Offener Brief an den Präsidenten von EconomieSuisse

Artikel UnternehmerZeitung vom 24. Jan. 2012

Lieber Herr Gerold Bührer

Man könnte meinen, economiesuisse stehe als Wirtschaftsdachverband der grossen Unternehmen für den Wettbewerb. Wettbewerbsfreundlich tönen stets die Sonntagspredigten aus dem wirtschaftsliberalen Lager. Aber in der täglichen Wirtschaftspolitik entpuppt sich economiesuisse als wettbewerbsfeindlich. Den neusten Beleg liefern ihre jüngsten Stellungnahmen zur Kartellgesetz-Revision.
Warum zum Teufel bekämpft economiesuisse das kartellrechtliche Vorgehen gegen die Hochpreisimporte? Hochpreisimporte sind doch völlig wirtschaftsfeindlich – schädlich für die Importeure, schädlich für all jene KMU, die heute zum Bezug überteuerter Importgüter gezwungen sind.
Zu den überhöhten Importgüterpreisen sind seit Frühjahr/ Sommer 2011 unzählige Artikel und Analysen geschrieben worden. Zwar sind die Preise der Importprodukte in den letzten Wochen leicht gesunken. Starke Preissenkungen erlebten aber nur jene langlebigen Konsumgüter, die in den letzten Jahren einen starken Technologieschub durchgemacht hatten, etwa PCs, Foto-, Fernseh- und Telekomgeräte. Aber die Senkung der Beschaffungspreise (auf Stufe der Importeure) und der Endverkaufspreise (im Landesindex der Konsumentenpreise) beträgt nur einen Sechstel der wechselkursbedingten Soll-Preissenkungen.

Heute zahlen die Schweizer mindestens 20 Mrd. Franken pro Jahr mehr für ihre Importe, verglichen mit den Preisen identischer Markenprodukte im Ausland. Notabene sind bei diesen Beschaffungspreisen im Importpreisindex die (höheren) internen Vertriebskosten des Detailhandels in der Schweiz nicht eingerechnet. Rund vierzig Prozent der Importe gehen als Zulieferungen und Halbfabrikate zu den Unternehmen, sechzig Prozent sind Konsumgüter. Die KMU sind neben den Konsumenten die Leidtragenden der Hochpreisproblematik, während die grossen Konzerne über ihre Filialen im Ausland direkt einkaufen und konzernintern importieren können.
Der Hauptgrund der Hochpreisproblematik ist klar identifiziert: Der Importwettbewerb spielt nicht! Ausländische Lieferanten betreiben eine selektive Lieferpraxis durch Alleinvertriebsverträge, über Alleinimporteure oder über ihre Vertriebsfilialen in der Schweiz. Sie hindern schweizerischen Unternehmen oder Detailhändlern an der direkten Beschaffung im Ausland. Diese Preisdiskriminierung gegen die Schweiz ist ganz klar das Resultat selektiver Vertriebssysteme von Markenartikeln und von vertikalen Preisbindungen. Typisches Beispiel ist der Vertrieb von Nivea- Produkten in der Schweiz: Migros, Coop und Drogerien können sie nur über die Beiersdorf-Filiale in der Schweiz beziehen, und zwar zu 40 bis 100 Prozent höheren Beschaffungspreisen als in Deutschland.

