sie sperren diese schon aus Reputationsgründen. Doch bei komplexen Offshore-Finanzkonstruktionen über karibische Briefkastenfirmen identifizieren auch sie die wahren Berechtigten nicht.
  6. Weil in der EU die Rohstoffgeschäfte im Energiebereich (Öl, Gas, Kohle) in der EU-Sanktionsliste ausgenommen sind, wirkten oder wirken auch die nicht belangbaren russischen Banken Gasprombank und Sberbank, beide mit Sitz in Zug, als Transferinstitute für russische Vermögen.

 Die USA haben angekündigt, die Oligarchenvermögen gnadenlos zu verfolgen und weltweit alle Finanzplatzakteure dazu zu verpflichten. Der USA-Botschafter in der Schweiz drohte jüngst: «Wir nehmen dies nicht auf die leichte Schulter.»

Der Bundesrat und das Seco hatten die riesige Tragweite des Sanktionsregimes total unterschätzt. Doch deren Aufarbeitung wird der Schweizer Politik noch sehr, sehr lange auf dem Magen liegen. Wie seinerzeit die Steuerfluchtaffären. Das sind die Kosten dieser politisch gewollten Willkommenskultur für die Superreichen dieser Welt.

Publiziert  TA-Media, , TA-Online 19. 4.  2022    Rudolf Strahm