Die Importpreisproblematik ist auch Ausfluss einer bisher zahnlosen Durchsetzungspraxis der Wettbewerbskommission Weko, in der der geschwätzige economiesuisse-Vertreter seit Jahren die Sanktionierung von Vertikalbindungen bekämpft oder aufweicht. Heute sind die vertikalen Preisund Lieferbindungen und selektiven Vertriebssysteme («Vertikalkartelle») im Markt vorherrschend, während das alte, von der Weko mit viel Tamtam verfolgte horizontale Kartell unbedeutender geworden ist.
Und jetzt kommt der dicke Hund: economiesuisse lobbyierte jüngst gar gegen die Bekämpfung der hohen Importpreise! Im Nationalrat stand in der vergangenen Dezember-Session eine Motion der Luzerner Nationalrätin Prisca Birrer- Heimo zum Entscheid, der eben diese Importpreis-Problematik direkt und gezielt angehen will. Die Motion Birrer- Heimo Nr. 11.3984 verlangt eine Kartellgesetz-Revision in dem Sinne, dass (ausländische) «Unternehmen, die ihre Markenprodukte im Ausland zu tieferen Preisen vertreiben als in der Schweiz, sich unzulässig verhalten, wenn sie sich weigern, Unternehmen oder Konsumentinnen und Konsumenten aus der Schweiz über die im Ausland gelegenen Vertriebsstellen zu den dort geltenden Preisen und Geschäftsbedingungen zu beliefern oder wenn sie Massnahmen treffen, um zu verhindern, dass Dritte auf Nachfrage hin in die Schweiz liefern können».
Mit anderen Worten, diese Motion will mehr Importwettbewerb. Und zwar zum Vorteil der Schweizer KMU, der Schweizer Detailhändler und der Schweizer Konsumentinnen. Und economiesuisse bekämpft sie!

Diese Motion wurde im Nationalrat trotz economiesuisse- Lobbying mit 113 Ja-Stimmen gegen 74 Nein-Stimmen deutlich angenommen. Die 113 Ja-Stimmen zur «Lex Nivea» verteilten sich neben dem links-grünen Lager über das ganze bürgerliche Spektrum von der CVP über die FDP bis zu einzelnen SVP-Stimmen. In der FDP-Fraktion fand eine intensive Diskussion zur Frage statt: Sind wir eine liberale, wettbewerbsorientierte Partei oder betreiben wir Klientelenwirtschaft à la economiesuisse und tanzen nach den Partikularinteressen der (ausländischen) Markenartikel-Lieferanten? Nach der verlorenen Abstimmung kritisierte economiesuisse das Parlament mit der abstrusen Killerphrase, es betreibe «Planwirtschaft».
Was ist denn das für eine doppelbödige Haltung gegenüber dem Wettbewerb? economiesuisse bekämpft zudem in ihrer Vernehmlassung auch das von Bundesrat Johann Schneider-Ammann (dem ehemaligen economiesuisse- Vizepräsidenten!) vorgeschlagene Per-se-Verbot von Kartellen, indem sie den Ausnahmenkatalog bis zur totalen Verwässerung erweitern will. Und die Sanktionen gegen Kartellsünder will economiesuisse mit einem «Compliance- Programm», das in den Firmen im Sinne einer Selbstregulierung eingeführt werden soll, aufweichen.
Hat ein solches Verhalten noch etwas mit Wettbewerb zu tun? Dass ein allgemeingültiges Per- se-Verbot aller Kartellarten – auch jener praxisorientierten Lieferbindungen innerhalb der Schweiz – seine Tücken hat, ist mir als Wettbewerbspraktiker und ehemaliger Preisüberwacher bewusst (ich war von Amtes wegen in der Weko). Für gewisse Ausnahmen im Falle von kleinen, praxisbezogenen, binnenwirtschaftlichen Lieferbindungen hätte ich Verständnis. Aber völliges Unverständnis habe ich für die Bekämpfung der «Lex Nivea», die die schädliche Hochpreispolitik gerade ausländischer Lieferanten gezielter angreifen will.
Die economiesuisse vertritt mit ihrem wettbewerbsfeindlichen Dogmatismus gewiss nicht die Interessen der Schweizer Unternehmen, vor allem nicht jene der KMU. Am Sonntag predigt man den Wettbewerb. Und von Montag bis Samstag tut man alles, um den Wettbewerb zu verhindern. So sind die Sonntagsliberalen. Wann wird economiesuisse ihren wettbewerbsfeindlichen Katechismus überprüfen?

 

Mit freundlichem, kollegialem Gruss

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